Als die Corona-Pandemie das öffentliche Leben und die Filmproduktion lahmlegten, wollten Adam Mason und sein Co-Autor Simon Boyes die Situation filmisch verarbeiten, das Virus in „Songbird“ zum Thema machen und unter entsprechenden Bedingungen einen Film drehen.
Finanzielle Hilfe gab es von Michael Bay und der Produktionsfirma Platinum Dunes, wobei Bay dann gleich auch noch die (wenigen) Actionmomente des Films inszeniert haben soll. Ganz unverfroren wird die Krisenlage weitergesponnen: Die Handlung spielt im Jahr 2024, inzwischen ist durch Mutationen schon Covid-23 im Umlauf, das besonders tödlich ist. Die Menschen leben isoliert in ihren Häusern und Wohnungen, Erkrankte werden in Q-Zones, also Quarantäne-Zonen, verfrachtet und die Immunen können Tätigkeiten als Kurierfahrer oder ähnliches nachgehen. Somit ist „Songbird“ quasi Exploitation aus Hollywood, die mit einer Katastrophe noch einen schnellen Dollar machen wollte, mit seiner Veröffentlichung zum Impfstart aber fast schon zu spät kam.
Zu den Immunen gehört auch Nico (K.J. Apa), der Pakete für Lester (Craig Robinson) ausfährt. Er führt eine Art Fernbeziehung aus der Nähe mit Sara (Sofia Carson), die wie fast alle anderen Menschen in ihrer Wohnung eingesperrt ist. Komfortabler hat es dagegen das Ehepaar Piper (Demi Moore) und William Griffin (Bradley Whitford), deren Tochter Emma (Lia McHugh) zwar unter einer Atemschwäche leidet, die aber auf einem großen Anwesen residieren. Weitere zentrale Figuren sind die gestrandete Sängerin May (Alexandra Daddario), welche die Welt mit Livestreams ihrer Kunst versorgt, und der an den Rollstuhl gefesselte Veteran Dozer (Paul Walter Hauser), der für Lester Drohnenaufklärung betreibt – eine Art Panoptikum der Begüterten und der Habenichtse, der mehr oder weniger Versehrten, der Leidenden und der Profiteure der Pandemie.
Als Sofias Großmutter Lita (Elpidia Carrillo), mit der sie in einer Wohnung lebt, Covid-Symptome zeigt in die Abschiebung der beiden in eine Q-Zone droht, setzt Nico Himmel und Hölle in Bewegung, um gefälschte Immunitätsarmbänder für sie zu besorgen…
„Songbird“ ist eines von zahlreichen Corona-Projekten, bei denen die Pandemie die Produktionsbedingungen reflektiert, dies aber gleich intradiegetisch aufgenommen wird: Figuren kommunizieren vor allem über Medien, müssen Masken oder Schutzanzüge tragen, während das Ensemble sichtlich klein ist, man aber die Bilder menschenleerer Straßen und Viertel entsprechend stimmig einfangen kann. Das übersichtliche Figureninventar bedeutet allerdings auch, dass Kollege Zufall bis zur Unglaubwürdigkeit Überstunden schieben muss, damit alle Figuren eine oder mehrere Querverbindungen haben. So hat William eine ausbeuterische Affäre mit May, deren größter Fan Dozer ist, während die Griffins viel Knete mit dem Verkauf gefälschter Immunitätsarmbänder machen.
Noch unentschuldbarer sind die zahlreichen Unglaubwürdigkeiten und Logiklücken, die das Zukunftsszenario kaputtmachen. Der größte Knaller ist der: Morgens muss jeder Bürger einen Viruscheck machen, dessen Ergebnisse sofort an die Behörden gemeldet werden. Die Eingreiftruppe kommt aber erst abends, um die Leute in die Q-Zones zu transportieren, sodass diese quasi den ganzen Tag zum Abhauen haben. Natürlich gäbe es keine Handlung, würden Sofia und Lita sofort abtransportiert, aber offensichtlich nur aus diesem Grund schilderte der Film die Maßnahme so, während die innere Logik der drakonischen Pandemiebekämpfung eigentlich etwas anderes diktiert. Dazu kommen Figuren, die oftmals wie der deus ex machina aus dem Nichts auftauchen und den Tag retten. Am extremsten ist in der Hinsicht ein Einzelkämpfer, der Nico zur Seite springt, als dieser von dem schurkischen Chef der „Reinigungsbehörde“, Emmett Harland (Peter Stormare), und seinen Schergen attackiert wird. Aus unerfindlichen Gründen bleibt der Fremde sogar allein zum Kampf gegen die schwer bewaffnete Eingreiftruppe zurück und lässt sich freundlicherweise abknallen, was Nico mehr Zeit zur Flucht verschafft.
Das Problem an „Songbird“ ist allerdings vielleicht weniger, dass er ein stellenweise reichlich blöder Film ist, sondern dass er überhaupt nicht weiß, wo er denn gerne hin möchte. Manche Figuren wie May oder Dozer könnte man ohne größere Schwierigkeiten aus der Geschichte herausstreichen, andere wie die Griffin-Tochter sogar gänzlich problemlos. Was auch daran liegt, dass so gut wie kaum eine Figur Profil hat oder Leben gewinnt. Dass Nico und Sofia ganz doll in Love sind, wird vor allem darüber vermittelt, dass sie sich alle paar Minuten erzählen wie verliebt sie doch ineinander sind. Anderes ist pures Klischee, vom untreuen Ehemann über das Starlet mit den geplatzten Träumen bis hin zum körperlich wie geistig beschädigten Veteranen, der irgendwann neue Hoffnung fasst.
So mäandert Masons Film unmotiviert zwischen Figuren und Plotsträngen hin und her, wobei sich Nicos Kampf um die Freiheit (und das Leben) seiner großen Liebe als Haupthandlung herauskristallisiert. Das ist zwar auch nicht die ganz große Kunst, hat mit Harland aber immerhin einen herrlich hassenswerten Schurken sowie einige Schauwerte zu bieten, wenn Nico sich beim Wettlauf gegen Zeit auch körperlich reinhängen muss, wenn er durch die Stadt flitzt oder sich mit den Häschern der „Reinigungsbehörde“ herumschlagen muss. Und zumindest am Rande blitzt die erschreckende Zukunftsvision auf, die „Songbird“ sein könnte: Die Armen und Kranken werden in Ghettos verfrachtet, weil die Katastrophe sie härter trifft als die Begüterten mit Einfluss, die sich auch noch bereichern und/oder die Regeln brechen können. Dieser angedeutete, aber nicht vollkommen gezeigte Entwurf einer Horrorzukunft erinnert an den ersten Teil der ebenfalls von Bay produzierten „The Purge“-Reihe, die das Potential des World-Buildings ja auch erst in den Sequels ausschöpfte – aber der erste Teil war immerhin ein solider Home-Invasion-Thriller. „Songbird“ ist dagegen selbst von solider Genreware entfernt.
Dass manche Figur in „Songbird“ trotz des holzschnittartigen Drehbuchs an Profil gewinnt, liegt an der überraschend prominenten Besetzung. Peter Stormare spielt seinen durchgedrehten Schurken mit einer Portion Verrücktheit und sorgt so für Stimmung, während Paul Walter Hauser als aus der Ferne verliebter Drohnenpilot und Veteran Sympathien weckt. Bradley Whitford als Arschloch vom Dienst überzeugt ebenfalls, während Demi Moore als seine Gattin nur ganz solide ist. Alexandra Daddario agiert eher mittelprächtig in einer nicht besonders glücklichen Rolle, während Craig Robinson für etwas Witz in seinem leicht unnötigen, aber charmant gespielten Part sorgt. Doch die echten Schwachpunkte des Films sind ausgerechnet die nominellen Hauptdarsteller: K.J. Apa und Sofia Carson sind weder besonders gut noch besonders schlecht, sondern sie sind einfach nur da – und von den Leads eines Films sollte man schon mehr erwarten dürfen.
So kann man „Songbird“ in seiner Ausschlachtung der Corona-Pandemie sicherlich unangemessen oder geschmacklos finden, in erster Linie ist er aber eigentlich nur egal. Die Zukunftsvision ist nicht so gewitzt, da sie sich bei großen Vorbildern bedient und Aktuelles etwas überzeichnet, noch dazu ist der Film unfokussiert, die Figuren uninteressant und Schauwerte dünn gesät. Starke Antagonisten und einige atmosphärische Shots retten zwar noch etwas, aber sonderlich toll ist „Songbird“ nicht.