Review

„Hauptsache es kracht!“

Nachdem MAD-Oberstleutnant Delius (Horst Bollmann) mit dem „Tatort: Freund Gregor“ im Jahre 1979 seinen eigenen Zweig innerhalb der öffentlich-rechtlichen Krimireihe erhalten hatte, durfte er für seinen zweiten Fall „Der Schläfer“ erneut mit Krimi-Regisseur Jürgen Roland („Stahlnetz“, „Zinksärge für die Goldjungen“) zusammenarbeiten. Der von Jochen Wedegärtner geschriebene „Tatort“ wurde am 6. November 1983 erstausgestrahlt und vom Militärischen Abschirmdienst und der Bundesmarine gefördert.

„Dieses Projekt ist gestorben!“

Der bundesdeutsche Erfinder Dr. Spitzner (Klaus Löwitsch, „Mädchen mit Gewalt“) hat für die NATO eine „intelligente“ Mine entwickelt, die durch einen Sonarimpuls ferngelenkt deaktiviert werden kann, um effektiver Friendly Fire zu vermeiden. In Hamburg soll sie der NATO und dem Auftraggeber, Ministerialrat Hohleben (Gunnar Möller, „Hunde, wollt ihr ewig leben“) vom Verteidigungsministerium, vorgestellt werden. Doch auch die Gegenseite ist erpicht auf die neue Technologie: DDR-Agent Heinz Schäfer (Günther Ungeheuer, „Polizeirevier Davidswache“) soll die Konstruktionspläne beschaffen. Hierfür versucht er, einen vor 30 Jahren eingeschleusten „Schläfer“, Hohlebens Referenten Kutschner (Klaus Höhne, „Is’ was, Kanzler?“), zu aktivieren. Doch dieser will nicht und versucht, sich Schäfer und dem DDR-Geheimdienst zu entziehen. Ausgerechnet beim letzten Test detoniert die Mine außerplanmäßig. Was ist die Ursache, wer ist dafür verantwortlich? Delius nimmt die Ermittlungen auf – und muss sich vor Schäfer in Acht nehmen…

„Na, wie seh‘ ich aus?“ – „Zum Kotzen!“

Neben St. Pauli und der Reeperbahn schien Filmemacher Jürgen Roland das Thema Spionage im Kalten Krieg zu interessieren und zu faszinieren, handelt es sich doch bereits um seinen dritten „Tatort“, der dieses Sujet aufgreift. Nach einem die Handlung anstoßenden Prolog auf See mit ungewöhnlich fetziger Musik darf man erst einmal schmunzeln, denn MAD-Oberleutnant Tümmler (Pierre Franckh) liest in seinem Büro die Satire-Zeitschrift „Mad“ und hört Nenas Antikriegslied „99 Luftballons“. Gestaltet sich die anschließende Minenpräsentation noch recht interessant, geht es im weiteren Verlauf mit einer etwas zu hohen Figurenanzahl eher kompliziert erzählt und sehr dialoglastig zu. Die Handlung gewinnt wieder an Spannung, je aktiver Schäfer wird und in das Projekt Involvierte zu manipulieren versucht.

„Ich mag keine Krimis!“

Dabei wird er jedoch arg eindimensional als fiese Möpp gezeichnet (von Ungeheuer indes entsprechend gut gespielt), der relativ plump vorgeht und – natürlich – in der ach so überlegenen BRD mit ihren integren Beamten viele Rückschläge einstecken muss. Ob Bestechungsversuche mit Briefmarken oder amouröse Versuchungen mit einer kaltschnäuzigen Agentin – erst der Zufall muss ins Spiel kommen, damit Kutschner gefügig wird und der Fall wirklich an Fahrt aufnimmt. Hier überzeugt er, wenn er Kutschners innerer Zerrissenheit Ausdruck verleiht, vor allem aber mit einem aufregenden Finale im Hamburger Hauptbahnhof. Über die gesamte Laufzeit kommt „Der Schläfer“ ohne Mord und Totschlag aus, was er jedoch erst gegen Ende dramaturgisch wirklich zu kompensieren versteht. Einen richtigen Zugang habe ich im Post-Kalter-Krieg-Jahre 2023 nicht gefunden, was auch damit zusammenhängen dürfte, dass es mir reichlich egal ist, ob der „Ostblock“ über dieselbe Militärtechnologie wie die NATO verfügt oder nicht. Wahrscheinlich war es damals sogar besser, dass er es tat. Insofern erweckt dieser „Tatort“ den Anschein von viel Lärm um nichts.

„Frauen pflegen bei ihren Liebhabern immer etwas liegenzulassen.“

Bemerkenswert ist, dass mit Klaus Höhne der erste „Tatort“-Kommissar des HR hier in die Rolle des bedauernswerten Kutschner schlüpfte – und dass man im Jahre 1983 bei einer Kollaboration mit MAD und Marine offenbar davor zurückschreckte, sie über alle Maßen propagandistisch auszuschlachten. Halb als Zeitdokument und halb als Unterhaltungsfilm betrachtet, lässt sich „Der Schläfer“ damit heutzutage schon noch passabel gucken, ohne zwangsläufig selbst zu einem zu werden – sofern man manch zähen Mittelteil übersteht.

Details
Ähnliche Filme