„Crime and Punishment in Suburbia“ ist eine zeitgemäße, moderne Interpretation der klassischen Fjodor Dostojewski Tragödie „Schuld und Sühne“, bei welcher man die Handlung in die (auf den ersten Blick) heile Welt der amerikanischen Vorstädte verlegt hat. Die Novelle befasst sich mit der Psyche ihres Hauptprotagonisten Raskolnikov, welcher gegen gesellschaftliche Moralvorstellungen rebelliert, im Verlauf eine unschuldige Frau tötet und im Nachhinein feststellen muss, dass die schlimmste Strafe jene ist, die ihm sein eigenes Gewissen aufgrund des Schuldbewusstseins auferlegt hat. Bei dieser (ziemlich freien) Neuinterpretation des Stoffes wurde aus Raskolnikov nun Roseanne – ein Teenager, welcher die typischen Probleme jener Lebensphase (Schule, Sexualität etc) zu bewältigen versucht und zudem mit Misshandlung sowie innen aufkeimender Angst vor persönlicher Isolation zu kämpfen hat…
Auf den ersten Blick lebt Roseanne (Monica Keena) genau das Leben, welches sich die meisten Teens unter dem Idealbild einer High School Schülerin vorstellen: Als Einzelkind kommt sie aus einem finanziell gut bestückten Elternhaus mitsamt schönem Besitz in der Vorstadt, sie selbst ist beliebt, intelligent sowie mit gutem Aussehen gesegnet, ist Cheerleaderin und mit dem ebenfalls „hoch angesehenen“ Footballspieler Jimmy (James DeBello) zusammen, welcher sie wirklich liebt und dementsprechend gut behandelt. Doch in Wahrheit handelt es sich gerade bei der angeblichen Familienidylle um eine Fassade, die sie aus Scham unter allen Umständen aufrecht erhalten möchte, denn in Wahrheit liegt die Ehe ihrer Eltern in Trümmern: Ihre vom Leben verbitterte Mutter Maggie (Ellen Barkin) erträgt es kaum noch zuhause mit Roseannes Stiefvater Fred (Michael Ironside), welcher zunehmend aus Selbstmitleid dem Alkohol verfällt.
Als Maggie schließlich eine Affäre mit dem (auch noch farbigen) Barkeeper Chris (Jeffrey Wright) beginnt und Fred das herausbekommt, eskaliert die Sache an die Öffentlichkeit, worauf sich Gerüchte in der Schule rasend ausbreiten sowie Maggie Fred verlässt, sie Roseanne dabei aber im Haus mit ihm zurücklässt. Dessen Wut und Frustration entlädt sich daraufhin an seiner Stieftochter, welche er eines Abends gar vergewaltigt. Von da an steht ihr Plan fest: Fred soll für alles büßen, was „sterben“ bedeutet. Aus Liebe wird Jimmy zu ihrem Komplizen bei der Tat, doch die folgenden Ereignisse gestalten sich nicht ganz so, wie sie sich die Zeit „danach“ eigentlich ausgemalt hatten. Hier ist es auch, dass der Außenseiter Vincent (Vincent Kartheiser) stärker ins Geschehen eingreift – zuvor war er nur stiller Beobachter und Bewunderer von Roseanne, doch nun entpuppt er sich ihr gegenüber als der einzige, der ihre Taten, Lage und Gefühle wirklich kennt sowie nachvollziehen kann…
In 8 Kapitel gegliedert, erzählt der Film in seiner ersten Hälfte von dem unschönen Leben eines Teenagers, bevor er sich im weiteren Verlauf verstärkt auf die seelischen und psychischen Auswirkungen der Tat (Reue, Verantwortung etc) konzentriert – letzterer Teil kommt dabei aber an seinen Vorgänger nicht ganz heran, denn die anfangs gezeigten Szenen und Abgründe lassen die Motive durchaus gerecht sowie fast richtig erscheinen, was auch zu einem Zwiespalt angesichts der Art des Endes führt.
Einen literarischen Klassiker zeitgemäß für ein jüngeres Publikum umzusetzen, das gelang im Jahre 1999 mit „Cruel Intentions“ (nach Choderlos de Laclos) ungemein gut und erfolgreich, weshalb es an dem Konzept von „Crime and Punishment in Suburbia“ absolut nichts auszusetzen gibt. Zumindest audiovisuell steht dieses Werk von Rob Schmidt („Wrong Turn“) jenem von Roger Kumble in nichts nach, denn die Inszenierung ist modern und „flashy“, die Schauspieler gut und attraktiv, der Soundtrack passend und geschickt ausgewählt. Inhaltlich unterscheiden sich beide Projekte hingegen erheblich, denn während es bei „Cruel Intentions“ „nur“ um Intrigen und Liebeleien gelangweilter Society-Kids ging, werden hier Punkte wie häusliche Gewalt, sexueller Missbrauch sowie Mord thematisiert.
Nach dem Amoklauf in Littleton wurde der ursprüngliche Titel „Crime and Punishment in High School“ übrigens geändert sowie der Starttermin nach hinten verschoben, wodurch es geschah, dass der Film erst nach „American Beauty“ in die Kinos kam, obwohl er bereits vorher fertig gestellt worden war. Die Parallelen zwischen diesen beiden Filmen sind noch gravierender: Beide beschäftigen sich mit sehr ähnlichen Stereotypen hinter den sauberen Fassaden amerikanischer Suburbs, doch „American Beauty“ war eher eine spitzfindige Satire mit viel schwarzem Humor, während „C&P…“ einen nahezu durchgängig ernsten Ton einschlägt. Trotzdem (oder gerade deshalb) blieb in diesem Fall ein Erfolg an der US Box Office aus.
Auf die Figuren sowie deren Charakterzeichnung hat Drehbuchautor Larry Gross („48 Hrs“) viel Wert gelegt, was aber bei Maggie und Chris nicht ganz so gut gelungen ist, denn sie werden von allen Beteiligten am wenigsten mit „Leben“ gefüllt und verbleiben somit oberflächlich. Fred leidet unter seinen Problemen in der Ehe und im Job, weshalb er zur Flasche greift. Seine Frau verlässt ihn für ihre Affäre, jedoch ohne ihre (leibliche) Tochter mitzunehmen – obwohl sie sich denken kann, zu was ihr Mann unter Alkoholeinfluss fähig ist. Die Darstellung ist also nicht klar nach Schwarz und Weiß getrennt, es kann keine klare Sym- oder Antipathie entstehen. Neben den üblichen Problemen eines Teenagers (Image, Beliebtheit etc) beschäftigt Roseanne vor allem, was die anderen über sie denken. Die Gerüchte an der Schule werden zudem dadurch verstärkt, dass ihren Mitschülern auffällt, wie sehr ihr die Situation mit ihrer Familie zu schaffen macht, und sie diese „Macht“ somit weiter auszukosten versuchen. Jimmy ist auf den ersten Blick ein typischer Footballspieler, der alle dazugehörigen Klischees (fehlende Intelligenz etc) vereint. Trotzdem gestaltet sich in diesem Fall vieles anders: Für ihn ist Roseanne nicht nur eine Braut an seiner Seite, sondern er liebt sie wirklich, ist dementsprechend einfühlsam und behandelt sie zärtlich. Er kann nicht verstehen, dass sie ihn nach der Tat, welche er ja für sie (mit-) begangen hat, ohne böse Absicht von sich stößt, wodurch er außerhalb seines Sports fast hilflos und verwirrt wirkt. In der ersten Filmhälfte spioniert Vincent Roseanne konstant nach, fotografiert sie und studiert ihr Verhalten, weshalb sie später in ihm, nachdem er sich öffentlich zu ihrem Beschützer und Begleiter entwickelt hat, eine Art Seelenverwandten sieht – was daher liegt, dass er sie inzwischen so gut kennt. Nicht nur die äußerlichen Merkmale (düsterer Look und ebensolche schwermütigen Gedanken, Außenseiterstatus etc) erinnern stark an den Part Wes Bentleys in „American Beauty“, sondern auch die mit der Zeit aufkeimende Beziehung. Er richtet nicht über sie, bietet aber auch keine aktive Hilfe, sondern nur seine Gedanken für sie zum Interpretieren an. Seine Kommentare aus dem Off leiten den Zuschauer, bevor diese gegen Ende von denen Roseannes abgelöst werden.
Die drei jugendlichen Hauptrollen wurden mit Monica Keena („Freddy vs Jason“), Vincent Kartheiser („Another Day in Paradise“) und James DeBello („Cabin Fever“) durchweg anständig besetzt. Zwar hat ihnen das Skript allesamt keine extremen Leistungen abverlangt, doch ihre Rollen sind nichts desto trotz komplex und herausfordernd genug, dass weniger talentierte Darsteller dem Gesamteindruck auf jeden Fall geschadet hätten. Etwas anders verhält es sich dagegen mit Ellen Barkin („Switch“) und Jeffrey Wright („Shaft“), deren Figuren nie wirklich den nötigen Raum sowie die charakterliche Tiefe erhielten, wodurch sich beide dementsprechend nicht voll entfalten können – leider wurden sie in den vergangenen Jahren auf ähnliche Weise schon häufiger verschenkt (“the Fan“/“D-Tox“), was schade ist sowie ihrem Potential keinesfalls gerecht wird. Und dann wäre da noch Michael Ironside („the Machinist“), dessen Charaktere vom Drehbuch zwar ebenfalls eher grob und fast klischeehaft gezeichnet wurde, doch er liefert hier eine herausragend intensive Vorstellung ab, bei welcher sich die Übergänge zwischen mehr oder minder subtilen Manipulationen und reinem, gewalttätigen Zorn glaubwürdig gestalten und seine Figur umso bedrohlicher erscheinen lassen.
Es gibt einige Szenen, welche beispielsweise durch gezielte Inszenierung absolut gängiger Gesellschaftsrituale einen bedrohlichen Charakter erhalten und zum Nachdenken anregen – allen voran eine Motivationsfeier des Football-Teams, welche mit den beteiligten Fackeln und in den Himmel geragten Fäusten (bewusst) an Aufmärsche im Dritten Reich erinnert. Neben den positiven Eindrücken des Films verärgern aber auch leider etliche Kleinigkeiten, wie etwa der „Unfall“ mit dem Milchshake, das Anfassen der Tatwaffe beim Auffinden der Leiche oder einige Elemente im Zusammenhang mit Vincent, welche so direkt gar nicht hätten sein müssen (sein Jesus-Shirt oder der Knoblauchkranz für Roseanne)…
Fazit: „Crime and Punishment in Suburbia“ verarbeitet Ansätze von Dostoyevskys Literaturklassiker mit gesellschaftlichen Problemen der Gegenwart und präsentiert diese der MTV-Generation auf moderne sowie schmackhafte Weise. Im Sinne einer Adaption oder „Interpretation im Geiste“ bestehen eigentlich nicht mehr genügend Verbindungen zur „Vorlage“ – doch für ein Teenager-Drama, das auf interessante Weise einige ernste Themen aufgreift, reicht es vollkommen … 7 von 10.