„Wir zwei sind unschlagbar!“
Der zehnte Weimarer „Tatort“ ums Ermittlungsduo Dorn (Christian Ulmen) und Lessing (Nora Tschirner) knüpft wieder an die lose Tradition der Feiertagsausstrahlungen dieser Subreihe an: Gedreht im Mai/Juni 2019, wurde „Der letzte Schrey“ rund ein Jahr später an Pfingsten erstausgestrahlt. Regisseurin Mira Thiel („Gut zu vögeln“) debütierte mit der Verfilmung des Drehbuchs von Weimar-Stammautor Murmel Clausen innerhalb der öffentlich-rechtlichen Krimiserie.
Ein junges Verbrecherpaar (Christopher Vantis, „Herr und Frau Bulle: Abfall“ und Sarah Viktoria Frick, „Lago Mio“) dringt in die Villa der Strickwarenfirmenbesitzer Schrey (Jörg Schüttauf, 2002-2010 Frankfurter „Tatort“-Kommissar, und Nina Petri, „Lola rennt“) ein und ermordet erst deren Hund und schließlich Frau Schrey, nachdem es Gerd Schrey niedergeschlagen hat. Dieser befindet sich weiterhin in der Gewalt der Kriminellen, die von Schreys Sohn Maik (Julius Nitschkoff, „Als wir träumten“) ein hohes Lösegeld fordern. Für die Kripo riecht die ganze Chose jedoch eher nach versuchtem Versicherungsbetrug, hatte Gerd Schrey doch kürzlich eine Entführungs/Lösegeld-Versicherung abgeschlossen. Auch Maik gerät ins Visier der Ermittlungen, denn bei der Toten handelte es sich um seine Stiefmutter, zu der er kein gutes Verhältnis pflegte...
Der Auftakt in Form einer inszenatorisch recht starken Exposition zeigt die Ermordung des Hunds und anschließend Frau Schreys und mündet in einer Visualisierung Lessings Tathergangsthese. Die Täter bekommt man als Zuschauerin oder Zuschauer zunächst kurz zu Gesicht, ihre Motive kennt man jedoch nicht. Für ein wenig Humor sorgt der Konflikt zwischen dem auch privat liierten Ermittlungsduo um die Verpflichtung eines Au-pair-Mädchens fürs gemeinsame Kleinkind – und der Umstand, dass sich als beste Tatzeugin ausgerechnet eine blinde Frau herausstellt. Das Publikum dieses „Tatorts“ kommt also in den Genuss eines Wissensvorsprungs gegenüber Dorn und Lessing, kann mit diesem aufgrund des Whydunits jedoch nicht allzu viel anfangen.
Im weiteren Verlauf werden der Entführer und die Entführerin zunehmend charakterisiert, ihre Verbindung zu ihren Opfern bleibt indes bis zum Finale diffus. Dass beide nicht die hellsten Kerzen auf der Torte sind, bereitet einige weitere humoristische Momente aus Situationskomik und etwas Slapstick, die sich schwärzen, wenn der Entführer seine Partnerin erschlägt. Nach einigen Wendungen werden schließlich alle Fäden kongenial zusammengeführt – ganz wie im Betrieb der Schreys, gewissermaßen. Der Weg dorthin ist gepflastert mit zahlreichen zerstörten Telefonen, den obligatorischen Literaturzitaten Lessings und Jumpcuts im Percussionrhythmus der „jerks.“-Titelmelodie, der aktuellen Sitcom Christian Ulmens also. Der tiefere Sinn hinter diesem Semi-Insider-Gag bzw. -Audiozitat hat sich mir ehrlich gesagt nicht erschlossen.
Zwar knüpft das Finale, das die Handlung in einer überraschend komplex verwobenen Geschichte auflöst, stilistisch grundsätzlich an die besten Fälle des zuletzt etwas schwächelnden Weimar-„Tatorts“ an, doch leider fehlt über weite Strecken der intelligente Witz, der sich bis 2018 insbesondere in den Dialogen ausbreiten durfte. Beamte auf dem Sprung in den Südsee-Urlaub in alberner deutscher Tourikluft sind diesbezüglich kein vollwertiger Ersatz (aber dennoch für den einen oder anderen Schmunzler gut). Ebenso fehlt die Ebene, die Empathie bis Sympathie für den oder die Täter(innen) generiert und Einblicke in einen fremden Mikrokosmos oder alternative Lebensentwürfe gewährt. Damit einher geht ein geringeres Spannungslevel, das jedoch weiterhin über dem bemüht lustiger Krimikomödien oder deutscher TV-Krimi-Konfektionsware anzusiedeln ist.
Gegenüber „Der höllische Heinz“ und „Die harte Kern“ ist somit wieder eine positive Entwicklung in Weimar zu verzeichnen, sodass Anlass zur Hoffnung besteht, dass das Team eventuell schon mit seinem nächsten Fall komplett zurück in die Spur findet.