Raum und Zeit, Weite und Relation. In der Science Fiction expandiert die Endlichkeit dank unermesslicher Dimensionen in die Unendlichkeit. Wer sich mit ihr befasst, entflieht damit auch immer dem bereits erschlossenem Gebiet der Realität, die nur beengender wird, je besser sie erschlossen ist. Der Ausweg liegt auf der anderen Seite des Nadelöhrs. Dahinter webt die Vorstellungskraft des Geistes neuen Raum, der neue Freiheit schafft, zugleich aber auch neue Herausforderungen, denn auch die neue Freiheit möchte nun erschlossen werden. So will es der innere Drang des Eroberers. Zu lösen ist also das Problem der Überbrückung von Distanzen. Wurmlöcher, Teleportation und die Faltung des Raums entstehen daraufhin als eskapistische Träume unseres Geists, der dazu tendiert, mehr zu erfinden, als er verdauen kann.
Frank Herberts „Dune“ gehört auch deswegen zum Kanon der Science Fiction, weil er nicht einfach aus dem Nichts fremde Welten behauptete, sondern die seinen so schlüssig beschrieb, als seien sie real. Den Wüstenplaneten Arrakis, um den sich alles dreht, konstruierte er Sandkorn für Sandkorn, kartographierte ihn und überließ Größenverhältnisse jeglicher Art ihrer natürlichen Entwicklung. Schauplatz sollte nicht etwa eine hochentwickelte Megacity mit erstickender Populationsdichte sein, sondern die verschwenderisch hoch gebauten Hallen einer isolierten Herrscherfamilie, die nicht nur innerhalb der eigenen Mauern weite Wege der Kommunikation betreiben musste, sondern auch dann, wenn sie mit den wenigen anderen Häusern verhandelte, die irgendwo im Orbit verteilt waren. Strategische Züge wurden dann wie ein Echo durch das Vakuum der Stille zum Empfänger entsandt, selbst bei Staatsbesuchen mit Face-to-Face-Kontakt befanden sich zwischen den Verhandlungspartnern Distanzen wie im Wilden Westen zu High Noon. Um die langen Kontaktwege zu verkürzen, stand jedoch kein „Beam Me Up, Scotty“ bereit. Technisch komplexe Raumfahrt musste bemüht werden. Sie war auf Ressourcen angewiesen, Ressourcen, mit denen auch nach Überwindung des Mittelalters, der Industrialisierung und des Computerzeitalters wieder ein neues Wertesystem entstand. Spice war darin der wertvollste aller Rohstoffe, gebunden an ein gefährliches Ökosystem, das selbstverständlich ebenfalls in all seiner mystischen Schönheit illustriert wurde. Und so war es schon immer: Dinge von Wert sind stets mit Gefahren und Aufwänden verbunden. Ihre Seltenheit steht in „Dune“ in Relation zur Unermesslichkeit planetarischer Systeme: Worin ein Einzelner ertrinkt, das wird im Makrokosmos zur unauffindbaren Nadel im Heuhaufen.
David Lynch folgte 1984 nicht nur Herberts Fantasie, sondern auch dem Diktat seines eigenen Genies, als er mit der ersten Adaption des Romans ein schrilles Kabinett voller bizarrer Gestalten in fremdartigen Kulissen bastelte. Die in der Vorlage schlummernden geopolitischen, theologischen und ökologischen Lesarten konnte Lynch konservieren, jedoch wurden sie von seinem Dirigentenstab aufgewirbelt wie von einem Sandsturm und anschließend zu einer neuartigen Skulptur zusammengesetzt. Dass Denis Villeneuve hingegen mit seiner ambitionierten Neuauflage viel näher an der Essenz des Romans bleiben würde, konnte man bereits durch ein Studium seines anderen großen Werkes der Science Fiction prognostizieren. Schon „Arrival“ war schließlich ein zutiefst haptischer Film, der Ungreifbares begreiflich machte, der Geometrie für sich sprechen ließ und in der Narrative die Relativität von Zeit nutzte. Mit „Dune“ perfektioniert er diese Qualitäten auf einzigartige Weise, nicht ganz ohne die Ironie, dass es nur die erste Hälfte des ersten Romans ist, die er im ersten Anlauf verfilmen darf. Perfektion im Sinne von Vollständigkeit bleibt somit vorerst aus.
Die Landschaften auf dem Wüstenplaneten müssten eigentlich spröde und karg auf die Sinne einwirken, sie sollten aufgrund ihrer monotonen Unwirtlichkeit völlig uninteressant erscheinen, insbesondere für das auf schnelle, steile Kontraste konditionierte Publikum. Spektakuläre Raumschlachten und wilde Ritte auf Sandwurmrücken bleiben jedenfalls aus, stattdessen dominieren lange Ketten bruchstückhafter Kommunikation, die nicht nur durch Mimik und Gestik komplementiert werden, sondern auch durch Ornamente und Architektur. Villeneuve gönnt sich riesige Leinwände anstatt endloser Wortschwalle, um die Handlung voranzutreiben, er verlagert die Inhalte vom Dialog ins Bild und erzeugt dadurch die Illusion, eine simple, womöglich gar inhaltsarme Geschichte zu präsentieren, die sie aber bei näherer Betrachtung gar nicht ist.
So wird im Umgang der Figuren miteinander, in ihrem ritualisierten Handeln, ihrer funktionalen Kleidung, ihren austarierten Überlebensstrategien, kurz: in ihrer existenziellen Navigation durch den Orbit ein Strauß an Subtexten freigelegt, der nahezu sämtliche Substanz des Films in sich birgt. Die Ränkespiele der Herrschenden durchlaufen keine unnötige Verästelung, wie man sie etwa in der Fantasy-Serie „Game of Thrones“ beobachten konnte, die in der Ursprungskonstellation gewisse Ähnlichkeiten mit den ersten Szenen aus „Dune“ teilt. Überraschend leicht fällt es, die Wechselwirkungen zu verstehen, die sich im interplanetaren System durch das Handeln einzelner Befehlshaber ergeben. Sie mögen deswegen so verständlich sein, weil im Hintergrund logisch durchdachte Kreisläufe zirkulieren, die erst durch die akribische Beladung von Symbolen mit Bedeutung zum Leben erweckt werden. Es sind faszinierende, spannungsreiche Entwicklungen, die sich da aus nüchternen Beschreibungen ergeben. Sie sind bis ins letzte Detail durchdacht, so dass man glauben könnte, der Zeuge einer 8.000 Jahre voraus liegenden Zukunft habe sie protokolliert. Das ist eine der größten Stärken des Romans, die Villeneuve fast verlustfrei ins Audiovisuelle zu übertragen versteht.
Der geschwätzige Status Quo des zeitgenössischen Blockbuster-Kinos, das alles zerreden und, wenn möglich, auch noch ironisieren muss, wird so endlich wieder für einen Moment stillgelegt. Der Roman war monumental, nicht jedoch aus Redseligkeit, sondern weil er großzügige Räume schuf, um die Miniatur eines Ausblicks in eine ferne Zukunft möglichst detailliert und maßstabsgetreu wirken zu lassen. Nichts anderes geschieht im phänomenalen, phasenweise überwältigenden Produktionsdesign dieses Films. Vom pulsierenden Blut in den Adern des Ohrs einer Wüstenmaus bis zum abstrakten Muster der Dünen aus der Vogelperspektive wird das gesamte Spektrum der möglichen Einstellungsgrößen der Kamera bedient. In ihnen befinden sich Bauwerke, Transportmittel, Gerätschaften und organische Kreaturen von erstaunlichem schöpferischen Einfallsreichtum, Ästhetik und Funktionalität miteinander vereinend zu einer beispiellosen Symbiose. Jede Einstellung scheint dazu gemacht, sich an ihr und den in ihr befindlichen Objekten zu delektieren. Da sind einerseits die majestätischen Raumschiffe, Tragwerke und Erntemaschinen, die sich träge und doch zielsicher zwischen den Palastwänden und Sandbergen, zwischen Erde und Luft bewegen. Vom Regisseur werden sie inszeniert wie museale Weltwunder, die man eigens besucht, um sie zu bestaunen. Oft betrachtet man sie aus der Ferne, eingebettet in eine Landschaft von noch erstaunlicherer Größe. Die Bilder erreichen in diesen Augenblicken wahrhaft epochale Ausmaße, man könnte sie gar als Quintessenz ihres Genres bezeichnen. Kleine Meisterwerke inmitten dieser unvorstellbaren Durchmesser von Längen und Breiten sind vermutlich die Ornithopter, libellenartige Flugkörper, die von Villeneuve häufig und variabel in Szene gesetzt werden. Sie sind die Navigatoren des Films, auch weil sie mit organischer Anmut genau das tun, worum es bei unerschlossenem Land immer gehen muss: Sie vernetzen weit entfernte Punkte miteinander.
Und was wären derart prachtvolle Ausblicke ohne die entsprechende Klangkulisse. Erst Hans Zimmer liefert das notwendige Ventil, um der Ausdruckskraft Gehör zu verschaffen. Wispernde Chöre rasseln vom Wind getragen von einem Lautsprecher zum nächsten, der Sand scheint in mancher Sequenz sogar eigens für den wummernden Bass kleine Tänze aufzuführen. Orientalische Tonleitern geistern in den hohen Frequenzen umher und markante Streicher durchschneiden die ausgeblichene Optik, die vom Staub aufgewirbelter Sandkörner und matter Sonneneinstrahlung geprägt ist. Und wer schon die Drones aus „Blade Runner 2049“ als markerschütternd empfand, bekommt hier noch einen satten Nachschlag serviert. Speziell den Sandwürmern verhilft der Score zu einer spektakulären Dramaturgie: Eigentlich besteht ihr erster Auftritt lediglich aus Sand, der seine Gestalt verändert, doch während man Zeuge wird, wie er scheinbar seinen Aggregatzustand verändert, ohne je die Verursacher vollständig zu entblößen, jagt Zimmer Druckwellen durch den Körper des Zuschauers, denen sich zu entziehen kaum möglich ist, ohne mit großen Augen auf die sich formende Schlucht in dem Meer aus Sedimentgestein zu starren, die von den sich windenden Kristallbarten im Maul des Wurms erzeugt wird.
Nicht nur bei den Sandwürmern zeigt sich, wie sehr sich „Dune“ den etablierten Blockbuster-Sehgewohnheiten entzieht und sie in manchem Abschnitt vielleicht sogar bewusst manipuliert. Das antiklimaktische Ende ist hier vor allem zu nennen, entscheidet sich der Regisseur doch nicht für einen großen Knall mit Cliffhanger, sondern wagt selbstbewusst, in diesem Epilog den Beginn einer Reise einzuleiten, vollkommen überzeugt davon, diese schon bald zu Ende führen zu können. Die Besetzung ist zwar gespickt mit großen Namen, die aber zumeist vollständig hinter ihren Rollen verschwinden. Humor benötigt es kaum; weder braucht ihn diese Adaption noch das große Kino allgemein, das derzeit ohnehin von Humor überschwemmt ist. Einzig Jason Momoa als Duncan Idaho und Josh Brolin als Gurney Halleck, zwei Vertraute der Hauptfigur, dürfen ihre Entwicklung mit einer augenzwinkernden Note begleiten, wobei Erstgenannter als Einziger aus dem Cast nicht ganz verwischen kann, aus welcher Sorte Film er in diesen hinübergeschwommen ist. Hauptdarsteller Timothée Chalamet als Paul, Oscar Isaac als Leto und Rebecca Ferguson als Lady Jessica bewahren sich derweil in tragenden Rollen den angemessenen Ernst und lassen darin eine vielschichtige Charakterentwicklung erblühen. Einige kreative Freiheiten erlaubt sich Villeneuve bei der Darstellung der Harkonnen, nimmt ihnen damit aber nichts von ihrer Bedrohlichkeit; im Gegenteil. Gerade Stellan Skarsgard benötigt nur wenige Minuten auf der Leinwand, um eine ölige Aura diffuser Bedrohlichkeit zu erzeugen, wobei er von der schlichten, aber effektiven Maske ebenso sehr profitiert wie vom technischen Design des Films.
Kein Wunder, dass „Dune“ einst den Weg ebnete für Space Operas wie „Star Wars“. Wenn man die wundervoll kargen Planeten auf die Leinwand gebannt sieht, die Frank Herbert einst mit Worten beschrieb, möchte man nichts sehnlicher, als ein Universum auf ihnen zu erbauen. In einer gerechten Welt geschieht das bald in Form des in Aussicht gestellten zweiten Teils. Diesen ausgerechnet diesmal nicht folgen zu lassen, hätte etwas zutiefst Tragisches. Denn mit dem ersten Teil von „Dune“ erschuf Denis Villeneuve nicht einfach nur einen brillanten Prolog; er legt in weiser Voraussicht bereits das Fundament, damit sich ein folgendes Epos nahtlos daran anschließen kann.