Review

"Die letzte Versuchung Christi" gehört zu den Filmen, die es schwer haben, objektiv beurteilt zu werden; es geht um religiöse Themen. Da stehen viele Meinungen schon vorher fest, und und sehr schnell wird nicht mehr davon gesprochen, was der Regisseur getan hat und wie er es getan hat, sondern vor allem wird gefragt: darf der das? Soll der das? Einem Künstler wie Scorsese wird man so nicht gerecht, weder, indem man ihn als Ketzer beschimpft (welche Ironie: kaum ein anderer Regisseur packt so viel christliche Weltanschauung in seine Filme), noch, indem man ihn als Kämpfer gegen kirchliche Lehrmeinungen stilisiert. Differenzierung ist angesagt!

Zunächst einmal: dies ist eine Romanverfilmung, KEIN Bibelfilm. Das Leben und Sterben Jesu ist hier "nur" die Schablone, auf welcher der menschliche Konflikt zwischen geistiger Willenskraft und fleischlichen Verlockungen ausgetragen wird. Die Arena für diesen Kampf ist die menschliche Seele selbst. Ich kann gut verstehen, dass strenggläubige Christen es nicht gern sehen, dass das Leben Jesu hierfür "missbraucht" wird (bin selber beruflich für die Kirche tätig). Ich bin aber auch der Meinung, dass es Film und Kunst erlaubt sein muss, solche Befindlichkeiten zu ignorieren und sich frei zu äußern. Warum sich allerdings beide Anschauungen nicht vereinbaren lassen sollen und stattdessen verbale Grabenkämpfe abgehalten werden, ist mir von beiden Seiten her schleierhaft!!!

Zum Film selbst: handwerklich astreines Kino, Schauspieler gut besetzt und gut aufgelegt, allen voran Keitel als Judas. Drehbuch absolut glaubwürdig, die Stationen eines Heilands, der erst noch einer werden muss, sind vollkommen logisch ineinander gefügt. Selbst Judas, sonst zu unrecht als egoistischer Verräter dargestellt, gewinnt hier Tiefe als notwendiges Glied im göttlichen Plan. Überzeugend auch die Kurzauftritte von Paulus, leider bleiben die restlichen Apostel eher blass. Das schadet dem Film zwar nicht, ist aber in meinen Augen eine verpasste Chance. Dafür bleibt der Fokus natürlich stärker auf Jesus und Judas.

Das Konzept des Filmes/des Buches muss man halt mögen, ich als sehr gläubiger Mensch halte es schlicht für genial! Und auch gar nicht so weit vom kirchlichen Dogma entfernt, wie manche gern hätten. Jesu Leiden und Tod wären kein wirkliches Martyrium, wenn es nicht qualvoll wäre, wenn er als Gott über den Dingen stünde. Nur sein freiwilliger (!) Verzicht auf irdisches Glück und Annahme des unerträglichen Leidensweges geben seinem Martyrium erst seine universelle Heilswirkung für die Menschheit. Die Ausschmückungen, die sich der Film leistet, sind natürlich in keiner Weise biblisch, um so mehr aber sehr realistisch.

Was soll man zu Kamera / Schnitt / Regie sagen? In meinen Augen gehört das, was Scorsese mit Ballhaus geschaffen hat, zu den Sternstunden des Kinos, und zu Schoonmaker gibt es für Scorsese-Filme eh keine Alternative. Einfach top, was die Drei hier wieder gezaubert haben. 

FAZIT: Statt ideologische Kämpfe auszutragen lieber den Film anschauen! Scorsese behandelt auf brillantem handwerklichen Niveau Themen, denen sich auch weniger göttliche Menschen in ihrem Leben stellen sollten.

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