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„Benedetta“ ist eine Art Reunion der Beteiligten von „Elle“. Regisseur Paul Verhoeven tat sich erneut mit Drehbuchautor David Birke, Produzent Saïd Ben Saïd und Schnittmeister Job ter Burg zusammen, um seine Version der Biographie „Immodest Acts“ über das Leben der titelgebenden Nonne auf die Leinwand zu bringen, deren Darstellerin auch schon eine Rolle in „Elle“ innehatte.
Dass „Benedetta“ dabei viel von dem Verhoeven-typischen satirischen Humor mitbringt, zeigen schon die ersten Szenen, welche Benedetta Carlini (Elena Plonka) als junges Mädchen porträtieren. Ihren Namen bekam sie, da sowohl Mutter als auch Tochter die schwere Geburt überlebten, der Vater will das Mädchen daher Jesus zur Braut machen und zu den Nonnen geben. Bei der Reise werden sie von Banditen überfallen, die jedoch durch Benedettas religiöse Standhaftigkeit und einen schicksalhaften Vogelschiss von ihrem Vorhaben abgebracht werden, nach der Ankunft im Kloster feilscht ihr Papa Giuliano (David Clavel) mit der Äbtissin Schwester Felicita (Charlotte Rampling) über die Höhe der Mitgift für die neue Braut Jesu, womit die Parallelen von Kirche und Geschäft im 17. Jahrhundert auf spitzzüngige Weise ausgestellt werden.
Als junge Frau ist Benedetta (Virginie Efra) eine folgsame Ordensschwester, welche ihre Aufgabe als Braut Jesu jedoch sehr wörtlich nimmt – immer wieder hat sie Visionen des Gottessohnes, von dem sie Anweisungen erwartet. Sie setzt sich für die Aufnahme der missbrauchten Hirtentochter Bartolomea (Daphne Patakia) ein, die ganz anders ist als sie: Forsch, sexuell erfahren, nicht gebildet. Fast schon wie eine RomCom mit zwei ungleichen Partnern, jedoch sexuell deutlich expliziter, denn Bartolomea macht ihre Zuneigung zu bzw. Lust auf Benedetta schnell unmissverständlich klar.

Die neu aufkommenden Gefühle für die Novizin machen Benedetta schwer zu schaffen. Zeitgleich zu ihrem sexuellen Erwachen scheint sich auch ihre Verbindung zu Jesus zu verstärken, bis zu einem Punkt, an dem Stigmata bei der Nonne auftreten, was das Kloster wiederum in Aufregung versetzt…
Auch mit über 80 Jahren erweist sich Verhoeven immer noch als Provokateur, der sich hier an der katholischen Kirche abarbeitet. Da gibt es Nacktheit, Homosexualität und blasphemischen Einfallsreichtum (etwa ein aus einer Marienstatue geschnitzter Dildo), mit denen der Niederländer diverse Christen auf die Palme brachte, doch gleichzeitig sind diese Provokationen auch nichts Neues. Schon Ken Russells „Die Teufel“ arbeitete mit dem Kontrast zwischen expliziter Sexualität und Religiosität, von Genre der Nunsploitation gar nicht erst zu sprechen. Interessanter ist eher Verhoevens Kritik an den Strukturen: Mit Geld kann man sich ins Kloster einkaufen, hinter den Klostermauern muss eine rigide Hackordnung befolgt werden, während die Unteren gegen die Oberen intrigieren. Ausgerechnet die Äbtissin ist weniger gläubig als ihre Schäfchen und am Ende des Tages sind es dann doch die männlichen Kirchenoberen, die das Sagen haben. Das zeigt sich, als der bigotte, dekadente Nuntius Alfonso Giglioli (Lambert Wilson) zur Überprüfung der vermeintlichen Wunder Benedettas ins Kloster gerufen wird.
Gleichzeitig ergeht sich Verhoeven in Uneindeutigkeit, was seine Protagonistin eingeht: Benedetta könnte eine tatsächlich von Jesus Berufene sein, eine Verrückte, die sich entsprechende Dinge einbildet, oder eine gerissene Schwindlerin, die das System ausnutzt – vielleicht sogar von allem etwas. Bis zum Schluss klärt Verhoeven nie so wirklich auf, wie das Publikum die titelgebende Nonne einschätzen soll, bietet jeden für jeden Ansatz Interpretationsmöglichkeiten an, ohne einen davon zu favorisieren. Auch inszenatorisch stellt er Benedetta immer als eine besondere Gestalt heraus: Mag das Mittelalter seines Films sonst dreckig und rau sein (wenn auch nicht in dem Maße wie dereinst in „Flesh + Blood“), so wirkt seine Protagonistin immer wieder so perfekt und porentief rein, als sei sie einer Clearasil-Werbung entsprungen.

Dabei macht der Film klar, dass er der subjektiven Sicht seiner Protagonistin folgt, lässt das Publikum auch an deren Visionen teilhaben, in denen Jesus auch mal als Romantiker oder als schwertschwingender Actionheld, der gefährliche Giftschlangen köpft, auftritt. Denn unter der Provokation, dem Sex und den Intrigen ist „Benedetta“ auch die Geschichte einer jungen Frau, die in vielen Dingen sehr unsicher ist, dies aber mit ihrer religiösen Entschlossenheit kompensiert. „Benedetta“ ist voll von komplexen Figuren, die gleichzeitig Opfer und Täter(in) sind. Auch die oft eiskalte Äbtissin hat Gefühle, deren missgünstige Tochter erleidet ein ungerechtfertigtes Schicksal, als sie sehenden Auges ins eigene Verderben rennt, und Bartolomea kann man sowohl als gefährliche Verführerin als auch als unterstes Glied in der Nahrungskette sehen.
Die Geschichte von Bartolomea und Benedetta erzählt Verhoeven als teilweise zärtliche Liebesgeschichte zweier unterschiedlicher Frauen, bei denen auch nie ganz klar ist, wer in diesem Verhältnis gerade die Initiative ergreift, wer wen verführt. Beide Frauen tuen zwar nicht nur nette Dinge, aber ihre Liebe scheint (im Gegensatz zu allem anderem in diesem Film) tatsächlich rein und unschuldig zu sein – und genau deshalb immer gefährdet. Denn mit unterschwelligem Witz und Biss ist „Benedetta“ auch ein Sittenportrait einer Dog-Eat-Dog-Gesellschaft, in der jeder auf seinen Vorteil bedacht ist, in der noch jene Räuber am ehrlichsten erscheinen, die sich einfach mit Gewalt das nehmen, was sie wollen. Das ist alles sicherlich nicht neu, wird aber recht kurzweilig dargeboten und schlägt einige unerwartete Haken, da sich „Benedetta“ abseits bekannter Genremuster bewegt.

Problematisch wird es dann, wenn die ganze Sause zum Abschluss kommt. Zwar steigern Birke und Verhoeven das Geschehen zu einem Finale inklusive Pestilenz, Aufbegehren und Totschlag, das nicht alle Figuren überleben, aber insgesamt wirkt die Konklusion etwas verlegen. Nachdem zuvor eher die leisen Töne regierten, die satirischen Spitzen und das feine Intrigenspiel, wirkt das Ende trotz einiger Listen eher grobschlächtig und einfach gestrickt. Auch der kurze Nachklapp zu diesem Finale wirkt vergleichsweise holprig und unbefriedigend.
Tadellos ist dagegen das Spiel der Darsteller und Darstellerinnen. Virginie Efira trägt den Film in der facettenreichen Titelrolle, kann sowohl das hilflose Opfer der Umstände als auch die eiskalte Intrigantin geben. Auch Daphne Patakia ist stark als ambivalente Bartolomea, während Charlotte Rampling den Film in jeder ihrer Szenen beherrscht: Wie die Grande Dame die rationale, kalkulierte Äbtissin gibt, ist eine großartige Vorstellung. Neben diesem Trio kann noch Louise Chevilotte als Schwester Christina Akzente setzen sowie Lambert Wilson, dessen Nuntius zwar eine weniger facettenreiche Figur ist, die er aber Spaß als Karikatur eines selbstherrlichen Popanz anlegt.

Wie schon „Elle“ verbindet auch „Benedetta“ U- und E-Kultur, ist gleichzeitig scharfzüngige Satire auf die katholische Kirche und knalliges Exploitationkino. Die Darstellerleistungen sind top, die humorvollen Spitzen sitzen und die Liebesgeschichte der lesbischen Nonnen ist mitfühlend erzählt, aber ähnlich wie bei „Elle“ schwächelt das Ganze im Abgang. Verhoevens 2016er Mix aus Rape-Revenge-Thriller und Bürgertumssatire war allerdings doch etwas frischer, da er weniger Vorbilder als diese Edelversion des Nunsploitationfilms hat.

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