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Ok, langsam aber sicher muss ich mir als in die Jahre kommendem Filmfreund wohl endgültig eingestehen, dass sich die Innovation des „Blair Witch Project“ auf das Marketing-Brimborium im Vorfeld beschränkte, denn nicht nur „The Last Broadcast“ und, was die „Found Footage“-Thematik betrifft, Filme à la „Cannibal Holocaust“ gab es bereits vorher, sondern auch Rainer Erlers Mystery-Science-Fiction „Die Delegation“, die im Jahre 1970 (!) für das ZDF (!) produziert wurde. Dass Autorenfilmer Erler sowohl ein Händchen für Science Fiction („Operation Ganymed“) als auch für ein breites Publikum erreichendes Unterhaltungskino mit deutlicher Aussage („Fleisch“) hatte, durfte ich bereits während meiner vorausgegangenen Auseinandersetzung mit diesem zu Unrecht in Vergessenheit geratenen und unbedingt wiederzuentdeckenden Kapitel der deutschen Kino- bzw. Fernsehkultur positiv überrascht zur Kenntnis nehmen. „Die Delegation“ aber toppt beide Filme und gehört zum Besten, was ich bisher an deutschen TV-Filmen zu sehen bekam.

Will Roczinski (Walter Kohut, „Die Brücke von Arnheim“) ist ein TV-Reporter, der ganz seinem Beruf und damit der Realität, der Skepsis und der Wahrheitsfindung verpflichtet ist und mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht. Ein Wendepunkt in seinem Leben soll jedoch eine Reportage über einen „Ufo-Kongress“ an die Existenz außerirdischer Lebewesen und deren Besuche auf Erden glaubender „Ufologen“ werden. Als er dort von einer angeblichen Ufo-Sichtung in Kanada erfährt, reist er an den Ort des Geschehens und macht eigenartige Entdeckungen. Immer mehr überwindet er seine anfängliche Skepsis und erliegt selbst der Faszination des Themas. Sein Arbeitgeber, der TV-Sender, hingegen ist wenig begeistert von Roczinskis Alleingängen und kündigt schließlich seinen Arbeitsvertrag. Auf eigene Faust ermittelt Roczinski weiter, stirbt jedoch nach einer Verkettung mysteriöser Phänomene bei einem Autounfall…

„Die Delegation“ ist dabei im Stile einer „Mockumentary“, einer vermeintlichen Dokumentation, aufgebaut. Im Rahmen der fiktiven Fernsehsendung „aktuelles forum“ wird anhand der Auswertung der von Roczinski hinterlassenen Bild- und Tondokumente über dessen Unternehmungen und seinen rätselhaften Tod berichtet. Dabei fährt Erler das komplette Repertoire auf, das später einen Film wie „Blair Witch Project“ zum Kassenknüller machte: Roh und unbearbeitet erscheinendes Material, Wackelkamera, steigende Hysterie und Paranoia des Protagonisten und eben auch schemenhafte, in mehrere Richtungen interpretierbare Aufnahmen von Erscheinungen, die diffus und uneindeutig bleiben unter weitestgehendem Verzicht auf Spezialeffekte. Diese Uneindeutigkeit ist zudem neben dem großartigen, hochgradig authentisch wirkenden Schauspiel Walter Kohuts eine der großen Stärken des Films. Innerhalb eines von der US-amerikanischen Mondlandung und den Theorien eines Erich von Däniken für derartige Themen sensibilisierten gesellschaftlichen Klimas beantwortet „Die Delegation“ die Frage nach der grundsätzlichen Möglichkeit intelligenten außerirdischen Lebens mit einem zaghaften Ja, liefert aber lediglich eine Aneinanderreihung seltsamer, schwer bis nicht zu erklärender Phänomene, die nüchtern betrachtet nicht viel aussagen, zusammengesetzt wie in den sich entwickelnden Theorien Roczinskis den Besuch extraterrestrischer Wesen aber als eine mögliche, naheliegende Interpretationsmöglichkeit anbieten.

Dabei scheint sich mir „Die Delegation“ eng an damals wie heute aktuelle Überlieferungen und Theorien zu halten, ob nun Entführungen durch Außerirdische mit anschließendem Gedächtnisverlust, Dänikens Hypothesen von der Prä-Astronautik oder brisante Informationen zurückhaltende, staatliche Behörden. Gedreht an Originalschauplätzen in Deutschland, Kanada, den USA und Peru, entfaltet sich eine beunruhigende, rätselhafte Atmosphäre, in der alles möglich scheint, sich Roczinski aber mehr und mehr in einer spürbar vorhandenen, aber nicht näher definierbaren Gefahr verliert. Hat er es tatsächlich mit einer außerirdischen Macht zu tun? Oder sind geheimbündnerisch agierende Behörden hinter ihm her? Oder verfällt er schlicht dem Wahnsinn, ist vollkommen gefangengenommen von einer fixen Idee, der er jegliche Vernunft unterordnet? Keine dieser Fragen wird dem verunsicherten Zuschauer beantwortet, der mit Erlers Gedankenspiel allein zurückgelassen und angehalten wird, seine eigenen Überlegungen anzustellen und entsprechende Schlüsse zu ziehen.

Wie feinfühlig Erler seinerzeit mit der Thematik umging und ihm eine nahezu perfekte „Found-Footage-Mockumentary“ gelang, mit der seiner Zeit offenbar voraus war, ringt mir großen Respekt und eine Empfehlung für Freunde derartiger Filme, Ufo-Fans und -Skeptiker sowie Science-Fiction-Interessierte gleichermaßen ohne jedes Wenn und Aber ab. Erstaunlich, was damals im öffentlich-rechtlichen Fernsehen möglich war.

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