Lost Highway
In Gedanken versunken, zu zweit und doch irgendwie allein,
stellt Netflix mit diesem Kaufman-Psychogramm sicher einigen Abonnenten ein Bein.
Auch ich kam in der Vergangenheit mit dem alten Charlie nicht immer 100% klar,
dennoch hat er einen unverkennbaren Style und ist unter Regisseuren zurecht ein Star.
Und diese Buchverfilmung ist in seinen unzähligen starken Momenten wirklich ein Geniestreich,
Klischees oder übliche Sehgewohnheiten scheinen hier zum Glück wirklich gleich.
Ein radikaler Genremix, etwas nihilistisch, oft creepy und immer fein,
genau so muss das Führen aus Komfortzonen sein.
Ein beunruhigender Besuch bei den Schwiegereltern, böse Gedanken im Kopf,
hier bohrt Kaufman unerfahrenen Zuschauern ein dickes Brett vor dem Schopf.
Von inneren Monologen zu Musicals, von surrealem Schauer zu emotionalen Eskapaden,
eine faszinierende Tour de Force zwischen „Ich will mehr!“ und „Ich geh baden!“.
Alle Darsteller glänzen, alle Dialoge sind schonungslos gut,
schön zu sehen, dass in diesem oft sehr verkopften Herrn noch immer brodelt die Glut.
Sicher hätte es mir sehr geholfen zu lesen die literarische Inspiration,
dennoch war das letztes Wochenende eine unmissverständliche (End-)Station.
Klar hätte ich mir die ein oder andere Erklärung mehr gewünscht,
oder dass man sein Gruselgen nicht derart und gezielt tüncht.
Dennoch gibt es genug Details, Boshaftigkeiten und Zauber,
die würden machen ein Wiedersehen interessant, lohnenswert und sauber.
Ich denke nicht, dass ich so schnell aufhöre über ihn nachzudenken,
selbst wenn ich manchmal muss etwas frustriert den Kopf senken.
Doch Netflix soll Dinger wie „I'm Thinking of Ending Things“ bitte niemals einstellen,
da können die Sandler-Stammgucker noch so schnell abschalten und bellen.
Ein Arthouse-Alptraum zwischen Hoffnung und Tod, zwischen Kunst und Ohnmacht, zwischen Befreiung und Paralyse,
dieses fiese Geschoss trifft eine selten berührte, sehr empfindliche Drüse.
Wer bist du, wer bin ich, wie sehen wir Zeit und wann sind wir bereit,
wer sich vor einem solchen Brecher von Anfang an verschließt, kann einem schon tun etwas leid.
Für mich sind das inspirierende Selbstmordgedanken einer Beziehung, eines Prozess', eines Künstlers,
diese nicht zu würdigen und vorschnell niederzuschmettern wäre mehr als sündhaft.
Definitiv eines der vollsten und interessantesten Werke des Jahres,
selbst wenn man nicht jedes Wort und jede Kleinigkeit halten muss für Bares.
Typisch Kaufman, vielleicht gar ein weiteres Magnus Opum von ihm,
niemand führt filmische Selbstgespräche mit derart Verve und bezauberndem Spleen.
Fazit: wie ein teuflisches, psychologisch verstörendes und massiv surreales Baby aus einem Dreier zwischen Lynch, Kaufman und Wes Anderson, zwischen „Get Out“, „mother!“, „Identity“ und einem (etwas selbstverliebten) Drogentrip. Ich sollte das Buch noch lesen. Manchmal etwas anstrengend, erste Hälfte oft meisterhaft, insgesamt ziemlich genial. Ein Labyrinth in einem Enigma. Schneegestöber und Psychoanalyse, Einsamkeit und Liebe, Satire, Groteske, Horror und RomCom-Musical. Wow, was für ein Ritt!