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Ein feiger Paketbombenanschlag stellt die Welt der jungen Berliner Studentin Maxi Baier (Luna Wedler) völlig auf den Kopf - nicht nur, daß sie dabei ihre französische Mutter verliert, auch ihre beiden kleinen Brüder sterben bei der Explosion.
Völlig konsterniert zieht sie mit ihrem Vater Alex (Milan Peschel) in ein Ausweichquartier, wo sie die Ermittlungen der Polizei abwarten müssen und noch gar nicht fassen können, was Ihnen widerfahren ist. Natürlich ist auch sogleich die Presse vor Ort und will Interviews, doch Maxi ist weder bereit noch in der Lage, über die schockierende Tat zu sprechen. Als sie vor den Journalisten flüchtet, ist ihr ein zufällig anwesender junger Mann behilflich, der sie abschirmt, ihr zur Tarnung seine Jacke anbietet und durchblicken läßt, daß er sie auf den Zeitungsbildern erkannt hat, sie aber jetzt erst einmal Ruhe braucht. Kaum haben die Reporter Maxis Spur verloren, verabschiedet sich der selbstlose Helfer ("Ach übrigens, ich heiße Karl") auch schon wieder, jedoch nicht ohne eine Visitenkarte zu hinterlassen.
Was Maxi nicht ahnen kann, dem Zuschauer aber sehr schnell vor Augen geführt wird, ist der Umstand, daß Karl selbst hinter dem Bombenanschlag steckt. Als Vorsitzender einer neuen Partei, die hauptsächlich aus jungen Leuten besteht und sich - vordergründig-harmlos verklausuliert - um die Traditionen Europas sorgt, war ihm die Flüchtlingswelle 2015 ein besonderer Dorn im Auge und er ergreift jede Möglichkeit, gegen die Zugezogenen Stimmung zu machen. Dabei bedient sich Karl völlig unverfänglicher Floskeln, wird nie konkret und als Maxi, froh über einen kurzen Tapetenwechsel, tatsächlich der Einladung zum Parteitag an einer Prager Uni folgt, lernt sie ein buntgemischtes Auditorium netter Junger Leute aus diversen europäischen Ländern kennen, die unter der Moderation von Karl völlig unpolitisch auftreten und der ganzen Sache eher einen Happening-Charakter verleihen. Nie käme Maxi auf die Idee, daß es sich hier um die Keimzelle einer rechtspopulistischen Partei handeln könnte, zumal sie, die zusammen mit ihren Eltern seinerzeit den Syrer Yusuf im Auto nach Deutschland geschmuggelt und sich aktiv in der Flüchtlingshilfe engagiert hatte, mit xenophoben Nationalisten so gar nichts am Hut hat.
Doch irgendwann unterliegt auch sie dem Charme des eloquenten Karl und läßt sich - mehr oder weniger unbewußt - vor dessen politischen Karren spannen. Der charismatische Parteigründer hat allerdings schon den nächsten Coup im Auge: stets auf steigende Umfragewerte schielend, möchte er seiner Bewegung mittels eines inszenierten Attentats weiteren Schwung verleihen...

Die Zielrichtung, mit welcher Regisseur Christian Schwochow das Publikum in seinem Polit-Drama Je suis Karl hinter die Kulissen einer jungen Partei blicken läßt, wird schon nach kurzer Zeit klar: harmlos auftretende Rechtspopulisten mit multikultureller Attitüde, die einen sanften Europa-Patriotismus pflegen und ganz ausdrücklich unbeteiligt auftreten ("Ihr sollt uns nicht folgen, ihr sollt nur euren Verstand benutzen und nachdenken" heißt es da sinngemäß) planen eine demokratisch legitimierte Machtübernahme, um dann erst recht zuzuschlagen und mittels passender Vorfälle einen Bürgerkrieg anzuzetteln.
Wie leicht man in die Fänge solcher Parteien gerät, wird am Beispiel der Figur von Maxi demonstriert, deren einzige Funktion für die Partei in einem Liveauftritt als Opfer eines vermeintlich von Ausländern begangenen Bombenanschlags besteht, zu dem sie sich dann schlußendlich auch entscheidet, ohne zu ahnen, wer sie da instrumentalisiert. Leider - vielleicht auch absichtlich? - entwickelt sich das Geschehen dann (vor allem hinsichtlich des geplanten Märtyrer-Tods) in eine derart übertrieben-groteske Richtung, der man zum Schluß hin nicht mehr zu folgen vermag, da jeglicher Bezug zu einer (auch fiktiven) Realität völlig verloren gegangen ist.

Die Darsteller, angefangen von Maxi über den Sonnyboy Karl bis hin zu seiner tschechischen Freundin Jitka (Anna Fialová) machen ihre Sache überzeugend, ein Sonderlob jedoch gebührt Milan Peschel als Vater Alex, dessen Betroffenheit über den Verlust fast seiner ganzen Familie auch graphisch mittels überall zu sehender toter Vögel sehr effektiv eingefangen wurde - eine bemerkenswert ruhige und sympathische Figur, leider nur in einer Nebenrolle.
Das gleichermaßen surreale wie auch offene Ende des Films lassen genügend Raum für Diskussionen, und obgleich eine Aufklärung (und Ahndung) des anfänglichen Anschlags leider unterbleibt, kann der beziehungsreiche Titel Je suis Karl als Mahnung vor rechtspopulistischen Wölfen im Schafspelz dennoch überzeugen: 7 Punkte.

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