Kapitän Nolan (Richard Harris) will um jeden Preis einen Killerwal, einen Orca erlegen, da er dahinter ein ordentliches Sümmchen riecht. Entgegen den Warnungen der Meeresbiologin Rachel Bedford (Charlotte Rampling) fährt er eines Tages mit seiner Mannschaft aufs Meer, um seinen Traum wahr zu machen. Als er einen Wal beschießt, weiß er allerdings nicht, dass es sich dabei um ein schwangeres Weibchen handelt, die durch diese Tat nicht nur ihr Unbeborenes verliert, sondern kurz darauf auch selbst verendet. Durch diesen grausamen Mord zieht Nolan die Wut eines männlichen Killerwals auf sich, der ihn zu einem nahegelegenen Fischerdorf folgt und dieses von nun an unnachgiebig terrorisiert. Nolan ist gezwungen, sich dem Wal zu stellen und folgt dessen Spur ins nördliche Eismeer, wo es zur Abrechnung zwischen Mensch und Tier kommt...
Es braucht keinen Extrablick zurück auf die Geschichte des Horrorfilms, um sagen zu können, welcher heutige Meilenstein des Genres damals Mitte der 70er für ein riesiges Aufsehen sorgte und das Badeverhalten von Generationen von Kinogängern und Videothekenbesuchern nachgiebig veränderte: "Der Weiße Hai". Steven Spielberg's Haischocker machte den Tierhorrorfilm, wenn nicht sogar das Genre im Allgemeinen, erstmals so richtig massenkompatibel und sollte noch viele andere Regisseure beeinflussen, ihren eigenen Senf zur Thematik abzugeben. Einer von den Filmemachern, die sich nach der Sichtung von Spielberg's bissigem Thriller wohl dazu berufen fühlten, es ihm gleichzutun, war Michael Anderson, der einst für "In 80 Tagen um die Welt" für einen Oscar nominiert wurde und auch seitdem nicht untätig war. Insgesamt gehen gut 40 Filme auf sein Konto, sein letztes Lebenszeichen war der nette Familienfilm "Die Neuen Abenteuer des Pinocchio" von 1999, seitdem hat sich der mittlerweile 87 jährige Regisseur zur Ruhe gesetzt. Obwohl sein "Orca" damals sicherlich nicht sonderlich einfallsreich war, gerade, da er kurz nach "Der Weiße Hai" die Kinos enterte, muss man doch sagen, dass der Gute hiermit einen Film abgeliefert hat, der vielen anderen Tierschockern durchaus voraus ist.
Die Story ist im Grunde eine andere, so viel sei vorweggenommen, dennoch handhabt der 1977 gedrehte "Orca" mit den selben Elementen wie sein berühmtes Vorbild. Der wesentliche, essentielle Unterschied besteht darin, dass Spielberg zwei Jahre zuvor einen reißerischen Schocker ablieferte, während sich Anderson's Werk schnell als eher ruhiges Drama erweist. Natürlich sind auch hier die Elemente eines Horrorfilms und eines Thrillers vorhanden, dennoch bewegt sich "Orca" auf einer ganz anderen Ebene und dürfte dadurch vor allen denen, die hier auf ein trasiges Ripoff hoffen, nicht gefallen. Der Regisseur schickt seinen Hauptdarsteller durch einen, durch den Wal übertragen dargestellten, Leidensweg, auf dem er Schuld & Sühne erfahren muss, bis er sich zum Schluß seiner Verantwortung stellt. Anfangs noch der typisch großkotzige Jäger, tötet Nolan zu Filmbeginn einen Walfötus und dessen Mutter und muss im Anschluß mit den Konsequenzen leben.
Hierdurch ergibt sich ein großteils spannungsloser, aber niemals die Müdigkeit herbeiführender Mittelteil, in dem der ruppige und scheinbar selbstverliebte Nolan seinen Fehler ausbaden darf. Nicht nur, dass wir erfahren, dass er vor vielen Jahren selbst Frau und Kind verloren hat, er wird außerdem von den Bewohnern des Fischerdörfchens dazu genötigt, sich dem Wal zu stellen, da dieser über den Tod seiner Familie garnicht erfreut ist und seitdem reihenweise Fischerbote versenkt. Immer wieder kommt es dabei zu kurzen aktionsreichen Momenten, dennoch halten sich Spannungsmomente bis zum Höhepunkt dezent zurück, um Platz für die psychologische Entwicklung der Hauptfigur zu machen. Diese ist, obwohl etwas ruckartig geschildert, für einen Tierhorrorfilm annehmbar geglückt. Wir erleben Nolan anfangs noch als einen Mann, der von seinen verachtenswerten Prinzipien überzeugt ist und sich unnahbar gibt, bis sich im späteren Verlauf mehr und mehr seine gebrochene Seite offenbart.
Das ebenso interessante, wie schwachsinnige am Film ist, dass er den Mensch mit dem Wal auf die selbe Stufe stellt. Dies will deshalb nicht so recht in den Gesamtkontext passen, da sich "Orca - Der Killerwal" meist überaus ernst und realitätsbezogen gibt, so erfährt man als Zuschauer sogar einiges über Wale, deren Verhalten und Intelligenz. Und, obwohl die Schwertwale sicherlich zu den intelligenteren Lebewesen gehören, ist es einfach zu abgehoben, wie Anderson seinen tierischen Hauptdarsteller präsentiert. Das Tier scheint von berechnungsfähiger, hinterlistiger Existenz zu sein und kann jeden noch so kleinen Schritt vorplanen und auskalkulieren. Gut, in einem sinnentleerten Werk à la "Deep Blue Sea" mag dies annehmbar sein, aber bei einem Film wie "Orca" steht es der Prämisse, eine halbwegs ernstzunehemende Story bieten zu wollen, deutlich im Weg. Aber gut, wenn man über dieses Detail hinwegsehen kann, werden sich einem ansonsten erstaunlich wenige Ärgernisse offenbaren.
So baut "Orca - Der Killerwal" auf seinen Charakteren, deren Entwicklung und der Handlung an sich auf und setzt nicht nur auf Schockeffekte, die onehin rar gestreut sind. Blut und dergleichen sucht man dank der FSK 12 vergebens, auch wenn ein Walangriff auf einen Hai noch recht blutig gezeigt wird. Erstaunlicherweise langweilt der Film kaum, das Akzeptieren der eigenen Schuld und deren Verarbeitung wird hier ohne viele Schnarchstellen geschildert. Die Figuren sind eigentlich allesamt akzeptabel in den Plot integriert und fallen nicht nervend auf, ebenso wie die Schauspieler. Richard Harris dürfte einem zuletzt noch als Dumbledore aus "Harry Potter" ein Begriff sein, bevor er verstarb und durch Michael Gambon ersetzt wurde. Harris wirkt als Kapitän Nolan, der anfangs noch seine eigene Interessen über alles stellt und dadurch einen schrecklichen Fehler begeht, überaus passend, da er das ruppige eines rauen Seefahrers ebenso zeigen kann, wie die andere Seite eines gebrochenen Mannes.
Erfreulich an dem Film ist, dass der Wal nicht als dämonische Bestie gezeigt wird, sondern als liebendes Familientier, das erst durch einen Gewaltakt der Menschen Rache übt. Dadurch nimmt der Film auch eine klare Haltung ein, stellenweise hat man fast schon das Gefühl, dass hier durchaus auch Greenpeace als Sponsor eingesprungen sein könnte. Wer jedoch der Annahme unterliegt, dass sich Killerwale nicht dazu eignen, einen Horrorfilm (sofern man "Orca" als solchen bezeichnen will) auszufüllen, der wird hier eines besseren belehrt, denn an die friedliebenden Tiere aus "Free Willy" erinnert der rachsüchtige Wal, der berechnend seine Opfer fordert, beim besten Willen nichtmehr. Der Showdon stellt den aus "Der Weiße Hai" zwar nicht in den Schatten, ist diesem aber durchaus ebenbürtig, wenn sich Nolan im undurchdringlichen Eismeer seinem Verfolger stellt und letztendlich auf einer kleinen Eisscholle um sein Leben kämpft, immer der Willkür des riesigen Walls hilflos ausgeliefert. Der hochgradig spannende Showdown wird einem noch länger in Erinnerung haften bleiben, was nicht zuletzt auch an den tollen Aufnahmen liegt, die im Eismeer aufgenommen werden konnten. Die tollen Landschafts - und Meeresbilder sind im allgemeinen ein großes Plus im Film, gemeinsam mit den stimmigen Unterwasseraufnahmen und dem passenden Score sorgen sie für eine runde Atmosphäre. Großteils wurde für den Film übrigens mit echten Walen gearbeitet, auf all zu billige Attrappen, wie man sie aus anderen B-Movies kennt, wurde glücklicherweise verzichtet.
"Orca - Der Killerwal" will nicht so recht ins Bild des typischen Tierhorrorfilms passen, doch gerade dies macht Michael Anderson's Genreklassiker zu etwas Besonderem. Statt mit immer wieder den selben Handlungsmustern zu arbeiten, wurde hier ein interessantes Drama über Schuld, Sühne und Rache geschaffen, das an manchen Stellen etwas hanebüchen daherkommt, durch seine schlußendliche Aussage und den Gesamtkontext aber durchaus noch zu überzeugen weiß. Der Film ist eher ruhig gehalten und die Freigabe ab 12 Jahren spricht auch dafür, dass hier nichts passiert, was Splatterfans zufrieden stellen könnte. Dies stört jedoch nicht, da "Orca" auch so kaum langweilt und insbesondere durch das packende Finale onehin einiges wieder wett machen kann. "Orca" ist ein Muss für Fans von Tierhorrorfilmen. Auch wenn er nur bedingt in dieses Genre passt, kommt man um diesen Klassiker nicht herum.