Wenn Quentin Dupieux’ Regiearbeiten im Kasten sind und der Vermarktungstitel gefunden werden soll, liegt die Strategie meist darin, die absurd-banalen Aufhänger seiner Filme auf ihre reine Beschaffenheit einzudampfen. Das Gummi des Reifens in „Rubber“ zum Beispiel. Das Verquere in „Wrong“. Die Realität in „Réalité“. Das Wildleder der Jacke in „Le Daim“… und nun eben die Mandibeln der Fliege in „Mandibules“. Die eher an Spencer-Hill-Streifen erinnernden Übersetzungsversuche für den deutschen Markt aus dem Hause Koch bzw. Plaion Pictures („Eine Fliege kommt selten allein“) klammern wir da besser mal ganz aus. Konzentrieren wir uns doch lieber auf die Mandibeln. Es geht nämlich um die Beißwerkzeuge der Fliege, die den ganzen lieben Film lang damit beschäftigt sind, kleine Bröckchen Nahrung wegzumummeln wie ein glückliches Kaninchen seinen Kohl. Oder wie der Weiße Hai die Badegäste in Spielbergs „Jaws“. Genau genommen hat der deutsche Verleih hier die einmalige Chance vertan, sich der offensichtlichen Hommage an Spielberg anzuschließen. Man hätte den Film ja durchaus „Die schwarze Fliege“ nennen können.
Wo das „Jaws“-Theme von John Williams mit seinen Streichern allerdings reinen Terror verursachte, da ertönen bei Quentin Dupieux natürlich erst einmal vorinstallierte Bossa-Nova-Rhythmen aus dem Discounter-Keyboard. Vorhang auf für eine ziemlich luftige Sommerkomödie in mediterranen Pastellfarben, an der alles so weich ist, dass sich die Konturen auflösen wie Brie in der Sonne… wäre, ja wäre da nicht diese riesige Fliege im Kofferraum.
Ein wahrer Surrealist erklärt jedoch nicht, weshalb er Proportionen verschiebt, und so trotzt die Fliege still und leise kraft ihrer reinen Dimensionen allen bekannten Naturgesetzen, während sie willenlos in das recht einfache Road-Movie-Abenteuer zweier einfältiger Kumpels (irgendwo zwischen Bill & Ted und Dumm & Dümmer: David Marsais & Grégoire Ludig) gezogen wird, die zwar irgendwie wissen, dass Fliegen normalerweise nicht so groß werden, dies aber nicht weiter hinterfragen und sich lieber dazu entschließen, ihr neues Haustier zu dressieren, um Kohle damit zu machen. Und so sinkt der Grad des Surrealismus mit jeder zurückgelegten Meile entlang der südfranzösischen Küste. Schon zur Mitte hin sind es höchstens noch die Anschluss- und Logikfehler, die hauptsächlich für Surrealismus sorgen, wenn die beiden Kleinganoven beispielsweise mit ihrer Fliege offen in einem kaputten Mercedes durch die Pampa klappern, von einer hilfsbereiten Gruppe junger Leute abgeschleppt werden und dabei nicht einer der Helfer auf das ungewöhnliche Tier aufmerksam wird.
Überhaupt ist „Mandibules“ eher eine Abhandlung über seichte französische Gaunerkomödien, wie sie zu Dutzenden mit Belmondo, Reno, Depardieu, Ventura, de Funès und ähnlichen Charakterdarstellern gedreht wurden. Es geht nicht um die Größe der Fliege, sondern das, was seine Besitzer wegen ihrer Größe alles in Gang setzen. Das lässt sich auch daran ablesen, dass der große Spezialeffekt des Films wortwörtlich an seiner Entfaltung gehindert wird… mit reichlich Klebeband, das die Flügel an den Körper klebt. Was potenziell ein enthemmtes Flummi-Chaos der Marke „Flubber“ hätte werden können, ist nun kaum mehr als der aus diversen Komödien bekannte „Hidden MacGuffin“, der vor sämtlichen Nebenfiguren um jeden Preis versteckt werden muss, um die Handlung nicht vorzeitig enden zu lassen.
Die Fliege selbst verhält sich dabei ganz bewusst nicht wie eine Fliege, sondern eher wie ein merkwürdiges Haustier aus einer anderen Dimension, das trotz fehlenden emotionalen Ausdrucks gewisse Wege findet, an Hund oder Katze aus dem eigenen Haushalt zu erinnern, insbesondere durch ihre tollpatschigen Krabbelbewegungen und permanenten Fress- und Trinkgelüste. Nicht umsonst tauscht sie in einer Szene nach Vorbild einer Body-Switch-Farce sogar den Platz mit einem kleinen Hund. Trotz einiger CGI-Momente wird dem Regisseur durch die eingeschränkte Mobilität des Tiers ermöglicht, viele Einstellungen mit einem mechanischen Modell zu drehen, was dem Petting-Faktor durchaus zugute kommt. Im Verbund mit den verpeilten Besitzern kommt so ein äußerst liebenswertes Trio zustande, auf dessen Seite man sich durchaus gerne schlägt.
Die mediterrane Brise der Côte d’Azur birgt bei all ihrer Entspannung aber auch einige Tücken. Durch den getragenen Flow des Films droht der Regisseur immer wieder in die völlige Belanglosigkeit abzudriften, zumal die Fliege als Metapher für sich genommen im hier bearbeiteten Kontext eher wenig hergibt. Zwangsläufig muss Dupieux also in den episodischen Ablauf des Skripts immer wieder schrille Gestalten einbauen, die an der Harmonie der Hauptfiguren rütteln. Paradox genug, dass ausgerechnet diese Figuren dann wieder zu gewollt extrem wirken. Insbesondere trifft das auf Adèle Exarchopoulos („Blau ist eine warme Farbe“) zu, die als hirngeschädigter und dadurch überlauter, neugieriger und neurotischer Störfaktor so offensichtlich auf die Enthüllung des „Hidden MacGuffin“ geeicht ist, dass die Mechanik des Drehbuchs in ihrer Figur komplett sichtbar wird. Aber vermutlich ist es genau das, was der Regisseur bezweckt. Roméo Elvis als pedantischer Bruder spielt am Film vorbei wie ein Sherlock, der lieber Watson das Lösen des Falls überlässt, während India Hair als Cécile eine klassische Dupieux-Figur spielt, hinter deren entwaffnender Natürlichkeit sich Abgründe der Verpeiltheit auftun. Einige andere Nebenfiguren kommen gar nicht erst dazu, ihrer Szene einen eigenen Stempel aufzudrücken, sie werden äußerst unsanft aus der Handlung radiert.
Man würde „Mandibules“ Unrecht tun, wenn man ihn als so starr und leer wie den Blick aus den Facettenaugen seiner Fliege bezeichnen würde. Denn die Ellipsen und Dopplungen, die sich auch diesmal wieder gnadenlos monoton über die vollen 70 Minuten ausbreiten, gehören seit „Rubber“ fest zur Signatur von Quentin Dupieux. Gerade seine besonders monotonen Filme, wie zuletzt „Le Daim“, haben erst im Nachgang ihre Wirkung entfaltet. Ein wenig geht es einem auch diesmal wieder so. Die sich anbahnende Tendenz zum Kritiker- und Publikums-Konsens wirkt sich allerdings abmildernd auf die Wirkung seiner Filme aus. Das Kribbeln war in der Phase zwischen „Rubber“ und „Realité“ einfach noch einmal eine ganze Nummer intensiver.