Review
von Leimbacher-Mario
The Lioness of Old Street
„I Care a Lot“ ist ein ungewöhnlicher Thriller mit Anleihen des Gangster- und sogar des subtilen, schwarzhumorigen Horrorfilms. Ein Kommentar zu Kapitalismus und dessen kranken Auswüchsen in den Köpfen und Seelen mancher Menschen, zwischen Legalität und Illegalität, zwischen Mafia und Altenheim, zwischen Businessplan und Monstersein... Der (allein wegen seinen extrem unsympathischen Figuren) polarisierende Genremix handelt von einer eiskalten, gerichtlich auferlegten Betreuerin von reichen, alten Menschen. Doch tut sie ihren in dieser Form sehr ausgeklügelten, perversen Job nicht aus Nächstenliebe oder Berufung, sondern vor allem auf Grund des Geldes, das sie den alten Leuten in deren letzten Lebensviertel noch ganz legal (!) aus der Tasche ziehen kann. Und zudem wissen die meisten Omas & Opas auch kaum noch was mit ihnen geschieht und ergeben sich wehrlos, drogenbetäubt ihrem Schicksal im Pflegeheim. Doch dann gerät sie an eine rüstige Rentnerin mit dunklem Geheimnis und mächtigen Freunden aus der Unterwelt, sodass ihr langsam aufblühendes Imperium zu bröckeln beginnt...
Gibt es solche Fälle wirklich? Das war die erste Frage, die ich mir selbst sowie Freunde mir zum Film stellten. Und ja, soziale/menschliche Enteignungen (sogar im großen, vollkommen unpersönlichen Stil) sind absolut kein Fantasiegespinst. Dennoch ist „I Care a Lot“ natürlich comichaft überzeichnet. Gerade die eingeflochtene Gangsterstory und über nahezu die komplette zweite Hälfte (inklusive nicht genug befriedigendem und zudem auch noch von anderen, besseren Filmen wie „Carlitos Way“ oder „Layer Cake“ kopiertem Finnish) kann man sich streiten. Allgemein ist eine solche „Heldin“ oder zumindest Protagonistin schwer zu schlucken, der Hass auf Pikes Charakter wächst schnell ins beinahe Unermessliche. Und dennoch ist genau das ja gerade einer der Hauptpunkte und auch eine große Kunst. Zu polarisieren, aufzuregen, Diskussionen anzustiften. Und das gelingt „I Care a Lot“ trotz leichter Sprunghaftigkeit und Videoclipästhetik von vorne bis hinten. Und höllisch unterhaltsam noch dazu. Das Thema ist der Hammer und kann durchaus als Metapher für mehr/unsere westliche, kapitalistische Gesellschaft gesehen werden. Nicht nur Pike spielt gnadenlos gut. Peter Dinklage ist ein Highlight und guter Gegenspieler. Auch Dianne Wiest leider viel zu spärlichen Auftritt sind groß und intensiv. Die Grenze zwischen legaler und illegaler Boshaftigkeit ist immer schmal. Und die Alten bleiben völlig auf der Strecke bei all der Gier, dem Egoismus, der Verblendung durch Diamanten, Erfolg und eigenem Glück. „I Care a Lot“ wird im Gedächtnis und sicher auch gut kuratierten Bestenlisten bleiben. Selbst wenn er hintenraus deutlich nachlässt und wohl sogar noch mehr drin gewesen wäre. Vielleicht ein echtes Epos der Boshaftigkeit. Aber auch so eine positive Überraschung.
Fazit: Killerkapitalismus, der über Leichen geht und mit abartigen Auswüchsen. Alterspflege und -betreuung aus der Vorhölle. „I Care a Lot“ ist bevölkert von ekelhaften und vollkommen verfaulten Menschen. Und dennoch ein schwarzhumoriger und bissiger Kommentar zu unserer Welt. „Einer flog übers Kuckucksnest“ trifft „Wall Street“. Soziopathen mit System. Nicht perfekt und schwer zu goutieren/genießen - aber wundervoll böse und zeitgemäß!