Nicht umsonst gilt die Mathematik als leidenschaftlicher Spielverderber. Ihr Fürsprecher ist der schlaksige Herr mit Strichmund oder die verbitterte Dame mit Bibliothekarinnen-Frisur, als deren einzige Leidenschaft im Inneren ein Zahlensalat brodelt. Und sie haben natürliche Feinde. Solche wie beispielsweise „Attack All Monsters“. Hier wütet zum zehnten Mal Godzilla, der König der Echsen, der bekanntlich so manchen Wolkenkratzer in der Höhe überragt. Godzilla ist stolzer Paps eines Jungen, der ihm immerhin bis zur Brust ragt. Macht etwa zwei Drittel des Erzeugers. Bedenkt man nun, dass sich Godzilla Junior bald mit einem kleinen Schuljungen namens Ichiro anfreundet und beide etwa gleich groß sind, muss man sich fragen: Ist Ichiro nicht eindeutig der verflucht größte kleine Schuljunge in ganz Japan?
Klingt tatsächlich wie versemmelter Dreisatz aus der Mathe-Stunde. Strichmund und Bibliothekarin sind alles andere als amüsiert. Doch was sich hier als enormer logischer Klops der an Klöpsen nicht gerade armen Godzilla-Franchise präsentiert, ist zugleich Ausdruck der besonders kindlichen Denkweise, die Ishiro Honda, auch Regisseur des Originals, an den Tag legt. Ein Junge, der von seinen fiesen Klassenkameraden gepiesackt wird, muss schließlich im Geiste sämtliche Größenverhältnisse überwinden, möchte er sich da draußen im wahren Leben behaupten.
„Attack All Monsters“ hat nichts gemein mit der gewohnten Makroperspektive anderer Kaiju-Streifen, aus deren blindem Winkel heraus ein Riesenmutant japanische Küstenstädte angreift und in ihre Einzelteile zerlegt. Godzilla wird seiner physischen Manifestation beraubt; die Materialisierung des Phantastischen in der Realität mit der Konsequenz schreiender Japaner und feuernden Militärs verliert jede Bedeutung. Für die Erwachsenen, von denen die meisten im Film bloß gedankenverloren ihren Jobs nachgehen, bleibt Godzilla bloß eine Fernsehfigur oder ein Spielzeug auf dem Wohnzimmertisch; niemals werden die Ungläubigen mit dem tatsächlichen Anblick des Riesen hinter der Skyline konfrontiert. Die eingefahrenen Routinen des grauen Alltags bleiben spielbestimmend in Shin'ichi Sekizawas Drehbuch und Godzilla selbst wird zur Randfigur einer Fabel umfunktioniert, die in der überbordenden Fantasie eines Jungen ohne führende Hand zum Lehrstück über das Leben wird.
Wenn man so etwas richtig anstellt, findet man in dem grünen Hünen von Monster Island womöglich sogar eine geeignete Projektionsfläche für die Ängste und Sorgen japanischer Kinder, die wegen der Jobs der Eltern zur Selbstständigkeit verdammt sind. Honda erzeugt ein, zwei durchaus schöne Momente, wenn Ichiro beispielsweise vor dem Fernseher sitzt und durch die Programme zappt oder wenn er auf dem Schulweg seinen Vater im Zug vorbei brausen sieht, der ihm herzlich winkt.
Woran „Attack All Monsters“ jedoch mit Pauken und Trompeten scheitert, ist die Parabel selbst. Eingestimmt durch ein punkiges Thema mit lachhaft einfältigem Text (wenigstens in der deutschen Übersetzung), wird der Übergang in die Fantasie an einem Besuch auf Monster Island festgemacht, der schludriger kaum hätte in Szene gesetzt werden können. Ichiro wird Zeuge diverser Stock-Footage-Einschübe, die sich hauptsächlich aus dem Setting von „Frankensteins Monster jagen Godzillas Sohn“ ergeben und ein sehr preisbewusstes Denken offenbaren (insgesamt wurden gleich sechs Monster-Auftritte aus anderen Filmen in diese Produktion geschnitten). Wenn der kleine Besucher doch mal aus seinem Dschungel-Versteck heraus eine neue Szene zu sehen bekommt, dann handelt es sich um die tollpatschiges Kaiju-Theater mit Gummi-Akteuren, die hilflos Menschen zu imitieren versuchen.
So wird Zwergen-Echse Minilla zu Ichiros Stellvertreter, einem Avatar der Prä-Videospielära, der sich mit ungelenken Bewegungen an des Jungen Stelle im Ring behaupten muss – angetrieben von einem völlig zerfranst wirkenden Godzilla mit gebrauchtem Kostüm, dessen Auftritte sich zumeist aufs väterliche Anstupsen und Drängen beschränken. Beim Antagonisten Gabara handelt es sich so ziemlich um die einzige Eigenleistung des Films, einen zweibeinigen Drachendämonen mit eingedrückter Mops-Schnauze, der den Oni aus der japanischen Mythologie nachempfunden ist und demzufolge die Aufgabe hat, als gängelndes Ungeheuer die Schul-Bullies zu symbolisieren.
Wer sich zum Zeitpunkt der Sichtung im Alter des Hauptdarstellers befindet, mag sich vielleicht noch angemessen repräsentiert fühlen und eine emotionale Verbindung entwickeln, doch unter Garantie wird es keine Verbindung für die Ewigkeit. Um über das Grundschulalter hinaus interessant zu sein, bleibt der Versuch des Eindringens in die Gedankenwelt eines Außenseiter-Kindes zu oberflächlich und die symbolische Verknüpfung zwischen Monster-Welt und japanischer Großstadtindustrie zu primitiv.
Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, was einem Godzilla-Anhänger mit einem derartigen Konzept gestohlen wird; schließlich handelt es sich offiziell um einen Eintrag in die entsprechende Filmreihe. Dass Fans über die passive Nebenrolle des Dicken nicht allzu glücklich sein dürften, kann man sich an einer Hand abzählen. Souveräner wäre es gewesen, mit dem „Monster der hänselnden Mitschüler“ auch gleich ein „Monster der abwesenden Eltern“ zu erfinden (vielleicht ein doppelköpfiges Papa-Mama-Scheusal, das sich unsichtbar machen kann), um die Geschichte völlig vom Godzilla-Universum zu emanzipieren.
Unter dem Strich ist „Attack All Monsters“ eskapistischer Blödsinn, der so offensichtlich auf ein Kinderpublikum zugeschnitten wurde, dass selbst so manchem Heranwachsenden die Augen tränen dürften. Sicher stellt sich in manchem Moment ein gewisses Trash-Vergnügen ein, wie es nur ein Godzilla-Streifen zustande bringt. Diese vereinzelten Augenblicke kippen aber stets zuverlässig um in etwas Mitleiderregendes, das diesen Film schnurstracks ans unterste Ende der Hit-Skala der Reihe befördert.