Die Imitation eines hard-boiled Gangster- & Roadmovies, wie von Schülern für Youtube gedreht. Von daher sollte er auf OFDB außer Konkurrenz laufen. Aber es gibt keine Gnade, ununterscheidbar von echten Filmen lauert er in OFDBs Untiefen! Vorsicht!
PARIS wirkt einfach nur wie irgendein Amateurfilm, mit Ästhetik, Plot, Darstellung und Dialogen wie aus einem beliebigen Porno- oder Studentenfilm, die gratis das Internet verstopfen. Das Erstaunliche daran ist: Irgendwie muss er doch professionell gemacht worden sein: Der Regisseur machte auch andere Filme, es gibt deutsche Untertitel und einen deutschen Verleih, viele Credits, es wirken echte Mimen mit wie James Russo, Karen Black, Bai Ling und Ron Jeremy (Stop: der ist ja tatsächlich Pornodarsteller!) (der allerdings auch den Sprung zu "richtigen" Spielfilmen geschafft hat). Und John Cale steuerte Musik bei! Na, vielleicht ist er mit den Machern befreundet, und man kann guter Freund sein, ohne guter Filmemacher zu sein.
Wie richtige Amateurfilme spielt PARIS an Originalschauplätzen, wo sich möglichst gratis drehen lässt: Treppenhäuser, Hinterhöfe, billige Motels oder einfach open air am Straßenrand (wo oft sogar, z.B. zur Blauen Stunde oder bei Dämmerung, wunderschöne Landschaftsaufnahmen gelingen). Zum Billigfilm gehören Hauptfiguren, die wie Schlote rauchen (hält die Hände beschäftigt), viele Danksagungen (Dank statt Geld), das günstige Abgreifen von Production Values, wie "Wüste", "Neonzeichen in Las Vegas" oder das "Amargosa Opera House and Hotel", dessen Name sogar im Bild erscheint, inklusive Präsentation der Wandmalereien und Abfilmen einer der Performances von Marta Becket. (Übrigens einer meiner Hauptgründe zum DVD-Konsum: Ich weilte dort auch mal eine Woche, im Winter 1999/2000. Das Hotel liegt nah beim Death Valley und bizarren Müllmengen. Damals war ich auf David Lynch-Pilgertour, der dort Szenen von LOST HIGHWAY gedreht hatte – entsprechend finden sich auch in PARIS genaue Kopien von LOST HIGHWAY-Einstellungen.)
Und es gehört dazu, dass bei der öden Softsex-Szene schreckliche Kuschelmusik abgeht, sobald Jasons Hand hinlangt und der zusammengestoppelte Dialog endet. Noch nicht einmal Klischees wie später der grölende Schmerzensschrei in unfreiwillig komischer Großaufnahme bleiben uns erspart, ebenso wenig wie unnötige Opfertode oder Action-Szenen in Slow Motion (und dennoch falsch geschnitten), um sich gefährliche Stunts zu sparen.
Und leider: Nichts hängt miteinander zusammen. Der Tod eines "bösen Menschen" führt trotzdem zu "Gefühlsausbruch", auferstandene Tote tauchen auf auf und werden gleich wieder stehen gelassen, am Ende der ewigen Flucht "muss" plötzlich umgekehrt werden, der fiese Killer sieht aus wie mein Lieblingskomiker Brian O'Halloran (= Dante Hicks in CLERKS und CLERKS II), Buddy Leon wechselt jeden Augenblick den Charakter, ein folgenloses Pokerspiel macht Feinde zu Freunden und wieder zu Feinden – wieso haben die Leibwächter nicht Jasons Revolver konfisziert? Und warum heißt er "Bartok" mit Nachnamen, wie der ungarische Komponist? (Steht vielleicht John Cale auf Bela Bartok?)
Doch egal wie amateurhaft und wie zusammenhanglos die Dialoge dahinholpern, manchmal tauchen kleine Schätzchen auf, z.B. zum Rassismus made in USA: "Choices are for Americans, not for Asian people" (Eine Wahl haben nur Amerikaner; für Asiaten gibt es sie nicht); oder die Einsicht: "Good people have terrible dreams, because bad things upset them. Bad people never have bad dreams." (Gute Menschen träumen schlecht, weil das Böse sie aufregt. Böse Menschen träumen niemals schlecht.) Oder die Beschreibung eines Lebens als Sexsklavin. Oder wenn die Videokamera gerade nicht wackelnd rumgetragen wird oder an zu heller Ausleuchtung krankt, zeigen einzelne Einstellungen echte Schönheit, sogar wenn Bai Ling nicht im Bild ist. Die Show im Amargosa Opera House hat sogar einen Hauch von Größe.
Und das Beste: PARIS wirkt, als sähe ich keinen bezahlten (wurden sie das denn überhaupt?) Schauspielern zu, sondern echten Leuten, die sich aufrichtig bemühen, in ihrer Freizeit einen "seriösen" Film zu machen. Und Bai Ling "in echt" zuzusehen ist natürlich eine Augenweide, ob sie ihre diversen Spaghettiträger-Tops auslüftet, ihre Blumenkleider IN THE MOOD FOR LOVE imitieren oder sie mit nassen Haaren am Pool abhängt. Darauf basiert ja die Faszination von Youtube & Co., dass wir als Spanner ins Privatleben echter Menschen blicken können, die meinen, sich auf billigem Video ausdrücken zu müssen. (Übrigens, manche Leute meinen: "Das Ausdrücken sollte aufs Klo beschränkt bleiben".) Und so ist auch PARIS.
Dass diese ambitionierten Objekte oft scheitern, so wie PARIS, und wir das hautnah, quälend miterleben,berührt uns dann mehr als die gestelzten, bemühten Dialoge dieser Filme, oder deren abstrusen, meist von "richtigen" Filmen abgekupferten Handlungen. Zu denen in PARIS auch noch tragisch sterbende Königskinder gehören, die nicht zueinander finden konnten. Sinnbild für den ganzen Film, der nicht erreicht, was er sich vornahm.