iHaveCNit: Pleasure (2022) – Ninja Thyberg - Weltkino
Deutscher Kinostart: 13.01.2022
gesehen am 18.01.2022
Arthouse-Kinos Frankfurt – Harmonie – Kleine Harmonie – Reihe 3, Platz 9 – 21:00 Uhr
Als ich mir die aktuellste Deadline geholt und ein wenig in den Berichten über kommende Filme geblättert und gelesen habe, ist mir der Film „Pleasure“ so prägnant ins Auge gefallen, dass die Berichte und Interviews mein Interesse an dem Film geweckt haben. Der Film ist das Langfilmdebüt von Regisseurin Ninja Thyberg und das Schauspieldebüt von Sofia Kappel – und mittlerweile zurecht für 7 Preise beim schwedischen Filmpreis „Guldbagge“ nominiert. Regisseurin Ninja Thyberg hat vor einigen Jahren mit einem gleichnamigen Kurzfilm bereits für Furore im Milieu gesorgt, in dem „Pleasure“ spielt und sich über die letzten Jahre so sorgsam Kontakte und Hintergründe erarbeitet, auf ihrem Kurzfilm basierend diesen Langfilm zu inszenieren – der schon jetzt für mich ein starkes Highlight meines Kinojahres 2022 darstellt.
Sie liebt Schwänze, hat Lust auf Sex und träumt von einer Karriere als Pornostar „Bella Cherry“ in LA. Die junge Schwedin Linnéa zieht von ihrer schwedischen Einöde nach Los Angeles mit der Intention des Vergnügens. Ohne zu ahnen, dass der Weg nach oben absolut kein Vergnügen ist und die Grenzen und Grenzüberschreitungen noch feiner und knapper sind als die schon sehr feinen Stücke Stoff, die man bei der Produktion von Filmen dieser Art zu tragen und auszuziehen pflegt. Und ohne zu ahnen, was der eigene Ehrgeiz und der äußere Leistungsdruck für eigene charakterliche und menschliche Opfer fordert.
Das Geschäft der US-Amerikanischen Pornoindustrie ist eine rein kapitalistisch orientierte Geldmaschinerie, bei der Gewinnmaximierung an oberster Stelle steht und die Menschenwürde quasi durchgenommen und vergewaltigt wird. Ich kann es mir nur vorstellen und habe an dieser Stelle keine statistischen Quellen, aber sowohl die Entwicklung von Internet und Social Media als auch die sich im Spannungsfeld der sexuellen Befreiung der Frau ergebende sexuelle Frustration der Männer haben auf das Geschäft der Pornoindustrie einen entscheidenden Einfluss. Denn in Zeiten des Internets reichen wenige Klicks für den Zugriff auf einschlägige kostenfreie Seiten, die teils sogar urheberrechtlich geschütztes Material von Filmstudios oder Bildmaterial von Content Creatorinnen bieten. Das macht das Geschäft um das große Geld in der Branche noch härter als es ohnehin schon ist. Der große Hauptteil der Kunden in diesem Geschäft ist soweit ich mir das vorstellen kann auch eben männlich. Die Branche und Industrie, in der auch größtenteils Männer hinter der Kamera, an der Spitze von Produktionsstudios und Modelagenturen zu finden sind, weiß man bestens darüber Bescheid, dass das sexuelle Lustempfinden bei Männern durch visuelle Schlüsselreize gesteuert wird – dem größtenteils in der Branche vorzufindenden „Male Gaze“, der die Filme auf die größt- und bestmöglichen visuellen Schlüsselreize optimiert und nahezu alles zu sehen ist und auch gezeigt wird. Gerade in einem meiner Lieblingsfilme „Don Jon“ von Joseph Gordon-Levitt wird auch genau diese Faszination und die Vorstellungen von Sexualität eines Konsumenten von Pornofilmen bestätigt und seziert. Dabei ist es aber ein sehr schmaler Balanceakt zwischen kurzfristiger sexueller Befriedigung hin zum krankhaften Suchtverhalten, das die Potenz und das Verhältnis zur Sexualität nachhaltig negativ beeinträchtigen kann – gerade auch, wenn man durch den Konsum selbst abgestumpft wird. Ich selbst sage an dieser Stelle, dass auch ich durchaus unregelmäßig Filme dieser Art schaue und daher die Inszenierung nach „Male Gaze“ und auch die in „Don Jon“ geschilderte Faszination bestätigen kann. Auch wenn es einige Darstellerinnen gibt, die selbst Filme als Regisseurinnen stemmen, so kommt man nicht umher auch dort nach „Male Gaze“ optimierte Filme zu inszenieren.
Auch wenn dieser Einstieg gerade etwas lang gewesen ist, musste er an dieser Stelle einfach raus, weil ich persönlich das einfach als ergänzende Gedanken niederschreiben wollte und das zum Thema des Films selbst ganz gut passt. Thybergs Film ist im Kino eine unangenehme und teils auch immersive Erfahrung geworden, da wir in diesem Film auch oft die weibliche Perspektive einnehmen und damit etwas geboten bekommen, das sicherlich auch in Richtung des „Female Gaze“ geht. Wir sind fast den gesamten Film an der Seite der von Sofia Kappel roher und absolut grandios gespielten „Bella Cherry“und erleben aus ihren Augen wie hart das Pornogeschäft tatsächlich ist und was die Erfahrungen auch mit der eigenen Psyche, dem Charakter und auch Freundschaften macht. Dabei erleben wir sie in Fotoshootings, bei Dreharbeiten, bei Gesprächen mit Agenten und auch auf einschlägigen Messen. Auch wenn Fotoshootings und die Gespräche mit Agenten bereits einen kleinen Einblick geben, wie unangenehm die Arbeitsumgebung und das Umfeld sein kann, so bietet der Film bei den Dreharbeiten zu entsprechenden Szenen extrem eindeutige und auch unangenehme Bilder, die lange im Kopf bleiben. Der Film zeichnet einen starken Kontrast zwischen den behutsamen, fürsorglichen Umgang auf einem Set für Praktiken der härteren Fetischisierungen und Gangarten, während auf einem anderen Set der eigentlich eher harmlosere Hardcorekram durch den dort dargestellten Inhalt einer Vergewaltigung die Grenze trotz vertraglich vereinbarten Consent genau dieser behutsame, fürsorgliche Umgang fehlt und die Grenze ganz klar überschritten wird. Auch wird dort der schmale Grat zwischen Fetischisierung und Rassismus thematisch integriert, gerade wenn Linnéa abseits der Dreharbeiten mit einem afroamerikanischen Darsteller über dessen Spezialität spricht und später auch mitbekommt, mit welchem Druck auch er ausgesetzt ist. „Pleasure“ ist aus filmischer Sicht in seiner speziellen Art und Weise ein Vergnügen geworden – so authentisch, bodenständig und ehrlich ohne jeglichen Voyeurismus und sehr ausdifferenziert einen Blick in die Pornoindustrie zu bekommen und dann auch noch mit einer solchen Inszenierung einen Sog zu entwickeln, der einen auch wenn es unangenehm ist an den Film zu binden macht „Pleasure“ zum ersten richtigen Highlight meines Kinojahres 2022. Ob es jedoch durch diesen Film zu einem Umdenken innerhalb der dort dargestellten Industrie in Bezug auf den Umgang mit Frauen und Männern kommt wage ich persönlich zu bezweifeln – auch wenn ein Funken Hoffnung da ist. Und dabei wäre es doch für diese Industrie von Vorteil Filme mit einer feinen Ausgewogenheit und Balance zwischen dem „Male Gaze“ und „Female Gaze“ zu produzieren und mit einer positiven Stimmung am Set zu einem sexuellen Vergnügen für alle involvierten Seiten zu führen. Und da kann ich mir vorstellen, dass mit genau dieser feinen positiven Stimmung vor Ort auch bei den Darstellerinnen und Darstellern echtes Vergnügen und Lust empfunden wird, was sich sicherlich auch auf empathischer, intuitiver und emotionaler Ebene auch das Lustempfinden weiblicher Zuschauer anregen könnte, ohne komplett auf das Lustempfinden für männliche Zuschauer zu verzichten. So wäre das eine Win-Win-Situation für alle – die Produzenten, die Darsteller und auch die Zuschauer selbst.
„Pleasure“ - My First Look – 10/10 Punkte.