Review

Mondo Cane (1962) von Franco Prosperi, Gualtiero Jacopetti, Paolo Cavara
Mondo Cane 2 (1963) von Franco Prosperi, Gualtiero Jacopetti

Jacopetti und Prosperi haben mit ihrem sensationell erfolgreichen "Mondo Cane" eine neue Art der essayistisch orientierten Dokumentation geschaffen - oder zumindest endgültig etabliert, wenn man sie bloß als konsequente Fortsetzung einiger, bereits vorhandener effekthascherischer Werke wie "Il Mondo di notte" (1959) oder "Il Mondo di notte numero 2" (1961) sieht - und damit zugleich eine sehr erfolgreiche Welle ausgelöst, die bei jenen, die überhaupt von ihr wissen, in einem eher schlechten Ruf steht: In ihren Mondo Filmen präsentierten sie die Welt durch Bilder, die der Zuschauer in der Regel nicht gewohnt war... Abscheuliches, Bizarres und Dekadentes wurde nebeneinandergereiht, um ein möglichst schockierendes Gesamtbild zu erreichen. Es liegt der Verdacht nahe, Prosperi und Jacopetti würden in der Tradition rassistisch orientierter Kulturfilme, die fremde Völker vorurteilsbeladen unter die Lupe nahmen, eine exotische Mischung aus Sex und Gewalt unter dem Deckmantel der Dokumentation verkaufen. Das trifft jedoch nur teilweise zu... Sicher waren sich die beiden bewusst, dass ein Skandal mehr Aufmerksamkeit einbringt - aber zumindest Jacopetti (der zuvor als Erzähler im "Il Mondo di notte" tätig war) hat in Interviews mehrfach sein Interesse für die Größen der Aufklärung (von Voltaire bis Diderot) oder für die Geschichte des (im weitesten Sinne) dokumentarischen Films unter Beweis gestellt. Das mag größtenteils Selbstinszenierung gewesen sein; aber wenn man den Blick auf die Filme richtet, stellt man fest, dass nicht einfach "primitve Völker" verächtlich der Lächerlichkeit preisgegeben werden, sondern dass ein großer Teil der vorgeführten Entsetzlichkeiten die angeblich zivilisiert-europäischen Verhaltensweisen betrifft.

Prosperi und Jacopetti spielen bisweilen relativ gekonnt mit vorherrschenden rassistischen Bildern, um dann durch einen Assoziationen hervorrufenden Schnitt zu zeigen, dass die eigenen Werte und Normen sich davon kaum oder gar nicht unterscheiden: Eine Brautschau unter Eingeborenen trifft auf Pin-Up-Girls mit den Augen verschlingende Soldaten, verstörende Rituale werden gegen Kasteiungen in Kalabrien geschnitten. Man begnügt sich aber nicht damit, Parallelen aufzuzeigen, sondern führt auch krasse soziale Unterschiede vor: Die Armut unterentwickelter Länder und ihrer Einwohner (die etwa - bereits über jedes Maß hinaus verkrüppelt - als Haifischfänger tätig sind) trifft auf Szenen, in denen wohlhabende Touristen exotische Tänze erlernen, eher geschmacklos erscheinende exotische Snacks (Ameisen, Maden) verspeisen und sich dabei ihren Kick holen (eine völlig fehlgegangene Form interkulturellen Austausches) oder daheim besoffen die Vergnügungsviertel unsicher machen. Einen einfachen Rassismus kann man den Mondofilmen hier noch nicht vorwerfen, denn die abwertende Darstellung ist nicht auf bestimmte Länder beschränkt, sondern wird auf den gesamten Erdball angewandt (einschließlich das Heimatland Italien). Das Ganze wirkt jedoch an vielen Stellen auch recht reaktionär: Transvestiten und Homosexuelle sind für die Regisseure offenbar nichts weiter als ein zu kritisierender Schandfleck. Die Frauenbilder hingegen sind zwar zunächst allesamt identisch mit machohaften Männerphantasien, werden aber auch als solche kenntlich gemacht und ironisch-zynisch kommentiert.

Zu den wirksamsten Stellen des ersten "Mondo Cane" Streifens gehören sicherlich die Szenen, in denen Jacopetti und Prosperi Schildkröten vorführen, die - nach Atombombentests ohne jeden Orientierungssinn - in die Wüste statt ins Meer kriechen, um dort elendig zu sterben. Diese grausigen Bilder gewinnen durch Riz Ortolanis beeindruckende Musik, die zwischen wehmütigen Klängen und heiterem Geklimper hin- und herspringt, noch zusätzliches Potential.
Das Leid der Tiere (Fischer stopfen einem Hai Seeigel durch den Rachen bis er stirbt, Stiere werden im Stierkampf gepeinigt, Rinder werden geköpft, Schweinen wird der Kopf mit Holzbalken eingeschlagen) ist häufig anzutreffen - wurde aber anders als in den meisten (vage auf der Mondo-Welle basierenden) Kannibalenfilmen Italiens bloß abgefilmt und nicht extra für den Film inszeniert. Dies ist wohl einer der Gründe für den Ruf der Mondo-Filme, besonders grausam zu sein - das Schlachten der Schweine hat es dann auch nicht in die "FSK: 16"-Fassung von "Mondo Cane" geschafft.

Der zweite Teil (der die Hundewelt nicht mehr - wie der Vorgänger - mit dem Gekläffe eingezwängter Hunde einleitet, sondern anfangs noch eine Überbietungstaktik anzustreben scheint und nun winselnde Hunde präsentiert, denen die Stimmbänder durchtrennt wurden) entpuppt sich dann jedoch als zahmer: harmlose Verstöße gegen den guten Geschmack in den zivilisierten Ländern stehen hier im Vordergrund (Hundemodeschau und ein Kino zum Abreagieren, lebender Schmuck und ein Ohrfeigenkonzert). Nur zwei Szenen besitzen wirklich verstörendes Potential: In der einen werden die Opfer brutaler Kinderhändler vorgeführt, in der anderen sterben Flamingos in einer riesigen Öllache. Ansonsten überwiegen die auch im Vorgänger anzutreffenden humoristischen Zwischentöne. Die weitestgehend aufrüttelnde Kraft des ersten Films weicht damit einem unterhaltsamen Geplänkel...

Ein weiterer Unterschied liegt in dem Umstand, dass man sich in "Mondo Cane" noch damit begnügte, reale Ereignisse vor der Kamera allenfalls nochmal nachzustellen, in "Mondo Cane 2" geht der Dokumentar-Charakter größtenteils verloren, denn hier sind nicht nur viele Szenen gestellt, sondern auch erfunden. Dafür ist er jedoch vom Rhythmus her schneller inszeniert und sicher auch kurzweiliger.

Dem Mondo-Prinzip folgten Prosperi und Jacopetti auch später in "La donna nel mondo" (1963), "Africa Addio" (1966), "Addio zio Tom" (1971) und "Mondo Candido" (1975) - wobei der Anstrich des Dokumentarfilms immer öfter einer essayistischen Richtung wich. Dadurch, dass sich die pessimistische Weltanschauung und die zynischen Kommentare in "Africa Addio" & "Addio zio Tom" nahezu ausschließlich auf Farbige beschränkten, lag der Rassismus-Verdacht nahe - und dementsprechend wurden die Filme zum Teil überaus wütend besprochen. Verglichen mit manch anderen Vertretern der Mondo-Sparte kann man ihnen aber noch guten Gewissens eine (teils durchaus problematische) Ambivalenz attestieren. (Auf ein Machwerk wie "Nuova Guinea: L'Isola dei cannibali" (1974) des Japaners Akira Ide, das voll und ganz in der Tradition des Mondo-Dokumentarismus steht, trifft der Vorwurf des Rassismus hingegen voll und ganz zu; wie auf viele spätere Mondo-Filme auch... dass die deutsche Synchronisation sich so unverholen und offenbar voller Enthusiasmus rassistisch gab, ist noch das Interessanteste an Ides Film.)
Jacopetti hat Jahre später nur noch in einer Dokumentation über die Mondo-Filme mitgewirkt, Prosperi hingegen inszenierte zusätzlich in den 80er Jahren noch den Genrefilm „Wild Beasts - Belve feroci" (1984) und soll an Jess Francos „Mondo Cannibale 3" (1980) mitgewirkt haben. Paolo Cavara hingegen, der noch beim Erstling als Co-Regisseur tätig war, rechnete wenig später in seinem satirischen Drama "L'Occhio Selvaggio" (1967) - der Titel spricht Bände - mit Jacopetti und seinem essayistischen Schaulust-/Spektakel-/Skandal-Dokumentarstil ab.

Der Erfolg von "Mondo Cane" zog jede Menge Plagiate nach sich: billige Shockumentaries, erotische Einblicke in das Nachtleben diverser Lustmeilen etc. John Waters nannte seinen ersten Spielfilm in Anlehnung an diese verruchten Streifen "Mondo Trasho" (1969), Russ Meyers episodenhafter Einblick in sein kleines Universum der großen Brüste lief als "Mondo Topless" (1966) an... Das Kannibalen-Genre knüpft an die Filme ebenso an: Hier werden grauenhafte Riten primitiver Ureinwohner zu Spielfilmen ausgewalzt, Deodatos "Cannibal Holocaust" (1980) thematisiert den Sensationsjournalismus geradezu, sein "Ultimo Mondo Cannibale" (1977) verweist bereits im Titel auf die Herkunft und Lenzis Kannibalenerstling wurde in Deutschland zu "Mondo Cannibale" (Jess Franco ließ "Mondo Cannibalen 3" (1980) und "Mondo Cannibalen 4" (1983) folgen) ebenso wie man Wes Cravens "Last House on the Left" (1972) in "Mondo Brutale" umbenannte. Indirekt wirken diese Ansätze fort in Filmen wie "C'est arrivé près de chez vous" (1992), "Blair Witch Project" (1999) oder "The Poughkeepsie Tapes" (2007).
Da sich die negativen und positiven Momente in etwa die Waage halten: 5,5/10 für "Mondo Cane", 5/10 für "Mondo Cane 2".

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