Es ist problemlos nachzuvollziehen, warum sich an „Blueberry und der Fluch der Dämonen“ die Geister scheiden:
Das, was Regisseur Jan Kounen da auf die Leinwand gebannt hat, lässt sich nur schwer einem bestimmten Genre zuordnen und ist in keinster Weise massentauglich. Mit der französischen Kult-Comicvorlage hat das filmische Endresultat wenig mehr als den Titel gemein, und zudem erwarteten sicherlich viele von Kounen einen weiteren Gewaltstreifen im Stile von „Dobermann“ – was eine Abneigung gegenüber „Blueberry“ umso verständlicher macht, denn im Endeffekt ist dieses Werk das genaue Gegenteil seiner ersten Zusammenarbeit mit Hauptdarsteller Vincent Cassel: Es geht nicht um tumbe Action, Coolness, provokante Gewaltdarstellungen oder eine temporeiche Inszenierung, sondern um Selbstfindung und die Spiritualität des Schamanismus.
Die Story ist schnell erzählt und eigentlich genauso nebensächlich (wie bei fast allen Western):
Nachdem der rebellische Blueberry von seiner überforderten Familie in den „wilden Westen“ zu seinem gewalttätigen Onkel (Tcheky Karyo) abgeschoben wurde, findet er schnell die große Liebe in Form einer schönen Prostituierten, doch gerade als beide verschwinden und eine gemeinsame Zukunft beginnen wollen, kommt es zu einer Konfrontation mit dem skrupellosen Wally Blount (Michael Madsen) – am Ende jener Nacht ist die junge Dame tot und Blueberry schwer verletzt, doch Indianer finden seinen leblosen Körper in der Wüste und ziehen ihn im Folgenden in ihrer Mitte auf…
Jahre später: Blueberry (Vincent Cassel) ist inzwischen Sheriff und bemüht sich um einen Frieden zwischen den Indianern und den Bewohnern des Ortes, denn letztere vermuten in den „heiligen Bergen“ des Stammes große Goldvorkommnisse. Blueberry hat sich in die Tochter eines Großgrundbesitzers (Juliette Lewis) verliebt und meistert sein Leben so gut es geht, doch da kehrt Blount zurück – und er hat sich verändert, sich der Spiritualität angenommen und ist hinter einem Indianerschatz her, der jedoch nicht aus Gold ist, wie seine Helfer (u.a. Eddie Izzard) es vermuten…
Am Ende muss Blueberry seinem Erzfeind in die heiligen Berge folgen und sich dem klassischen Duell stellen – jedoch nicht in dieser, sondern der Geisterwelt, wo ihre Glauben und inneren Dämonen kollidieren…
Der Film beginnt wie ein Abgesang auf das Westerngenre: Düster, dreckig, in grobkörniger Optik eingefangen (was an sich schon eine willkommene Abwechslung zu den „gelackten“ Western der letzten Jahre (vgl. „American Outlaws“ oder „Texas Rangers“) darstellt) und richtet die indianische Spiritualität in den Vordergrund – später wird der Film glatter, doch alle Figuren besitzen weiterhin Ecken und Kanten.
Die Besetzung ist ein wahrer Coup: Neben Cassel („Irreversible“) und Madsen („Kill Bill“) agiert ein interessantes Darstellerensemble: Tcheky Karyo („Bad Boys“), Juliette Lewis („Strange Days“), Eddie Izzard („Shadow of the Vampire“), Djimon Houndsou („Tomb Raider 2“), Colm Meaney („Monument Ave“), Geoffrey Lewis („Way of the Gun“) – und vor allem gibt es ein Wiedersehen mit Altstar Ernest Borgnine („Escape from New York“)!
Regisseur Kounen hat die Naturverbundenheit der Indianer durch zahlreiche Tier- und wunderschöne Landschaftaufnahmen (bei denen man technisch mit aus Helikoptern aufgenommenen Kameraflügen durch Schluchten oder über die weite Prärie das Optimum erzielt hat) hervorragend verbildlicht. Er zog aus, um als Franzose einen klassischen Western zu drehen, was ihm auch gelang – doch untypisch (im positiven Sinne) richtete er seinen Fokus darüber hinaus auf die amerikanischen Ureinwohner und deren Glauben, was einen besonderen Reiz darstellt.
Trotz einiger Kameraspielchen und MTV-geprägten Schnittfolgen behält der Film seinen ruhigen Erzählstil ohne viel Action bei – bis auf das finale Duell zwischen Blueberry und Blount innerhalb der Geisterwelt:
Hier werden die inneren Dämonen der beiden Protagonisten mit Hilfe von CGI-Animationen verbildlicht – ein visueller Overkill von rund 15 Minuten Länge, der für ein Mainstreampublikum wohl nicht zu verdauen ist. Ich muss aber auch gestehen, dass mir diese Sequenz zu lang erschien (ich mochte auch das thematisch ähnliche Finale von „2001“ nicht), obwohl die Effekte von höchster Qualität waren – eine interessante, düstere und verstörende Mischung aus Schattenwesen, Insekten und Hightechgrafiken.
Die Thematische Kombination von Motiven aus „2001“ (die Reise ins Innere zu den eigenen Ursprüngen) und „the Doors“ (indianische Drogen als Katalysator der Selbsterkenntnis) als Verbildlichung der mysteriösen Geister- und Glaubenswelten des Schamanismus unter dem Deckmantel eines Western-Abgesangs klingt zwar absolut grotesk und unglaubwürdig, funktioniert aber erstaunlich gut.
Fazit: „Blueberry und der Fluch der Dämonen“ ist ein stimmungsvoller Western der etwas anderen (psychedelischen) Art, voller atemberaubender Landschaftaufnehmen und Einblicken in die indianische Mythologie – nur leider haben die Macher es am Ende mit ihrem (zwar faszinierenden, aber zu langen) Bilderrausch etwas übertrieben … 7 von 10.