Normalerweise sind die Besuchsregeln klar definiert. Godzilla ist es, der die Menschen in deren Großstädten heimsucht. Die Menschen, wenn sie denn mal auswärts unterwegs sind, gehen wiederum eher King Kong im Dschungel auf die Nerven. Man wäre aber doch verrückt, den König der Echsen freiwillig aufsuchen zu wollen. Vielmehr wird er durch törichtes Verhalten gerufen und fällt stets wie ein Bumerang auf das größenwahnsinnige Handeln der Menschheit zurück. Wer die Frechheit besitzt, die kleinsten Bausteine der Welt spalten zu wollen, der bekommt eben vom größten Reptil der Welt die Quittung serviert. Und zwar direkt am eigenen Wohnzimmertisch.
„Frankenstein und die Ungeheuer aus dem Meer“, der garantiert Frankenstein-freie siebte Eintrag in die Godzilla-Reihe, markiert nicht nur diesbezüglich eine Wachablösung. Nachdem bis dato fast ausschließlich Ishirō Honda auf dem Regiestuhl saß (sieht man vom zweiten Teil mal ab), inszeniert nun Jun Fukuda seinen ersten von insgesamt fünf Godzilla-Auftritten. Die japanischen Küsten- und Großstädte dürfen aufatmen, denn Fukuda hat bloß eine Chemieanlage auf einer von monströsen Kreaturen bevölkerten Insel im Visier – was seine Arbeit quasi zu einem Jules-Verne-Abenteuer werden lässt.
Danach sieht es in den ersten Minuten allerdings noch nicht aus. Die für Verne-Adaptionen (und dessen Brüder im Geiste) typische Verschmelzung von Phantastik und historischem Ambiente fällt angesichts der 60er-kontemporären, von amerikanischer Kultur stark beeinflussten Einschübe flach. Ein Ausdauer-Tanzwettbewerb bringt den Rock’n’Roll-Twist nach Japan – und das Handlungsmotiv auf den Plan, denn als Preis winkt eine nagelneue Yacht, die für das Drehbuch natürlich nichts anderes ist als die Verbindungslinie zwischen Festland und Insel. Schnell noch eine rudimentär ausgearbeitete Geschichte um einen vermeintlich auf See verschollenen Bruder aus dem Hut gezogen und schon kann die Seefahrt losgehen.
Bei der Wahl seiner Hauptfiguren entscheidet sich Fukuda glücklicherweise für ein albernes Quartett aus Halunken, die dem hanebüchenen Fundament aller „Gojira Kaijū Eiga“ mit ihrer halsbrecherischen Kopfüber-ins-Abenteuer-Art völlig auf Augenhöhe begegnen. Die Frotzeleien der Yachtdiebe an Bord erinnern in mancher Hinsicht an den burschenhaften Humor so mancher leicht verdaulicher Ensemblekomödie. Der Bezug zur Gegenwart lässt den Sprung durch das Kaiju-Dimensionstor fast so lautstark zur Geltung kommen wie den Knall beim Durchstoßen der Schallmauer. Und als dann erstmals die Hummerscheren aus dem aufgewühlten Studio-Wasserbecken ragen, betreten wir endlich Godzilla-Terrain.
Ebirah, ein überdimensionales Hummer-Kaiju, ist der Filmantagonist und besitzt im Grunde die charakterliche Tiefe eines Elektrozauns. Er fungiert völlig funktional als physikalisches Hindernis, das die Leute davon abhält, die ominöse Insel zu betreten oder von ihr zu fliehen. Es handelt sich dennoch um ein wirklich garstiges Monster, das durch gelungene Tricks im Umgang mit Größenverhältnissen, Miniaturmodellen und Bildtiefe für imposante Eindrücke sorgt. Um seine Kaltblütigkeit zu unterstreichen, hat man ihm für ein oder zwei Szenen sogar kleine aufgespießte Menschenpuppen an die Kneifwerkzeuge geheftet. Man darf annehmen, dass sowohl „Mysterious Island“ (1961) als auch Roger Cormans „Attack of the Crab Monsters“ (1957) einen Einfluss auf die Erschaffung des Hummermonsters gehabt haben, das anschließend in zwei weiteren Godzilla-Filmen ein Comeback feiern durfte („Attack All Monsters“ von 1969 und „Final Wars“ von 2004).
Ähnlich funktional wie Ebirah wird gegen Ende Riesenmotte Mothra eingeführt. Durch die lieblich singenden Feen-Zwillinge zur Gottheit der Erlösung stilisiert, entpuppt sich das platt am Strand liegende Mothra-Modell als brachliegende Arche, die flugtauglich gemacht werden muss, um eine Evakuierung der Insel zu ermöglichen. Sie ist letztlich also ein reines Transportgerät, sozusagen die Entsprechung des Heißluftballons aus „In 80 Tagen um die Welt“.
Und Godzilla? Der denkt sich so im Stillen: „Ich sollte eigentlich gar nicht hier sein“. Dass das Drehbuch ursprünglich auf das US-Pendant King Kong ausgelegt war, merkt man dem Verhalten des Reptils spürbar an, scheint es sich auf dem kleinen Eiland doch zu keiner Zeit so recht heimisch zu fühlen. Erst ruht es als schlafender Riese wie tot unter Steingeröll und wartet in komatösem Zustand eine geschlagene Dreiviertelstunde auf seinen großen Auftritt, dann wird es von allerhand Ungeziefer zu Wasser und in der Luft genervt (irgendwo zwischendrin bläst noch ein übermotivierter Riesen-Condor planlos zur Attacke) und von dem wuselnden Menschenhaufen zu allem Überdruss auch noch dazu genötigt, ins Wasser zu hüpfen, um der Explosion eines Stützpunktes zu entgehen (‘tschuldigung für den unangekündigten Spoiler). Als der Arme dann auch noch wütend hinter einem Felsen hervorlugt und beim Anblick einer menschlichen Inselschönheit (Kumi Mizuno) in der Pose einfriert, wird ein waschechter Kong-Moment initiiert… der beim stocksteifen Schuppenrindvieh Godzilla natürlich herzlich bescheuert aussieht, zumal man Suitmation-Actor Haruo Nakajima ein besonders debil ins Leere blickendes Kostüm übergestreift hat (dasselbe wie im Vorgänger “Befehl aus dem Dunkel”), das in der Nachbetrachtung natürlich sehr zum Belustigungsfaktor beiträgt. Das gilt um so mehr, wenn man Nakajima bei allerhand sportlichen Verrenkungen betrachten kann, etwa diversen Tauchgängen (auf Planschbeckenhöhe), hektischem Gewinke und In-die-Faust-Gepatsche am Strand oder dem absoluten Sahnestück der Monster-Action, einem jeglicher Beschreibung spottenden Felsblock-Tennis zwischen Godzilla und Ebirah, das man einfach gesehen haben muss, um es zu glauben.
Einmal von der Makro- in die Mikroperspektive gewechselt, werden starke Einflüsse durch die Agenten-Action aus den Bond-Thrillern spürbar. „Feuerball“ war gerade abgedreht (und der Insel-Bond „Der Mann mit dem goldenen Colt“ gerade als Roman veröffentlicht), da machen sich Toho daran, anstatt eines Trampelpfads aus Wolkenkratzern diesmal direkt am Wasser eine Fabrikanlage zu bauen, die mit ihren glatten Flächen und ihrem futuristischen Design jedem Supervillain mit Welteroberungsabsichten als Stützpunkt der Spitzenklasse gedient hätte. Unser lustiges Heldengespann ist dabei mit allerhand Schlossknacker- und Rauchbombenwurf-Spezialfähigkeiten ausgestattet und bewegt sich fintenreich durch die feindlichen Reihen, um den verschollenen Bruder zu finden und einen Chemie-Skandal aufzudecken. Monsterhummer mit einer gelben Flüssigkeit im Zaum zu halten, das ist natürlich auf Zaunpfählen aufgespießte Öko-Message der allerfeinsten Sorte, nach dem Motto: Wenn ihre Großstädte verseucht sind, fahren sie aufs Meer hinaus und vollenden ihr Werk.
Ein Fabrikgelände ist natürlich kostengünstiger zu modellieren als eine ganze Metropole; so mutet die Verlagerung des Monster-Clash vom Puls der Zivilisation auf vulkanisches Inselrund natürlich etwas bequem an, zumal das große Staunen der spektakulären Insel-Dino-Abenteuer aus den USA ausbleibt. Hier spielen sich schließlich bloß zwei Männer in Ganzkörperlatex die Bälle zu (und zwar wortwörtlich). Zur Last legen kann man Jun Fukuda auch, dass er insbesondere in den ersten beiden Dritteln verhältnismäßig lange Durststrecken verwalten muss, in denen kein Kaiju weit und breit seine Brunftschreie in den Himmel über dem Pazifik schreit (wenn man das der 2014er Version von Gareth Edwards vorwerfen kann, dann sicherlich auch Fukuda). Noch dazu strahlt die Kong-DNA des Originaldrehbuchs unmissverständlich durch. Wenn sich aber endlich Godzilla und Ebirah gegenüberstehen, lohnt sich jede Sekunde dieses herrlich doofen, in seinen besten Momenten völlig bekloppten Monsterprüglers. Da auch die menschlichen Akteure in den monsterfreien Passagen für passable Ablenkung sorgen, sind alle Unzulänglichkeiten schnell verziehen.