Review
von Leimbacher-Mario
Gewagt, nie betagt
Bibel- und Jesusfilme sind oft genug recht träge, altbekannte und langweilige „Geschichtsfilme“. Aber alle paar Jährchen wagt sich ein talentierter und/oder mutiger Regisseur an den legendären Stoff und ein kleiner Skandalfilm entsteht. Meist ist der Aufschrei in katholisch-extremen Kreisen lauter als in der breiten Masse, aber immerhin sind mir solche Querflieger lieber als das immer wieder der gleiche Staub aufgewirbelt wird. Martin Scorseses „The Last Temptation of Christ“ gehört zum Glück weder in die mutlose noch in effekthaschende Schublade - denn seine Interpretationen der entscheidenden Jahre im Leben Jesu sind sehr interessant, gekonnt und (trotz üblich fast monumentaler Lauflänge) unterhaltsam…
„The Last Temptation of Christ“ ist in intellektueller und vielerlei Beziehung das Gegenstück zu Gibsons „Passion“ - aber im Grunde zudem auch noch keinen Deut weniger schockierend. Bibelkunde war selten cleverer, vielschichtiger und unterhaltsamer, moderner und zeitloser. Dafoe als Jesus hat entscheidende Emotionen und Facetten, ist keineswegs nur die unnahbare Überfigur. Die ausgewählten einzelnen Episoden aus seinem Leben und der Bibel werden gut verbunden, interpretiert und sogar hinterfragt. Das Finale ist großes, diskussionswürdiges Kino, das sogar etwas an „The Green Knight“ erinnert. Die Nebenfiguren sind ebenfalls top besetzt. Und die Balance aus Epik und Intimität wird erstaunlich gefühlvoll gehalten. Daher: zurecht in der Criterion Collection, nicht nur für Christen und eine der interessantesten filmischen Bibelumsetzungen aller Zeiten.
Fazit: Mut statt Massaker, Bedeutung statt Bibeltreue, Dafoe statt Klaws - Scorseses aufwändige Interpretation der Jesusgeschichte ist außergewöhnlich, stellt intelligent die richtigen Fragen, setzt reizend die richtigen Druckpunkte. Persönliche wie kirchliche, geistige wie geistliche. Kann was. Selbst wenn er für mich nicht total top class Scorsese spielt.