Review

Die junge Suzy reist aus den USA nach Deutschland, um an einer renommierten Tanzschule in Freiburg Ballettunterricht zu nehmen. Als Suzy in einer stürmischen Nacht endlich die prunkvolle Schule erreicht, wird sie auf eine junge Frau aufmerksam, die in gehetzter Panik aus dem Gebäude flieht und ihr noch eine unverständliche Warnung zuruft, bevor sie schließlich in der regnerischen Nacht verschwindet. Als die Unbekannte am folgenden Tag bestialisch ermordet in der Wohnung einer Freundin aufgefunden wird, setzt dies Suzy merklich zu, doch sie ist fest entschlossen, sich durch den sonderbaren Vorfall nicht ihre einmalige Chance ruinieren zu lassen. In der kommenden Zeit findet die Amerikanerin daraufhin zunächst genügend Ablenkung von ihren unruhigen Gedanken, denn die Lehrerinnen führen ein hartes Regiment und verlangen der Tanzgruppe einiges ab. Kurz darauf kommt es jedoch erneut zu mysteriösen Ereignissen: Furchterregende Laute hallen des Nachts durch den provisorischen Schlafsaal der Mädchen, während die Schulleitung Suzy und die anderen mit Schlafmitteln im Essen ruhigzustellen versucht. Als sich plötzlich erneut grausame Morde ereignen und auch Suzys Freundin Sara von dem Mörder heimgesucht wird, beginnt die Amerikanerin auf eigene Faust nachzuforschen und stößt alsbald auf ein düsteres Kapitel aus der Vergangenheit der Schule, das sie nicht nur an ihrem Verstand zweifeln lässt, sondern sie auch in höchste Gefahr bringt...  


Das Genre des Horrorfilms hat in den letzten Jahrzehnten bereits viele Wunderkinder hervorgebracht, deren Werke bis heute zum Teil einen enormen Einfluss auf das Schaffen junger Filmemacher ausüben, doch kaum ein anderer wird von einem großen Teil der Genre-Kenner bis heute noch so hoch geschätzt wie Dario Argento. Dies überrascht bei einer groben Kenntnis der Filmographie des Italieners auch nur wenig, gilt Argento doch nicht nur als einer der prägenden Wegweiser des Giallo, sondern auch als ein großes Vorbild des modernen Horror- und Slasherkinos. Seinen bis dato größten Erfolg feierte der Kultregisseur dabei mit der Inszenierung des im Jahr 1977 entstandenen Horrorfilms Suspiria, mit dem der Visionär seinen unverkennbaren Sinn für Ästhetik und formale Brillanz erstmals perfektionierte und der Welt ein perfides Meisterstück zwischen Schauermärchen und Kunstkino vorsetzte, wie man es bislang noch nicht gesehen hatte. Die Resonanz, die dieses Stück Horrorfilmkultur bis heute nach sich zieht, ist überwältigend, weshalb sich Fans und Kritiker in den meisten Fällen einig sind, dass Argento mit Suspiria das bedeutendste Werk seiner Karriere gelang. Dennoch ist es sogar absolut legitim, wenn nicht sogar zwingend erforderlich, sich unbedingt eine eigene Meinung zu diesem stilprägenden Urgestein des Horrorfilms zu bilden, ist Suspiria nicht zuletzt doch eine äußerst subjektive Erfahrung, die man als Sympathisant des Genres ohne Frage selbst gemacht haben sollte. Argento-Neueinsteiger sollten sich aber unter Umständen zunächst einmal mit den nicht weniger genialen, dafür aber etwas zugänglicheren Werken Tenebre oder Phenomena in die Welt des Kultregisseurs vortasten, mit denen der Meister nach Suspiria noch zwei weitere Kunstwerke erschuf, bevor sich seine Filme in den späteren Jahren langsam aber sicher der Durchschnittlichkeit annäherten.

Die Story des Films ließe sich prinzipiell in nur drei Sätzen problemlos zusammenfassen, was Suspiria oftmals auch negativ zur Last gelegt wird, obgleich es bei Argento gewiss noch nie die inhaltlichen Stärken waren, die ihren wesentlichen Beitrag zur Funktionalität des Ganzen geleistet hätten. Der exzentrische Kultregisseur ist ein Meister des bewegten Bildes, der künstlerischen Vielfältigkeit einzelner Szenen im Kontext eines Ganzen, während Drehbücher gewiss noch nie zu seiner Leidenschaft zählten. So unterliegt auch der minimale Plot von Suspiria gänzlich der Direktion der obsessiven, halluzinogenen Bilder, die von der ersten Minute an ins Zentrum des Geschehens rücken und dort ihre suggestive Wirkung entfalten. Der Film als schreckensorientierte Blutoper in spielerisch-satten Rot-, Gelb- und Blautönen verlangt einem unvorbereiteten Publikum alles ab und entführt es in ein visuell beindruckendes Farbenspiel fernab der Grenzen unserer Realität. Dario Argento ist der Künstler und Suspiria sein Gemälde, in dem Einflüsse von Architektur, Bildhauerei, Musik und Malerei zu einem Ganzen verschwimmen und sich dabei strikt mit den Sehgewohnheiten der meisten Zuschauer brechen. Jede Szene des Filmes gleicht einem bis ins Detail perfekt abgestimmten Farbentanz, einem im Drogenrausch erzählten Märchen über Blut, Mord und Wahnsinn, bei dem völlig zurecht keinerlei Gedanken an die nur rudimentär vorhandene Handlung verschwendet werden muss.

Suspiria ist ein ausgeklügelter und surrealer Albtraum, der die Trennlinien einer Verschmelzung von Wahrnehmung und Empfinden innerhalb der 94-minütigen Gesamtlaufzeit immer mehr verblassen lässt. Argento schuf eine opulente Bilderflut voller waghalsiger Kamerafahrten- und Einstellungen, die sich mit absoluter Genauigkeit in das Unterbewusstsein seines Publikums bohrt und sich dort mir rasiermesserscharfen Krallen unbarmherzig festsetzt. Im Kern der unvergleichlich dichten Atmosphäre stehen meisterhaft festgehaltene Momente des Grauens, die in ihren infernalischen Höhepunkten den fieberhaften Schreckensvisionen eines Wahnsinnigen zu gleichen scheinen. Eine absolut tragende Rolle spielt diesbezüglich der geniale Score der Band Goblin, denn die Grenzen zwischen Bild und musikalischer Untermalung sind in Suspiria fließender denn je. Das eine geht in das andere über, baut darauf auf und bildet eine untrennbare Einheit. Argentos albtraumhafte Bilder gehen Hand in Hand mit grotesken Kindermelodien oder psychedelischen, mit düsteren Geräuschen und boshaftem Wispern unterlegten Klängen, die mit zum Besten gehören, was Goblin in ihrer Laufbahn überhaupt erschaffen haben. Natürlich bauen auch die berühmten und grausamen Morde Argentos auf der unberechenbaren und verstörenden Atmosphäre seines Gesamtwerkes auf. Eben jene Szenen sind Arien des Blutes, die der Meister minutenlang in all ihren grausamen Details auskostet, bis er sie schließlich in dem für die Protagonisten erlösenden Höhepunkt der Tötung gipfeln lässt. Dennoch wohnt auch diesen Momenten der rohen Brutalität stets eine bemerkenswert anspruchsvoller Gehalt inne, weshalb bekennende Cineasten unter Umständen eine noch größere Freude an Argentos perfekt inszenierten, hellroten Kunstblutgelagen haben dürften als so manch gemeine Gore-Schwärmer.  

Suspiria war seinerzeit der Auftakt der Trilogie der drei Mütter, die 1980 erstmals mit Inferno fortgesetzt und im Jahr 2007 schließlich mit dem langerwarteten und letzten Endes enttäuschenden The Mother of Tears abgeschlossen wurde. Zweifellos setzte Argento die Erwartungshaltung seiner Fans nach Suspiria jedoch überaus hoch an, woraufhin es einige seiner Folgewerke oftmals schwer hatten, an dessen Popularität und Wirkung heranzureichen. Kein Wunder, gleicht der Film doch einem soghaften, psychedelischen Horrortrip in Bild und Ton, der die unruhige Angst der Charaktere auf sein Publikum zu übertragen weiß und dabei in seinen 94 Minuten einen konsequenten Spannungsbogen hält. Erfreulicherweise wussten sich auch die unterschiedlichen Schauspieler internationaler Herkunft dem hohen Niveau des Films anzupassen. Jessica Harper etwa bietet in der Hauptrolle der Suzy eine der Glanzleistungen ihrer Karriere, mit der sie bis heute identifiziert wird. Weitere, großartige Leistungen legen die beiden Filmdiven Alida Valli und Joan Bennett aufs Parkett, die als sinistre Schulleiterinnen von Beginn an eine unheilvolle Aura auszustrahlen vermögen. Zudem darf sich der Fan des Genres noch auf einen jungen und dynamischen Udo Kier freuen, dem hier ein kleinerer Part zuteil wurde und der in den folgenden Jahren noch in unzähligen Horrorproduktionen weltweit vor der Kamera stand.

Zusammenfassend schuf Dario Argento mit Suspiria vor über 30 Jahren einen Film, der in dieser Form bis heute seinesgleichen sucht. Ein Meilenstein des Horrorkinos, der die Möglichkeiten eines oftmals zu Unrecht verschmähten Genres perfektiös und anspruchsvoll in eine surreale, albtraumhafte Reizflut taucht und sich dabei vollständig von allen gängigen Konventionen lossagt. Zweifellos hat die beinahe inhaltsleere und von einer ungewöhnlichen Dramaturgie bestimmte Aneinanderreihung von kunstvollen Schreckensvisionen über die Jahre nicht nur Befürworter gefunden, sollte sich aber dennoch längst als unumgängliches Pflichtprogramm für Kenner und Freunde des Horrorgenres herumgesprochen haben. Suspiria ist ein märchenhafter und verstörender Drogenrausch von bezaubernder Ästhetik in Bild und Ton, bei dem sich jedes Detail, angefangen bei der dichten Atmosphäre, über die blutigen Gewaltspitzen, bis hin zu den optimal gewählten Schauspielern in ein Gesamtwerk einfügt, das bis zu diesem Tage nichts an seiner Faszination eingebüßt hat.

7,5/10 Punkten

Suspiria
Italien 1977, 94 Min.
Freigabe: ungeprüft
Regie: Dario Argento

Darsteller: Jessica Harper, Stefania Casini, Flavio Bucci, Miguel Bosé, Barbara Magnolfi, Susanna Javicoli, Eva Axén, Rudolf Schündler, Udo Kier, Alida Valli, Joan Bennett, Margherita Horowitz

Details
Ähnliche Filme