Review

Spiel, Spaß, Spannung… Schmetterlinge


Wäre „Godzilla und die Urweltraupen“ ein Suspense-Horrorfilm, so würden wir in unserem Kopf permanent eine Uhr ticken hören und auf kleine Risse in der Eierschale achten. Das angespülte Riesen-Ei am Strand eines japanischen Dorfes würde uns wie eine dieser Party-Torten vorkommen, in die man eine Stripperin gesteckt hat. Nun, vielleicht wäre mit Blick auf die Franchise eine Atombombe noch wahrscheinlicher. Man müsste die Neugier der Schaulustigen zwangsläufig als moralische Verfehlung betrachten, die höchstwahrscheinlich im Laufe der Handlung noch vom Drehbuch bestraft würde. Wir jedenfalls würden solange hinter dem nächsten Felsen Deckung suchen, das Ei könnte schließlich in die Luft fliegen.

Wäre „Godzilla und die Urweltraupen“ ein Finanz-Thriller, so erfreuten wir uns an dem skrupellosen Vorgehen kapitalistischer Schweinepriester, die selbst dann ein Geschäft wittern, wenn sie nicht einmal genau wissen, was es eigentlich ist, das sie da zu Geld machen wollen. Unsere Helden der Geschichte sind die tugendhaften Wissenschaftler, denen nichts als das Wohl der Erde am Herzen liegt, und die tapferen Reporter, die der Wahrheit auf der Spur sind. Hoffen wir also, dass sie den fiesen Unternehmern gemeinsam das Handwerk legen. Ein Hoch auf die Wissenschaft, es lebe die Pressefreiheit!

Wäre „Godzilla und die Urweltraupen“ ein Katastrophen- und Abenteuerfilm, so hätten die Japaner gerade erst wieder den Tokyo Tower neu aufgebaut, den Mothra drei Jahre zuvor noch dem Erdboden gleichgemacht hatte – und prompt bliebe Tölpel Godzilla mit dem Schwanz im nächsten Turm stecken und würde ihn bei dem Versuch, sich loszueisen, ebenfalls niederreißen. Uuups! Liebe Städter: Geht euch das ständige Umkippen von Bauwerken langsam auf die Nerven? Keine Sorge, es gibt eine Lösung für eure Probleme. Macht doch einfach mal Urlaub auf Infant Island! Dort gibt es traumhafte Strände voller Gerippe, dumm in die Wäsche schauende Riesenschildkröten, Eingeborenenvölker, die den ganzen lieben Tag Bongos trommeln und bunt beleuchtete Götzen-Statuen! Einfach anbetungswürdig!

Wäre „Godzilla und die Urweltraupen“ eine Familien-Sitcom, würden wir uns königlich darüber amüsieren, wie Godzilla von seiner Alten mächtig auf die Mütze bekommt. Der selbsternannte König der Männ… ähm, Monster versucht sich noch gestikulierend aufzuplustern und die symbolischen Hosen anzubehalten, doch sie keift herum und macht solch einen Riesenwind um Nichtigkeiten (er sei ein Säufer meint sie, er strahlt schon radioaktiv von dem ganzen Alkohol, sagt sie… pah!), dass durch ihr Gezeter am Ende sogar die Zwillinge aufwachen, die bis dahin brav in ihrem Puppenbettchen geschlafen hatten. Und als Krönung schlagen die sich auch noch auf die Seite ihrer Mutter und spucken Papazilla an, bis der sich nicht mehr bewegen kann. Im Publikum säße übrigens ein einzelner Kerl, der pausenlos Eier mampft, anstatt an den vorgesehenen Stellen zu lachen.

„Godzilla und die Urweltraupen“ bedient zwar keines dieser Genres mit ganzem Herzen, aber doch ein bisschen von allen. Es ist eben ein Godzilla. Der vierte wohlgemerkt und dabei zugleich der erste, in dem er auf Mothra stößt. Noch im gleichen Jahr würde das Riesenreptil auf die Seite der Guten wechseln („Frankensteins Monster im Kampf gegen Ghidorah“), es handelt sich hier also um die seltene Gelegenheit, ihn noch einmal so fies zu sehen, wie Ishirō Honda ihn einst schuf: als atomar strahlende Bedrohung, die hinter den japanischen Bergen auftaucht und Fischerdörfer so kampflustig anglotzt wie ein Rabauke eine frisch aufgebaute Lego-Burg.

Doch unser alter Bekannter lässt sich eine Menge Zeit. Während er vermutlich immer noch seine Kampfwunden aus dem Kampf mit King Kong näht, nimmt der Film das gemächliche Tempo des ersten „Mothra“-Films an, mit dem die Wege hier gekreuzt werden. Ein Sturm lässt zu Beginn mächtig Atmosphäre aufkommen und der darauffolgende Tag bringt Mysteriöses zu Tage, um das sich allerhand typische Comic Reliefs aus der Honda-Schmiede tummeln können: Eher positiv konnotierte Reporter und Wissenschaftler stehen Villains gegenüber, die zur Not auch über Leichen gehen, um ihren Reichtum zu vermehren. Monster lassen sich zunächst aber lange nicht blicken; zur tricktechnischen Auflockerung dienen allenfalls ein paar Spielereien mit den Größenverhältnissen rund um das angespülte Ei und eine erweiterte Szene um die Shobijin-Zwillinge, die in einem Büro mit den fiesen Kapitalisten Fangen spielen. Dazu werden noch große Matte Paintings aufgestellt und mit klein abgefilmten Menschengruppen zu einem Panorama aufgeblasen. Ansonsten muss man sich mit den üblichen Konflikten zwischen Intellektuellen und Aggressoren vor der Kulisse besorgter Bürger und schussbereiten Militärs begnügen, die diesmal leider weder einen besonders abgefahrenen Subplot zu bieten haben noch außergewöhnlich viel Humor beinhalten, sieht man mal von einem Redakteur ab, der ein Ei nach dem anderen in sich hineinstopft.

Auch als Mothra und Godzilla schließlich den Ring betreten, bleibt der Ton vergleichsweise gemäßigt. Selbstredend kommen Fans der Miniatur-Modellkunst in der letzten halben Stunde trotzdem auf ihre Kosten, jedoch fehlt einerseits der Druck der Zerstörungsorgien späterer Fortsetzungen, andererseits setzt so ein Crossover zwischen zwei etablierten Kaijus nun auch nicht mehr gerade die tiefen Subtexte der frühen Solo-Auftritte frei. Wenn man sich entscheiden müsste, würde man aber sagen, dass Honda vor allem letztere Richtung einschlagen wollte. Denn hier kämpft natürlich nicht einfach bloß Mothra gegen Godzilla, sondern Mutter Natur gegen die Atombombe, inszeniert als finaler Standoff zweier Giganten, die noch ganz unter sich sind. Als die Wissenschaftler mit dem Strahlenmessgerät unterwegs sind und das Ei als unbedenklich einstufen, wird klar, dass Godzilla für seine alte Rolle vorgesehen ist, ein trampelndes Kernkraftwerk, das wie ein Boomerang auf die Gott spielenden Menschen zurückfällt.

Weil die Choreografie dieser metaphorischen Linie entsprechen möchte, ist sie vergleichsweise ernst angelegt. Godzilla, der normalerweise für allerhand GIF-würdige Gesten zu haben ist, hat einen eher humorlosen Auftritt. Selbst das Kostüm wirkt schlaff; in der Bewegung wabbeln seine Bäckchen wie die Lefzen einer Dogge. Unter Berücksichtigung des Gegners ist es auch kein Wunder, dass die Attacken fast körperlos ausfallen; Atomstrahlen, Windböen und Giftstaub sind die bevorzugten Waffen in der Konfrontation. Einzig seinen Schwanz muss Godzilla mehrmals vor den hinterlistigen Attacken von Motte und Urweltraupen in Sicherheit bringen. So sind’s halt, die Frau’n…

Wer dem Vollblut-Trash der wahrhaft abgedrehten Teile nicht allzu sehr zugetan ist, der wird sich über diese insgesamt doch eher gemäßigte Ausrichtung vielleicht sogar freuen. Andererseits; schaut so jemand überhaupt freiwillig Godzilla-Filme? Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich „Godzilla und die Urweltraupen“ wie im Grunde fast jeder Teil der langen Reihe als Fan-Liebling eignet, je nachdem, welche persönlichen Maßstäbe man setzt. Tōhō hat aber wesentlich verrückteres und unterhaltsameres Zeug in seinem Katalog.


(4.5/10)

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