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Der Originaltitel des 1968 erschienenen Films von Antonio Margheriti (alias Anthony Dawson) "Nude si muore" klingt zunächst programmatisch für einen typischen Giallo, da er die durch die beiden Schlagwörter "Nackt" und "sterben" angedeuteten Themen Sexualität und Gewalt auf engstem Raum verbal miteinander verbindet. Kein ausschweifender fantasierender und rätselhafter Titel, wie sie später üblich werden sollten - brutal und reißerisch heizt er die Erwartungen des Zuschauers an. Das Ergebnis sieht jedoch anders aus, als man angesichts der unverblümt plazierten Schlagwörter vermuten mag. Margheriti inszeniert die gezeigten Verbrechen in einer Zurückhaltung, in der "Nude si muore" den deutschen Edgar-Wallace-Streifen näher steht als Gialli, wie sie ab 1970 beispielsweise von Sergio Martino und Luciano Ercoli inszeniert wurden. Der in einem noblen Schülerinnen-Internat spielende Film wirkt bei der Einführung der Hauptfiguren - zugespitzt gesagt - nahezu wie eine Hanni-und-Nanni-Verfilmung, als sich ein paar 60er-Jahre-typisch adrett angezogene Internatmädchen am Schwimmbassin mit ihren kleinen Verliebtheiten gegenseitig piesacken. Margheritis Werk ist wohl der früheste Beleg für das Phänomen des "Schulmädchen-Giallo", zu dem auch spätere, weitaus abgründigere Filme wie "Cosa avete fatto a Solange" ("Das Geheimnis der grünen Stecknadel") oder "Enigma rosso" ("Orgie des Todes") zählen.

Allerdings haben wir vor der dem Vorspann bereits eine für den Titel sinnstiftende Mordsequenz gesehen, deren Verknüpfung mit der Haupthandlung erst später klar wird: Eine Frau wird in ihrer Badewanne erwürgt, wobei die Kamera bemüht bleibt, die zur Schau gestellte Nacktheit in Grenzen zu halten. Auch die Erwürgung wird eher angedeutet als dass man den Vorgang in seiner ganzen Hässlichkeit zeigen würde, wie es etwa Alfred Hitchcock einige Jahre später in "Frenzy" praktizieren sollte. Damit wäre die Titelerwartung auch schon abgearbeitet. Später werden wir einen ähnlichen, noch prüder gefilmten Vorgang erleben. Nach dem Mord wechseln wir zunächst zu einer Autofahrt-Szene, in der wir die Ankunft einer neuen Lehrerin an dem besagten Internat werden. Mit der Lehrerin stimmt allerdings ganz eindeutig etwas nicht, was erst in der Endauflösung aufgedeckt wird. Man kann es sich jedoch schon lange vorher denken. Trotzdem bleibt ein gewisser Überraschungseffekt am Ende nicht aus.

Dieser frühe Giallo zeichnet sich neben seiner starken Zurückhaltung, was Nacktheit und Gewalt angeht, durch eine ungewöhnliche Dialoglastigkeit aus. Sally Smith, die die Schülerin Jill - eine Art Klassenclown - spielt, kann ein gewisses komisches Talent mehrmals demonstrieren und den ohnehin schon verhältnismäßig harmlos dargestellten Morden noch als "comic relief"-Faktor entgegenwirken. Auch die zwischen Lucille (Eleonora Brown) und dem von ihr geliebten Reitlehrer (Mark Damon) stattfindenden kindischen Rollenspielchen, innerhalb deren sie sich z.B. als Rotkäppchen und Richard Löwenherz ausgeben, lockern die Stimmung zusätzlich auf.

Das genretypische Element des Voyeurismus kommt in diesem Film in Form des lüsternen Gärtners (Luciano Pigozzi) zum Zuge, der den Mädchen aus einer Baumkrone heraus beim Duschen zusieht. Margheriti zeigt hier auch sein Talent, unheimliche Schauplätze einzufangen - was er bei Gothic-Horror-Filmen während der 60er eingeübt hatte und auch bei seinem grandiosen Western "E Dio disse a Caino" ("Satan der Rache") hervorragend anwandte - hier anhand etwa eines mit seltsamem Gerümpel vollgestellten Kellers oder eines Vogelhauses, in dem ein kauziger Zoologe seiner Leidenschaft nachgeht. Auch noch ein anderes, später im Genre immer wieder aufgegriffenes Thema, nämlich das der Geschlechterrollen und unsicheren geschlechtlichen Identität, wird hier - wenngleich recht oberflächlich - angesprochen.

Die phantasievolle Symbolik späterer Gialli fehlt weitgehend, wenn auch eine hässliche Szene, in der ein Nachtfalter von dem vermeintlichen Tierliebhaber für seine Sammlung aufgespießt wird, sicher mit den Morden in Verbindung bringen lässt und die Allgegenwart des Tötens auch in scheinbar harmlosen Zusammenhängen ins Bild rückt. Bei seiner inhaltlich streckenweise seichten Erzählung fällt die tadellose Optik und stilistische Sicherheit des Films doch positiv ins Gewicht. Margheriti erlangt zwar nicht die visuelle Energie, wie sie von den kraftvollen Farben und magischen Beleuchtungen der Filme Mario Bavas ("Die drei Gesichter der Furcht", "Blutige Seide" u.a.) ausgeht - höchstens im Finale stößt er in Richtung dieser Qualität vor - gibt sich jedoch nirgendwo eine Blöße. Auf modischer Ebene zeigt sich die Experimentierfreude der 70er Jahre noch nicht; streng sitzen die Frisuren der Schülerinnen, tadellos die Anzüge der Polizisten. Wenngleich dies symptomatisch für die Zugeknöpftheit des Films in Sachen der später so populären Giallo-Schauwerte gilt, hat Margheriti hier doch einen sehenswerten Film zur Genregeschichte beigesteuert, der immerhin zu deren frühesten Belegen zu zählen ist.

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