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---VORSICHT: IM VORLETZTEN ABSCHNITT SPOILER ZUM FINALE DES FILMS---

Clint Eastwood geht das Thema Gewalt und Gegengewalt anders an als in den alten, dreckigen Zeiten. Anstatt es bei vordergründigen Motiven zu belassen, die völlig zur Begründung einer jeden Bluttat genügen wie bei Dirty Harry (dessen vierten Teil er in eigener Regie mit einem klaren Bekenntnis zur Selbstjustiz enden ließ), geht er in Mystic River auf die Nachwirkungen der Gewalt ein und durchleuchtet ihre durchweg negativen Auswirkungen auf den menschlichen Geist. Der große Clou (in mehrerer Hinsicht) erfolgt dabei erst zu Ende des Films.

Wer einen spannenden, harten, düsteren, aber letztendlich irgendwie befriedigenden Thriller erwartet, sollte sich die Zeit sparen oder aber seine Erwartungen ändern und sich auf ein unangenehmes Drama einrichten. Denn er wird belohnt werden. Dieser Film hat in jeder Hinsicht hohe Qualität.
Da sind zum Einen die Bilder, die Eastwood dem Zuschauer in ihrer grauen, ausgewaschenen Trostlosigkeit entgegenwirft. Sie zeigen Nachbarschaften, an denen eigentlich nichts Schlechtes sein sollte, spielende Kinder und ein Auto. Zwei Männer sitzen darin und haben einen perfiden Plan gefasst. Einer der drei spielenden Jungen wird aus seiner Jugend gerissen, erschreckend gut dargestellt durch seinen Namen, den er nach denen seiner Freunde in nassen Zement ritzen wollte, der aber unvollendet bleibt, weil einer der Männer ihn anspricht.
Er wird für immer gezeichnet sein, gefangen in vier Tagen, von denen er nie jemandem in vollem Umfang erzählen wird. Auch, als er erwachsen ist, bleibt er gebrochen, scheint unberechenbar, verbindet alles mit seiner toten Jugend. Als die Tochter eines seiner Jugendfreunde stirbt, kommt der dritte im Bunde, mittlerweile Polizist, naheliegenderweise auf ihn. Die Indizien häufen sich. Immer wieder zeigen wiederholte Kameraeinstellungen die Parallelen zwischen Damals und Jetzt, lassen den Zuschauer nie in Frieden. Dabei strahlen sie durch ihre langsame Schnittfolge und ruhigen Schwenks eine gefährliche Stille aus, die versucht, verborgen zu halten, was irgendwann herausbrechen muss.

Dass dies geschieht, ist unvermeidlich und wird von den Schauspielern jederzeit zum Ausdruck gebracht. Kevin Bacon, der den Polizist Sean spielt, ist seiner Jungend von allen am meisten entwachsen. Zwar holt sie ihn wieder ein, jedoch bleibt er ihr stets fremd; sein Beruf steht zwischen ihm und seinen beiden ehemaligen Freunden, die zunehmend zu Kontrahenten werden. In seiner professionellen, aber letztlich hilflos-blassen Art kann er die Eskalation nicht verhindern.
Denn der Vater des toten Mädchens, Jimmy, ist heißblütig. Es verlangt ihn nach Rache. Hier haben wir es wieder, das klassische Motiv, dass Clint Eastwood ständig zu verfolgen scheint. Glorifizierung wird jedoch vermieden. Sean Penn, der Jimmy spielt, ist nicht etwa ein eindimensionaler Vater auf der rechtmäßigen Suche nach Genugtuung, sondern hin und her gerissen zwischen Trauer und Wut. Nicht cool, sondern emotional aufgeladen und damit verletzlich präsentiert sich Jimmy. Nein, ein Held ist er zum Glück nicht. Penn spielt den innerlich zerrissenen, aber schrecklich entschlossenen Familienvater mit einem Einsatz, der bemerkenswert ist, da er nie ins Overacting abdriftet, sondern stets glaubwürdig bleibt. Dass man ihm Jimmy so selbstverständlich abnimmt, wurde bekanntlich auch gut belohnt.
Der andere ebenfalls Entlohnte ist Tim Robbins. Er spielt den gebrochenen Dave. Die stille Verzweiflung, die er dabei zum Ausdruck bringt, wirkt durchgängig echt. Man merkt Dave an, dass er sich jemandem anvertrauen möchte, ohne dass er die Kraft dazu findet. Robbins' Leistung sehe ich mit Penns auf mindestens dem gleichen Niveau, da er es fertig bringt, seinen vielschichtigen Charakter in wenigen Gestiken und Gesichtsausdrücken auszuloten, ohne sich dabei anzubiedern und zu viel preiszugeben.
Obwohl der Supporting Cast nicht an die Hauptdarsteller heranzukommen vermag, sind die Leistungen auch hier gut. Besonders sicht Laurence Fishburne heraus, der als Seans Partner gleich viel Screentime bekommt und diese trefflich zu nutzen weiß. In seiner etwas distanzierten, lockeren Art gibt er dem Film zusammen mit Bacon den Schwung, den er nötig hat, um nicht zu langsam und trübsinnig zu werden.

Das Ende von Mystic River bleibt wohl der härteste Brocken des gesamten Films. Nachdem die Gegengewalt gleich doppelt auf die Gewalt vom Beginn des Films reagiert hat, bleibt die neue Unrechtstat ungesühnt. Ein Mord ist geschehen, aber alles, was der Film zu bieten scheint, ist eine fadenscheinige Begründung durch die Frau des Mörders und eine gleichgültig fröhliche Parade, die über das Vergangene wortwörtlich hinwegtrampelt, indem sie in lustigem Marsch durch die Straße zieht, wo alles begann. Die Frau des nun Toten schreit verzweifelt ihrem Sohn zu, der auf einem Wagen der Parade sitzt, doch dieser reagiert nicht. Alles beginnt von vorn, ja, Eastwood präsentiert uns einen perfekten Teufelskreislauf. Dabei tritt er das Gerechtigkeitsgefühl des Zuschauers mit Füßen, denn der Mörder darf mit aufgesetzter Sonnenbrille (scheinbar) selbstgefällig auf all das neue Leid blicken, das er verursacht hat, ohne dass er bestraft werden würde oder es ihn zu kümmern scheint.
Dieses Unrecht lässt Eastwood ganz bewusst so stehen. Wo Dirty Harry 4 mit seiner zweifelhaften Gerechtigkeit in den Abspann überblendete, gibt es hier nichts dergleichen. Die scheinbare Glorifizierung der Tat zum Schluss von Mystic River ist deshalb keine, weil der Zuschauer sich wünscht, dass sie gerächt wird. Ja, der Zuschauer möchte sehen, wie der Täter Blut spuckt. Fällt jemandem etwas auf? Eastwood erwischt die Emotionen, die so viel Leid verursachen können, beim Schopf und führt sie dem überführten Zuschauer vor die eigene Nase. Was als Drama über die Nachwirkungen einer Vergewaltigung beginnt, endet als hintergründige Botschaft gegen Rache und Selbstjustiz.

Clint Eastwood hat hier eine bemerkenswerte Regieleistung abgeliefert, die ich ihm nach seinen alten Filmen so nie zugetraut hätte (hätte ich nicht im Vorfeld einiges über diesen Film gehört...). Ein grandios gespieltes Drama mit eindringlichen Bildern und einer ebenso eindringlichen Botschaft entfaltet sich hier in aller Stille, die mir in Gegensatz zu anderen nie zu langatmig wirkte. Ein Film mit Nachhall!

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