„6 Underground“, „Spenser Confidential“, „Tyler Rake: Extraction“ – Netflix sucht derzeit nach franchisetauglicher Actionware, in die teilweise dreistellige Millionenbeträge gepumpt werden. Mit der Comicverfilmung „The Old Guard“ will der Streaminggigant nun an die Fleischtöpfe von Marvel und DC, wenn auch mehr mit Blick auf das R-Rated-Actionpublikum.
Die alte Garde, das ist eine Truppe unsterblicher Söldner, angeführt von Andy (Charlize Theron), kurz für Andromache of Scythia. Zusammen mit Booker (Matthias Schoenaerts) alias Sebastian Le Livre, Joe (Marwan Kenzari) alias Yusuf Al-Kaysani und Nicky (Luca Marinelli) alias Niccolò di Genova erledigt sie gefährliche Missionen – möglichst nie für denselben Auftraggeber. Von daher geht Andy mit keinem guten Gefühl an eine Gefangenenrettung, mit der sie der ehemalige CIA-Agent James Copley (Chiwetel Ejiofor) beauftragt, den sie noch aus seiner Zeit bei der Behörde kennen. Ihr Gefühl trügt sie nicht, denn das Ganze erweist sich als Falle, bei der sie niedergeschossen werden. Nicht um sie zu töten, sondern um ihre Selbstheilung auf Video aufzuzeichnen.
Während die Heldentruppe sich nach Erledigung ihrer Feinde sammelt und das weitere Vorgehen überlegt, ereilen sie Visionen – eine neue Unsterbliche ist auf der Bildfläche erschienen. Es handelt sich um die US-Soldatin Nile Freeman (KiKi Layne), die in Afghanistan einen eigentlich tödlichen Kehlenschnitt übersteht. Mit Nile wird die klassische Erklärbärfunktion in den Film eingebaut: Stellvertretend für den Zuschauer erfährt sie alles über Andy und ihre Mannen, die nun wiederum einen dramaturgischen Grund haben über ihr Leben zu reden.
Copleys Verrat fand im Auftrag des Pharma-CEOs Stephen Merrick (Harry Melling) statt, der die Unsterblichen gefangen nehmen möchte, um ihre Selbstheilungskräfte zu extrahieren und daraus Medikamente herzustellen. Dazu hat er eine Armee privater Söldner angeheuert, die Jagd auf die Andy und ihre Truppe machen…
„The Old Guard“ ist ein klassischer Anfangsfilm einer geplanten Superheldenfranchise. Viel Zeit wird auf die Etablierung der Helden und ihrer Mythologie verwendet, der Mainplot wird manchmal etwas stiefmütterlich behandelt. Letzteres ist in diesem Fall gar nicht mal so tragisch, denn besagte Geschichte ist reichlich schwach auf der Brust, gerade für etwas mehr als zwei Stunden Laufzeit. Sonderlich viel Tempo hat die Jagd nicht, die eigentlich nur aus einem weiteren Überfall der Schurken und einem mehrstufigen Gegenschlag der Helden besteht. Ein kleiner Twist im Schlussdrittel lockert das Ganze auf, aber „The Old Guard“ ist über weite Strecken erst einmal damit beschäftigt sich, seine Figuren und die Unsterblichen-Mythologie zu erklären.
Zu letzterer gehört die Tatsache, dass die Krieger irgendwann doch sterben, wenn ihre Heilungskräfte aussetzen. Das ist einerseits ein kluger Schachzug, denn unkaputtbare Helden sind nun einmal langweilig – auch Superman hat sein Kryptonit, auch RoboCop bekam man durch Beschuss mit schweren Waffen klein. Andrerseits wirkt das Ganze im Falle von „The Old Guard“ bemüht, denn es gibt keine Regeln, wann so etwas passiert, kein Warum, weshalb es etwas willkürlich wirkt, wenn eine der Figuren auf einmal mitten im Film sterblich wird. Einblicke in die früheren Leben bringen neue Möglichkeiten in Sachen Ausstattung und Kostüm, sind einerseits atmosphärisch, wirken andrerseits in ein paar schlechteren Momenten wie das Treffen einer LARP-Gruppe. Und natürlich reißen sie Stoff für Sequels und Prequels an, denn da unterscheidet sich Netflix auch nicht von den Produzenten von Superhelden-Kinostoffen. Gerade die Midcredit-Sequenz schreit geradezu nach einer Fortsetzung und bereitet diese vor.
Was all die Rückblenden allerdings nicht schaffen: Den Figuren mehr Tiefe zu verleihen. Zwar war mit Gina Prince-Bythewood eine Regisseurin am Werke, die vor allem für Indie-Dramen bekannt ist, doch so wirkliches Profil fehlt den Unsterblichen. Andy und Booker haben jeweils ein tragisches Event in ihrer Vergangenheit, Joe und Nicky sind das schwule Paar, das sich dereinst bei den Kreuzzügen auf verschiedenen Seiten kennenlernte, aber im Endeffekt sind alle coole Killertypen, mal mehr, mal weniger abgebrüht. Und die Eigenschaft, dass Andy die Herkunft von Baklava am Geschmack erkennen kann, ist eher ein Gag als wirkliche Persönlichkeitsentfaltung.
So reißt „The Old Guard“ das Potential seines Stoffes nur an und zeigt nur phasenweise, was möglich ist. Die Unsterblichen sind ähnlich wie die Helden aus der „Highlander“-Reihe dazu verdammt ihre Liebsten altern und sterben zu sehen, sie können eigentlich nur untereinander Beziehungen aufbauen. Aber über solche kleinen Akzente gehen solche Gedanken dann doch nicht hinaus. Auch die Ambivalenz von Copley, der seine Frau an ALS verlor, ist nur ein Nebengedanke. Anstatt dass man den Antagonisten durchweg edle Motive unterstellen würde, die ihr Unterfangen eher als zwiespältig denn abgrundtief böse erscheinen ließen, erweist sich Merrick als geifernder Westentaschendiktator, der nur Profit im Sinn hat und gerne Leute quält. Dummerweise ist er als Schurke eine ziemlich arme Wurst, die den Unsterblichen nie gewachsen scheint. Kein charismatischer Bösewicht, eher ein verzogenes, sadistisches Kind im Körper eines Erwachsenen.
Dass Harry Melling sich in dieser Rolle fröhliches Overacting betreibt, schmälert den Fiesling dann leider umso mehr, der einfach kein Gegengewicht zu den Protagonisten bildet. Dort sticht eine coole Charlize Theron heraus, die nach „Mad Max: Fury Road“ und „Atomic Blonde“ weitere Actionstar-Credibility sammelt. Matthias Schoenaerts und Chiwetel Ejiofor als bekannteste weitere Gesichter sorgen für soliden Support, Kiki Layne, Marwan Kenzari und Luca Marinelli sind okay, hinterlassen aber kaum bleibenden Eindruck. Und der Rest vom Fest, der ist größtenteils Kanonenfutter.
Was jetzt nicht bedeuten würde, dass „The Old Guard“ den ganz großen Action-Otto losmachen würde. Trotz seiner Länge gibt es nur drei größere Actionszenen, die sich reißbrettmäßig auf Anfang, Mitte und Ende des Films verteilen: Der anfängliche Hinterhalt im Sudan, ein Scharmützel nahe Paris und der Showdown in London. Fight Choreographer Daniel Hernandez war Teil der Stuntcrew der ersten beiden „John Wick“-Filme, die unzweifelhaft Pate bei „The Old Guard“ standen. Auch hier schießen, hauen und schlitzen sich die Heroen in perfekt durchchoreographierter Weise durch die Gegnerhorden, setzen den Fangschuss bevorzugt in des Gegners Rübe und gehen mit gnadenloser Präzision vor. Hier gibt es noch ein bisschen Teamwork (etwa wenn man ein sterblich gewordenes Mitglied mit dem eigenen, unsterblichen Körper vor dem Kugelhagel schützt), was ein ansatzweise neues Element in die Action bringt, aber insgesamt ist das Ganze doch in erster Linie kopiert – wenn auch gut kopiert und dynamisch in Szene gesetzt. Schade nur, dass sich „The Old Guard“ actionseitig etwas zurückhält.
Vorlagenautor Greg Rucka schrieb auch direkt das Drehbuch für „The Old Guard“, doch so hundertprozentig will der Mix aus „Highlander“, „John Wick“ und „The Expendables“ nicht zünden. Der Plot ist einfach, die Figuren oberflächlich und zu oft scheint der Film in erster Linie darum bemüht zu sein die eigene Mythologie zu erklären und Stoff für weitere Filme anzuteasern. Immerhin überzeugt Charlize Theron in der Hauptrolle ebenso wie die (leider etwas sparsam eingesetzte) Action und phasenweise ist das Potential des Stoffes zu spüren – eventuelle Fortsetzungen sollten es aber besser ausnutzen.