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„Wir sind viele!“

Für Axel Milberg war es bereits das 36. Mal, dass er als Kieler Kommissar Klaus Borowski vor der Kamera stand, für dessen junge Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik) war‘s mittlerweile auch schon der fünfte Einsatz: „Tatort: Borowski und die Angst der weißen Männer“, geschrieben von Peter Probst und Daniel Nocke, inszeniert von Nicole Weegmann („Ein Teil von uns“) und gedreht von März bis Juni 2020, wurde anlässlich des internationalen Weltfrauentags an dessen Vorabend, dem 7. März 2021, erstausgestrahlt.

„Das Netz ist die Wirklichkeit!“

Duschanka Tomi (Vidina Popov, „Lissabon-Krimi“), Büroleiterin der Politikerin Birte Reimers (Jördis Triebel, „Ich und Kaminski“), wird in einer Tiefgarage von einer in weißen Schutzanzügen gekleideten Männergruppe betäubt und vergewaltigt. Kurze Zeit später wird die übel zugerichtete Leiche einer jungen Frau unweit einer Discothek gefunden, in ihrem Blut können K.O.-Tropfen nachgewiesen werden. Der Verdacht fällt auf Mario Lohse (Joseph Bundschuh, „Little Thirteen“), einen einsamen, verunsicherten jungen Mann, der, wie die Überwachungsvideos des Clubs beweisen, kurz zuvor Kontakt zu der Frau hatte. Lohse ist Anhänger des frauenverachtende Reden schwingenden Autors Hank Massmann (Arnd Klawitter, „Allein gegen die Zeit“) und versucht, in verborgenen Internetforen Anerkennung bei Gleichgesinnten zu finden. Ausgerechnet als Lohse doch einmal ein Rendezvous hat, nimmt man ihn fest. Borowski stößt zudem auf Neonazi-Symbolik am Tatort – und seine Kollegin Sahin auf Hass-Listen im Internet, in denen zahlreiche Frauennamen aufgeführt sind. Borowski beginnt, investigativ bei Massmann zu ermitteln…

„Vielleicht genügte es, dass sie eine Frau ist.“

Am Beispiel der fiktionalen Figur Mario Lohse widmet sich dieser „Tatort“ dem Phänomen misogyner, ungefickter Jammerlappen, die sich selbst als Incels bezeichnen (zusammengesetzt aus involuntary celibate, was so viel wie „unfreiwilliges Zölibat“ bedeutet) und sich in Internetforen zusammenrotten, um ihrem Frauenhass freien Lauf zu lassen und sich in ihren Echokammern immer weiter in ihr unheilvolles Welt- und Menschenbild hineinsteigern. Frauenfeindliche Jammerlappen? Richtig, da gibt es natürlich zahlreiche Überschneidungen zum Rechtsextremismus, mit dem sich die Incel-„Bewegung“ fröhlich vermischt. Mehrere feige Attentäter und Mörder der jüngeren Geschichte sind Incels.

Bei der Charakterisierung Mario Lohses wird seine Sozialisation ausgespart, man erfährt lediglich, dass der hagere, nie lächelnde junge Mann im Parkhaus arbeitet, unter mangelndem Selbstbewusstsein leidet und nicht nur von seiner Chefin untergebuttert wird, sondern sogar Schwierigkeiten hat, unter den Incels im Netz Anerkennung zu finden – die er u.a. mit albernen selbstgedrehten „Panikvideos“, in denen er auf seinem Fahrrad Fußgängerinnen umzufahren droht, zu erlangen versucht. Als er im Parkhaus von der jungen, attraktiven Vicky (Mathilde Bundschuh, Schwester des Mario-Darstellers, „Tatort: Klingelingeling“) angesprochen und gebeten wird, ihr beim Ausparken behilflich zu sein, kommt er dieser Bitte nach, was einen Rüffel seiner Chefin nach sich zieht, aber auch ein privates Treffen mit Vicky, die ihn nett findet. Zuvor hatte er es, nachdem er gerade so in die Discothek hineingelassen wurde, mit dem Mordopfer versucht, doch ist er nun einmal nicht der von Massmann und Konsorten so sehr propagierte dominante, „männliche“ Typ – und dumme Sprüche helfen da schon gar nicht weiter. Das Gequatsche dieser sog. Pick-up-Artists, die er aus diversen Online-Tutorials im Ohr hat, ist jedoch sein ständiger Begleiter, für die Zuschauerinnen und Zuschauer aus dem Off hörbar gemacht.

So sehr man auch hofft, dass der Mörder der jungen Frau überführt und geklärt wird, ob dieser im Zusammenhang mit der Vergewaltigung Tomis steht, so sehr dürfte nicht nur Mario, sondern auch das „Tatort“-Publikum die jähe und hochnotpeinliche Störung Marios Kennenlernens mit Vicky durch die Polizei als Affront empfunden haben. Bis hierhin bestand nämlich noch die Hoffnung, dass sich Marios Leben zum Guten wendet und er sich durch die Bekanntschaft mit Vicky vom Incel-Mist lossagt. Angesichts seines heftigen psychotischen Wutausbruchs in der Zelle kommen da jedoch schnell wieder Zweifel. Bis hierhin ist dieser „Tatort“ eine spannende und weitestgehend plausible Angelegenheit, bei der man zwischen Mitleid und Verachtung für den von Bundschuh intensiv geschauspielerten Mario Lohse hin- und hergerissen ist. Seltsam erscheint lediglich das Klischee der nicht ausparken könnenden Frau als Aufhänger für die Figurenbeziehung zwischen Mario und Vicky. Liegt’s an den männlichen Autoren?

Wie schnell Borowski auf die Neonazi-Symbolik der „14 words“ kommt, mutet jedoch ebenso unrealistisch an wie das simple Erraten eines Forenpassworts. Borowskis Inkognito-Auftritt als Journalist auf einer von Massmanns Veranstaltungen, auf der er erst einmal runtergeputzt wird, ist Anlass, die frauenfeindliche Demagogie aufzuzeigen, die sich Massmanns reale Epigonen zu eigen machen. Dass dieselbe Figur im Verborgenen eine Art antifeministischen „Fight Club“ anführt, ist recht starker Tobak und Ausgangspunkt für eine hoffentlich Dystopie bleibende Überspitzung hin zu organisiertem, militantem Terror gegen Frauen. Dieser rief auch den Staatsschutz auf den Plan, der eigens aus Berlin Nils Balde (Patrick Heinrich, „Er ist wieder da“) nach Kiel absandte, welcher wiederum Sahin zu deren Berliner Zeiten gemobbt hatte und seinen Sexismus mehr oder weniger offen heraushängen lässt. Als der in einer Rückblende fürs Publikum enttarnte Mörder der jungen Frau sich den Schädel kahlrasiert (eine Hommage an „Taxi Driver“?), wie der Hallenser Mörder scharfe Waffen mittels 3D-Drucker hergestellt hat und einen mit der Kamera selbst dokumentierten Terroranschlag zu verüben versucht, ist er nur einer von mehreren parallel agierenden Terroristen, die aufgrund des überraschend abrupten, offenen Endes unerkannt bleiben.

„Borowski und die Angst der weißen Männer“ greift sehr eindringlich die Terrorgefahr durch Incels und Artverwandte auf und besetzt damit ein leider recht aktuelles Thema. Aufgrund der spannenden, wenn auch mitunter motivisch etwas arg überladenen Dramaturgie bleibt man da sicherlich gern 90 Minuten bei der Sache, wenngleich man um den Zusammenhang mit Rechtsextremismus abzubilden etwas plump vorging und die Handlung mit realer polizeilicher Ermittlungsarbeit wohl kaum etwas zu tun haben dürfte. Und dass ausgerechnet in einem sich derart explizit gegen Antifeminismus richtenden „Tatort“ kein Halt vorm Auspark-Klischee gemacht wird und man die Freundinnen des Mordopfers als völlig verantwortungslos handelnde Idiotinnen zeichnet, die ihren Anteil am Ableben ihrer Freundin haben, ist durchaus diskussionswürdig.

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