In den Siebziger Jahren trieb ein französischer Lebemann auf dem Hippie Trail in Südostasien sein Unwesen: Charles Sobhraj raubte hier vor allem westliche Touristen aus, die er anschließend ermordete. Gemeinsam mit seiner Partnerin Marie-Andrée Leclerc und dem indischen Helfer Ajay Chowdhury gelangte er so zu einem gewissen Wohlstand, den er in Form von Edelsteinen auch schnell mitnehmen konnte, wenn er einen Haftbefehl mal ausnahmsweise nicht wie gewohnt durch Beziehungen und Bestechung umgehen konnte und ihm der Boden unter den Füßen doch einmal zu heiß wurde.
Nachdem die jeweiligen diplomatischen Vertretungen durch die Bank absolutes Desinteresse an vermissten Personen aus ihren jeweiligen Ländern geäußert hatten, ist es schließlich die akribische Arbeit des jungen holländischen Diplomaten Herman Knippenberg, der die ebenfalls an den "langhaarigen Herumtreibern" desinteressierte örtliche Polizei von Bangkok auf die Spur des Serienmörders bringt. Doch der durchtriebene Serienmörder Sobhraj macht seinem Spitznamen, der titelgebenden Schlange, alle Ehre und ist schon bald wieder frei...
Die Rekonstruktion des Lebens eines Serienmörders muß durch die vorgegebenen historischen Tatsachen als Thriller schon von vornherein auf einen Teil der üblichen Spannung verzichten, dennoch ist die von Netflix ausgestrahlte britische Produktion Die Schlange ein über weite Strecken fesselnder Krimi, der vor allem von seinen bis in die kleinsten Nebenrollen hervorragend besetzten Darstellern lebt. Zeitgenössische Klamotten, Frisuren und Autos wie auch der eine oder andere Musiktitel liefern den passenden Hintergrund zu der hauptsächlich in Bangkok spielenden Story, die sich zahlreicher - und stets als solche gekennzeichneter - Rückblenden bedient, dabei repetitiv oder auch aus anderer Perspektive manche Begebenheiten wiederholt und somit im Laufe der insgesamt acht, etwa einstündigen Folgen, ein klares Bild vom Werdegang des Serienmörders, aber auch der Entwicklung seines Verfolgers zeichnen.
Der Franzose Tahar Rahim spielt die Hauptrolle des stets sanften, nie jähzornigen Killers: Aufgewachsen in Paris, fühlte er sich, der eine vietnamesiche Mutter hatte, nie richtig aufgenommen dort und überredet seine gerade frisch angetraute Ehefrau zu einem Neuanfang im fernen Osten. Diese, wie auch weitere prägende Momente aus seinem Leben, welche in der Serie erst nach und nach offenbart werden, entwerfen das Psychogramm eines Mannes, der in seinem Leben niemals anderen Menschen vertraut außer sich selbst. Irgendwann lernt dieser vorgebliche französische Modefotograf Alain, der sich zahleicher Decknamen bedient, bei der Umschau nach neuen Opfern die Franko-Kanadierin Marie-Andrée (Jenna Coleman) kennen und spürt sofort, daß die attraktive Brunette ein Problem hat. Ihr bisheriges Pech mit Männern nutzt der rhetorisch geschickte Sobhraj, sich - anstatt sie ebenfalls auszurauben - eine willfährige Komplizin aufzubauen, die ihn künftig bei seinen Raubzügen im angrenzenden Ausland (mittels der gefälschten Pässe seiner Opfer) begleiten wird: ein Unterfangen, das dem charismatischen Giftmischer ohne jegliche Drohung gelingt.
Ganz anders der junge Knippenberg, ein linkischer Bursche, der wenig berufliches Engagement zeigt und der von seinem Chef, dem (im Übrigen klischeehaft stocksteifen) niederländischen Botschafter, meist nur mißbilligend als "mein dritter Sekretär" wahrgenommen wird. Halt findet Herman nur im privaten Bereich, wo ihn seine deutlich zielstrebigere deutsche Ehefrau Angela (sympathisch: Ellie Bamber) unterstützt, ohne die er das Abenteuer Thailand gar nicht gewagt hätte. Dieser Herman Knippenburg, vom Typ her ein sterbenslangweiliger Buchhalter, sieht eines Tages die Bilder von zwei verkohlten Leichen, die man nicht identifizieren kann, und die sein soziales Gewissen wecken: während die befragten Diplomaten kein Interesse zeigen, wenigstens deren Herkunft zu klären ("sind ja eh nur irgendwelche langhaarigen Scheiss-Hippies"), ist Knippenburg, der selbst Anzug und Krawatte trägt, bis ins Mark empört und entsetzt: zwei junge Menschen, die offenbar noch lebten, als sie angezündet wurden! Fortan setzt der junge Niederländer - auch gegen ausdrücklich erklärten Willen seines Chefs - alles daran, Beweise zusammenzutragen und legt dabei einen derartigen Eifer an den Tag, daß einem Angst und Bange werden kann. Dieses fast schon manische Ermitteln und Aufstellen der Serienmörder-These, mit dem sich der schlaksige Knippenberg klar zum Sympathieträger macht, ist der Motor der Serie: es macht bisweilen großen Spaß, ihn bei seinem Eifer zu beobachten, vor allem dann, wenn dieser ihn in teilweise absurde Situationen führt. Hier ist besonders sein Verbündeter Paul Siemons von der belgischen Botschaft (glänzend: Tim McInnerny) zu nennen, eine der erwähnten hervorragenden Nebenrollen.
Die Schlange geht also einen etwas anderen Weg als man ihn von herkömmlichen Serienmörder-Portraits gewohnt ist, verzichtet im Übrigen auch weitgehend auf Gewaltdarstellungen (die Morde sind ohnehin nur der - meist im Off stattfindende - Abschluß einer bewußt herbeigeführten, meist tagelangen Vergiftung) und stolpert nicht einmal über die permanent stattfindenden Zeitsprünge, die stets im linken unteren Bildschirmbereich in Form einer ratternden, analogen Flughafen-Tafel angekündigt werden (3 month ago, 4 weeks later etc.) und schon fast ein handwerkliches Markenzeichen der Serie darstellen.
Man könnte noch einiges mehr über die vielen durchaus ambivalenten Charaktäre oder diverse bemerkenswerte Details schreiben, doch am besten, man sieht sich die Serie selbst an: eine klare Empfehlung, 8 Punkte.