Nachdem „X-Men“ im Jahre 2000 ein voller Erfolg wurde, erhöhte man für „X-Men 2“ das Budget, zu sehen an den epischeren Ausmaßen und dem höheren Effektaufkommen.
Erneut führt ein Off-Kommentar von Professor Charles Xavier (Patrick Stewart) in die Geschichte ein, die Entstehung der Mutanten wird kurz umrissen, doch eine Kenntnis des Vorgängers ist angesichts der zahlreichen Anknüpfungspunkte dringend zu empfehlen bis unerlässlich. Der actionreiche Opener, gehört allerdings einem Newcomer: Nightcrawler (Alan Cumming), der die Fähigkeit besitzt sich zu teleportieren. Mit Hilfe dieser Fähigkeit startet er im Weißen Haus eine furiose Attacke auf den Präsidenten und kann diesen auch beinahe erdolchen, wird aber kurz vorher von den Sicherheitskräften aufgehalten, was Singer in einer wunderbaren Actionsequenz zeigt, die klassische Stunts und digitale Effekte wunderbar verschmilzt.
Der Vorfall gibt den Gegnern der Mutanten neuen Wind in ihren Segeln, allen voran General William Stryker (Brian Cox), der sich vom dem eingeschüchterten Präsidenten die Erlaubnis für einen Militäreinsatz gegen die Mutanten holt. Was niemand weiß: Stryker hat dem gefangenen Magneto (Ian McKellen) wichtige Informationen entlockt – auch über die Mutantenschule von Professor Xavier. Neben dem bereits aus dem Vorgänger bekannten Rassenhass und der damit verbundenen Paranoia skizziert „X-Men 2“ auch gefährliche Elemente innerhalb der Regierung, denen jedes Mittel zum Zweck recht ist, was angesichts der konservativen Darstellung der Fiesgesichter den einen oder anderen Seitenhieb in Richtung politischer Lager in den USA erlaubt, zum thesenhaften Weltverbessererkino wird „X-Men 2“ allerdings nicht, sondern er bindet die Ansätze um Gleichberechtigung harmonisch in seinen Plot ein.
Mit dem Freibrief des Präsidenten in der Tasche schlägt Stryker los: Professor Xavier und Cyclops (James Marsden) werden gefangengenommen, als sie Magneto besuchen wollen, und eine Spezialeinheit überfällt die Mutantenschule. Da Storm (Halle Berry) und Jean Grey (Famke Janssen) gerade nach Nightcrawler suchen, ist dort als einziger von den X-Men Wolverine (Hugh Jackman) vor Ort. Doch dank seiner Hilfe können die meisten Kinder der Gefangennahme entgehen. Auf der Flucht und ohne Anführer müssen sich die X-Men gegen den teuflischen General zur Wehr setzen...
„X-Men 2“ baut auf dem Vorgänger auf, erklärt die Vorgeschichte nicht groß, sondern beschäftigt sich mit dem Ausbau des „X-Men“-Universums und dem Mainplot. Dieser benötigt im Sequel ganze zwei Stunden, ist jedoch ähnlich kurzweilig wie der Vorgänger und nimmt einschneidende Veränderungen vor, was nicht unbedingt Usus in Hollywoods Sequelbetrieb ist. Das Zerwürfnis von Iceman (Shawn Ashmore) mit seiner Familie in der Mitte des Films ist noch eine der geringfügigen Änderungen, gegen Ende gibt es da wesentlich Einschneidenderes. Zudem werden die Beziehungen zwischen den Mutanten weitergesponnen, etwa die bereits im Vorgänger angedeutete Liebesbeziehung Iceman und Rogue (Anna Paquin). Ein hervorragender Einfall der Regie ist zudem der, die Karten teilweise neu zu mischen: Im Kampf gegen Stryker müssen sich die Mutantenlager um Magneto und Professor X (vorübergehend) verbünden, womit der Film auch Einblicke in die Gegenseite erlaubt. Tatsächlich sind Magneto und seine Schergen keine bösen Abziehfiguren, sie verfolgen ähnliche Ziele wie die X-Men, bedienen sich aber Mittel, die Xavier (und der Zuschauer mit ihm) nicht gut heißen mag. Singer hat sein Ensemble im Griff, gibt jedem der Mutanten genug Zeit für Charakterentwicklung und nachvollziehbare Motive, welche den besonderen Reiz der Mutantentruppe ausmacht, die im „X-Men“-Universum als Stand-In für ausgegrenzte Minderheiten dient.
Zudem gibt es kleine Anspielungen und Insidergags (z.B. wenn Rebecca Romijn-Stamos als Mystique Frauengestalt annimmt und dann wie Rebecca Romijn-Stamos aussieht), vor allem für die Kenner der Vorlagen (etwa ein Kurzauftritt von Hank McCoy auf einem Fernsehbildschirm im Hintergrund), was zeigt mit welcher Freude und welchem Facettenreichtum Bryan Singer und seine Drehbuchautoren den Film angehen. Umso erfreulicher, dass der Film bei all seinen optischen Pracht mit state-of-the-art-Spezialeffekten nicht in hohlem Krawall und einem Effektinferno untergeht, auch wenn der Showdown in und um einen Damm, der fast die komplette zweite Hälfte des Films einnimmt, sich hier und da etwas kürzer fassen könnte. Schön dagegen das richtig Maß Selbstironie, etwa wenn die Polizei Wolverine auffordert die Messer fallen zu lassen (womit man seine Adamtiumklingen meint), sich ebenjener eine Cola von Iceman kühlen lässt oder Mystique inmitten akrobatischer Kampf- und Rutscheinlagen noch Zeit findet einer Horde von Kontrahenten den ausgestreckten Mittelfinger zu zeigen.
Immer wieder gibt es ein paar Actionszenen, deren Zahl allerdings im Vergleich zum kürzeren ersten Teil nicht so sehr zugenommen hat. Neben der Eingangsequenz wären dies in erster Linie der Kampf in der Mutantenschule und der Showdown. Die besten Auftritte hat hier mal wieder Krallenmann Wolverine, dessen Hintergrundgeschichte in „X-Men 2“ wieder entscheidend beleuchtet wird. Die Kämpfe sind allesamt sehr temporeich inszeniert und wunderbar choreographiert; außerdem gehen hier Computereffekte und echte Stunts sehr schön Hand in Hand und vergraulen den Fan handgemachter Action nicht. Klare Höhepunke sind Wolverines Kampf gegen die Spezialeinheit und das Finale Wolverine vs. Lady Deathstrike (Kelly Hu). Letzterer muss sich im Direktvergleich allerdings dem Match Wolverine vs. Mystique aus dem Vorgänger geschlagen geben, da Singer in der Fortsetzung leider mehr auf drahtseilgestützte Sprungeinlagen legt und den Hand-to-Hand-Combat zurückfährt. Ebenfalls erstaunlich ist die Tatsache, dass der Härtegrad gegenüber dem ersten Teil stark angestiegen ist: Waren dort Tote eher eine Seltenheit, schlitzt sich Wolverine hier munter durch eine Spezialeinheit, Magneto erledigt mehrere Wärter ohne mit der Wimper zu zucken und auch das Finale ist etwas andere als zimperlich.
Dass James Logan alias Wolverine die coolste Sau im X-Men-Universum ist, entging weder Zuschauern noch Machern – trotzdem konzentriert sich „X-Men 2“ nicht allein auf ihn, gibt ihm sogar etwas weniger Raum als der Vorgänger, spendiert ihm allerdings erneut die markantesten Szenen, die Hugh Jackman dann auch gewohnt charismatisch spielt. Patrick Stewart und James Marsden haben dieses Mal eher kleine Rollen, schlagen sich aber überzeugend, während Ian McKellen, Rebecca Romjin-Stamos, Halle Berry und Famke Janssen mit ihrer gesteigerten Screentime mehr von ihrem Können zeigen. Auch die Jungdarsteller Anna Paquin, Shawn Ashmore und Aaron Stanford können sich als nächste Generation der Mutanten deutlich mehr entfalten als im Vorgänger, während Neuzugang Alan Cumming als deutschstämmiger Mutant Kurt Wagner alias Nightcrawler eine hervorragende Ergänzung ist. Bryan Cox macht das Beste aus seiner leicht eindimensionalen Rollen, während es etwas schade ist, dass Kelly Hu hier ein wenig unterbeschäftigt ist, wenn auch nicht so schlimm wie zuvor in „Cradle 2 the Grave“.
Befreit von der Last eine ganze Welt und sein großes Ensemble an Figuren einzuführen kann sich Bryan Singer bei „X-Men 2“ noch ein wenig steigern: Konsequent führt er die Geschichte des Erstlings weiter, vertieft seine Figuren und erzählt nebenbei noch einen spannenden Comicactionfilm. Trotz des etwas zu lang geratenen Finalteils im Damm ein zwar spektakulärer, aber gleichzeitig durchdachter Blockbuster mit genug, aber nicht zu viel Action, toller Besetzung und überzeugenden Figuren.