Review

Escape Room (2019) von Adam Robitel
Follow Me (2020) von Will Wernick


Die Wurzeln

Das schauderhafte, zweifelhafte Vergnügen daran, mit einer ordentlichen Portion Sadismus, Masochismus oder gar mit einem sadomasochistischen Interesse das Leiden Anderer auf der großen Leinwand zu betrachten, gehörte [Achtung: Spoiler!] von Anfang an zum Kino, auch wenn es um die Jahrhundertwende vor allem auf der Theaterbühne des Grand Guignol seine erste große Blüte erreichte. Aber Alfred Clarks Werke wie "Duel Between Two Historical Characters" (1895), "Indian Scalping Scene" (1895) oder "The Execution of Mary, Queen of Scots" (1895) lassen bereits eine Faszination erahnen, welche Filmschaffende künftig immer häufiger und heftiger dem körperlichen Leiden entgegenbrachten. Lon Chaneys frühe body horror-Filme und die großen und kleinen Tonfilmklassiker des Horrorfilms bis zum Beginn des Hayes-Codewie "The Most Dangerous Game," (1932), "Murders in the Zoo" (1933), "The Black Cat" (1934) oder "The Raven" (1935) – wiesen das Leid und die Verstümmelung immer offener als eine Attraktion aus, die zugleich abstieß wie anzog. Nach der Phase des abflauenden klassischen Horrorfilms in den 50er Jahren waren es die Hammer Studios in Großbritannien und Genregrößen wie Mario Bava in Italien, welche die Grenzen des Darstellbaren wieder zu verschieben begannen, bis ab 1963 die ersten splatter movies einsetzten und in den 70er Jahren eine ganz neue Gewalttätigkeit im Mainstreamfilm angekommen war – unabhängig von der Genrezugehörigkeit der Filme, wenngleich der Horrorfilm freilich an vorderster Front arbeitete.
Zwei Größen des 70er-Jahre-Kinos wären vor allem zu nennen, wenn man auf die Nummernrevuen kreativen Leidens und Ablebens blicken will, die sich durch die aktuellen Vertreter des Mainstream-Horrorfilms ziehen und sich nicht schlicht dem stalk'n'slash des slashers oder der brachialen Wucht des backwood horrors verdanken.
Zum einen wären da die ikonischen Vincent-Price-Rollen in den frühen 70er Jahren, in denen der feingeistige Horror-Mime als gescheiterter Shakespeare-Darsteller seinen Kritiker(innen) nach dem Leben trachtet ("Theatre of Blood" (1973)) oder als verwitwerter, entstellter Organist einen vermeintlichen Kunstfehler einiger Mediziner(innen) rächen bzw. bei der Wiedererweckung seiner toten Gattin hinderliche ForscherInnen beseitigen will ("The Abominable Dr. Phibes" (1971), "Dr. Phibes Rises Again" (1972)). Nach Shakespeare, nach den biblischen Plagen oder einfach bloß ganz kreativ-geistreich erhebt der Mörder seine Untaten zur spektakulären Kunst, die sich durch Originalität, handwerkliches Geschick, cleveren Witz und morbide Stilisierungen auszeichnet. Hier ist es nicht "bloß" der Regisseur, der – wie ein Dario Argento – Mordszenen zu fulminanten inszenatorischen Highlights geraten lässt, sondern bereits die Filmfiguren machen es sich zum erklärten Ziel, eine Reihe bizarr stilisierter, gehaltvoller Mordtaten zu begehen. In "Who Is Killing the Great Chefs of Europe?" (1978) hallt dieses Konzept noch einmal deutlich nach.
Zum anderen wäre da "The Omen" (1976) samt Sequels: Titelgebende Vorzeichen kündigen hier bereits das Ableben mancher Figuren an und lassen sogar einigermaßen die Art und Weise des Todes antizipieren. Zurecht sinnierte Norbert Stresau einst: "Nicht [Gregory] Peck und auch nicht [David] Warner sind die eigentlichen Stars von The Omen: die Glasplatte ist es."[1] Jene Glasplatte gleitet von der Ladefläche eines in Bewegung geratenenen und abrupt gebremsten Lasters, um in sechs Einstellungen in leichter Zeitlupe und aus teils verschiedenen Perspektiven die Enthauptung David Warners durchzuführen, die sich zuvor bereits als schemenhaftes Omen auf einer Fotografie abgezeichnet hatte.


Der Stamm

Während sich das kreative Ableben aus "The Omen" und Sequels kurz nach der Jahrtausendwende in ein Reboot ("The Omen" (2006)) sowie in die "Final Destination"-Reihe (2000-2011) hinüberrettete, in der ebenfalls eine entkörperlichte, übernatürliche Macht wirkte, so wurde die in den Vincent-Price-Filmen vorgegebene Richtung über "Se7en" (1995) in vergleichsweise grimmig-humorlose Horrorfilmgefilde gelenkt. Handelte es sich hier neuerlich um einen Serientäter, der – allerdings aus weniger persönlichen Gründen – seine Opfer für moralische Verfehlungen strafte und das Publikum mit einer Nummernrevue ausgefeilter Morde faszinierte – was bald in der "Saw"-Reihe (2003/2004-2021) nachhallte, deren erster Kinofilm die Cinema zum Resümee "Nach 'Sieben' kommt nicht Acht, sondern 'Saw'"[2] veranlasste –, so bewies Vincenzo Natalis Sci-Fi-Horrorthriller "Cube" (1997), dass es zwischen dem sadistisch-kreativen Serienmörder und einer übernatürlichen Macht auch noch den Mittelweg eines von gänzlich Unbekannten kreierten Fallen-Parkours gab: eine Entwicklung, die ebenfalls in die "Saw"-Reihe eingegangen war. Auch "Hostel" (2005) verfolgte samt seiner Sequels solch einen Mittelweg und verlegte sich auf illegale Etablissements, in denen eine schwerkriminelle Organisation entführte Opfer mörderischen Sadisten gegen Bezahlung zur Verfügung stellt.
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der harte Körperhorror auch infolge einer Wiederbelebung des 70er-Jahre-Terrorfilms zu neuen Höhen aufgeschwungen – und "Saw" und "Hostel" avancierten zu Blaupausen etlicher Plagiate aus dem Low- und No-Budget-Sektor, die gar nicht erst in die Kinos kamen. Ungefähr zeitgleich avancierten escape games zur beliebten Unterhaltung: werden die entsprechenden Computerspiele in das Jahr 2004 zurückdatiert, so folgten bereits 2007 erste live escape games, die sich ab 2013 auch hierzulande durchsetzten, um sich 2014/15 immer stärker zu verbreiten. Wurde eine breite Öffentlichkeit erst im Januar 2019 auf solche escape games aufmerksam, als fünf jugendliche Spielerinnen in Polen aufgrund mangelnder Erfüllung der Brandschutz-Vorschriften in einem escape room verbrannten, so hatte der Horrorfilm bereits 2017 die escape games als furchtbares Motiv für sich entdeckt, das mit geringfügigen Variationen Vorbildern wie "Cube" und "Saw" nacheifern konnte.

Den Anfang machte im Grunde bereits "La habitación de Fermat" (2007), der allerdings auf engstem Raum vornehmlich dem klassischen Kriminalfilm folgt, die Bedrohung durch einen zunehmend kleiner werdenden Raum für die eingesperrten Figuren nicht in Horrorfilm-Gefilde verlagert und körperliche Gewalt weitgehend ausspart. Will Wernick legte dann im Juni 2017 seinen Low-Budget-Horror-Thriller "Escape Room" (2017) vor, als sich live escape games bereits weltweit etabliert hatten. Der Film bleibt in Teilen einer stilvoll rätselhaften Gestaltung der Räumlichkeiten verhaftet, die den SpielerInnen ein paar knifflige Logik-Aufgaben stellen, bald aber dringt auch schmerzhafter Körperhorror in den Film, in dem die Personen schließlich um Leben und Tod spielen müssen. Im September 2017 legte dann Peter Dukes seinen "Escape Room" (2017) vor, der zwar auf Covern und Plakaten ein wenig in die "Saw"-Ecke gerückt wird, mit verfluchten Artefakten und einem dämonischen Killer aber eher eine übernatürliche slasher-Variante im escape room-Setting bietet. Im Oktober 2018 erlebt dann Alex Merkins "No Escape Room" (2018) betitelter TV-Horrorfilm seine Premiere, der ähnlich wie Peter Dukes' Film auf eine übernatürliche Komponente zurückgreift und noch stärker in die Tradition der verfluchten Spiele rückt, die der Horrorfilm in Rückbesinnung auf den phantastischen Abenteuer-Familienfilm "Jumanji" (1995) mit "Ghost Game" (2004), "The Black Waters of Echo's Pond" (2009), "Open Graves" (2009) oder "Game of Death" (2017) präsentierte (und die natürlich in jedem escape room-Stoff ein wenig mitschwingen).
Mit "Escape Room" knüpfte dann Adam Robitel hingegen wieder an Will Wernicks "Escape Room" an. In dieser Kinofilm-Variante der Grundidee nehmen "Cube"- und insbesondere "Saw"-Versatzstücke mit Hitze- und Kälte-Fallen, sich zusammenziehenden Wänden oder Töte-um-zu-überleben-Szenarios wieder großen Stellenwert ein und geben die Struktur des Films vor. Dabei läuft Robitels Film gar nicht einmal Gefahr, als Plagiat eines Plagiats zu erscheinen, denn die 9-Millionen-US-Dollar-Produktion für die große Leinwand inszenierte schließlich Adam Robitel, der als Regisseur von "Insidious: The Last Key" (2018) immerhin schon einmal ganz offiziell ein Franchise des "Saw"-Schöpfers James Wan weiterführte, der dabei als einer der Produzenten fungierte. Auch "Escape Room"-Kameramann Marc Spicer hatte zuvor mit "Fast & Furious 7" (2015), "Lights Out" (2016) und "Fast & Furious 8" (2017) an Wan-Produktionen mitgewirkt. Zudem ist Wernicks Variante im DVD-/Blu-ray-Markt ohnehin weitgehend sang- und klanglos untergegangen. So erscheint Robitels "Escape Room" als quasi-originärer (besser: pseudo-originärer!) Horrorfilm, der freilich auch bloß äußerst generisch (aber "offizieller" als Wernick) die "Cube"- und "Saw"-Pfade weiterführt. Wobei gegen Ende ein minimaler "Hostel"-Hauch durch den Film zieht...

Zoey, Ben, Amanda, Mike, Danny und Jason landen – nachdem in der Prätitelsequenz ein bedauernswertes Opfer in einem escape room scheinbar zerquetscht wird – als bunt zusammengewürfelte Gruppe von Kandidaten in einem ganz besonderen escape room-Komplex, nachdem sie sich als würdig erwiesen haben, das Spiel zu spielen. Das Auswahlkriterium – eine puzzle box, die gewissermaßen wie in "Hellraiser" (1988) das Übel auslöst! – schmeichelt, zudem winkt eine üppige Belohnung, sollte man bestehen. Dass man in den Räumen des durchaus tödlichen Spiels um sein Leben kämpfen muss, wird den jungen Leuten freilich verschwiegen.
Nach einer knappen Viertelstunde – in der mit dem vertraulichen, doppeldeutigen "Thank you for your service" eines Mitarbeiters bereits auch die rätselhafterweise ebendiesem Mitarbeiter bekannte Army-Vergangenheit einer der Frauen angesprochen und so ein erstes Misstrauensmoment eingestreut wird – läuft dann alles so 08/15 wie erwartbar, wobei freilich die verschiedenen escape rooms, die als level durch den Film führen, als kreative set pieces und Todesfallen den eigentlichen Reiz ausmachen. Die Figuren – allesamt knapp umrissen, aber dabei prägnant klischiert – sterben also kreative Tode, wobei sie das eigentliche Auswahlkriterium erkennen: Sie alle haben als jeweils einzige Person Katastrophenszenarien überlebt und sich dadurch als vermeintlich besonders durchhaltefähig erwiesen, nachdem in den Jahren zuvor offenbar, wie man gegen Ende erfährt, Athleten bzw. Inselbegabte in den escape rooms dahingeschieden sind. Diese Enthüllung dient – neben den obligatorischen abweichenden moralischen Ansichten innerhalb der Gruppe – dazu, den Nummernrevue-Charakter nicht ganz so krass geraten zu lassen, ihn mit kleinen Spannungsbögen, die sich über mehrere Räume erstrecken, zu übertünchen...
Gegen Ende überleben letztlich zwei der sechs Figuren: Zoey (Taylor Russell) und Ben (Logan Miller), der junge Mann aus der Prätitelsequenz, der seinem Tod durch Zerquetschen gerade noch entgehen konnte. Sie haben nicht bloß die escape rooms überlebt, sondern sind auch noch auf den Gamemaster gestoßen, der ihnen offenbarte, dass es sich bei den escape room-Eskapaden um moderne Gladiatorenspiele für ein zahlendes, superreiches Elite-Publikum handelt. Das ist der Punkt, an dem auch "Hostel"-Elemente in den Film geraten, denn beiden Franchises ist die Motivation der Täter gemeinsam, welche aus finanziellen Gründen reichen Kunden die Möglichkeit bieten, sadistische Gelüste zu befriedigen. Die schon in "Hostel" exploitationtypisch platte Gesellschaftskritik (an einem grenzenlosen Kapitalismus, der jede Moral und jedes Maß verloren hat) verflacht in "Escape Room" noch zusätzlich, insofern weder die Prostitution als gesellschaftlich etabliertes Körper-als-Ware-Szenario noch wirtschaftliche Gefälle zwischen unterschiedlichen Staaten zur Sprache kommen. "Escape Room" nährt sich allein an einer Skepsis gegenüber superreichen Eliten, deren Gelüste hier freilich zu einer Karikatur verkommen, wenn eine ganze Organisation mit immensem Aufwand und gigantischen Kosten hochkomplexe escape rooms für moderne Gladiatorenkämpfe aus dem Boden stampft.
Zudem handelt es sich noch nicht einmal um moderne Gladiatorenkämpfe, wie man sie aus "Das Millionenspiel" (1970), "Rollerball" (1975), "I guerrieri dell'anno 2072" (1984) oder "The Running Man" (1987) kennt; schließlich handelt es sich nicht um eine Massenunterhaltung (und schon gar nicht um ein Privileg eines Staatsoberhauptes), sondern um ein Spezialprogramm für so elitäre wie manifest sadistische Kunden. Von den genannten Filmen borgt sich "Escape Room" allerdings den Voyeurismus der Kunden/Zuschauer, die anders als in "Hostel" auch nicht selber Hand anlegen, um ihre sadistischen Bedürfnisse zu befriedigen. (Damit bietet auch "Escape Room" dem Kinopublikum – ein-, zweimal auch recht explizit – die Gelegenheit, über den eigenen Voyeurismus zu sinnieren, was vielen Horrorfilmen über Inszenierungen – von "King Kong" (1933) über "Cannibal Holocaust" (1980) bis "Cabin in the Woods" (2011) – gemeinsam ist; damit geht freilich die Unterstellung eines eigenen Sadismus nicht einher, da auch die masochistische Perspektive zur Erklärung der Motivation taugt und unerlässlich ist.)

Kreative Todesarten und set pieces, denen man einen höheren Produktionsstandard durchaus ansieht, sind gegeben – ansonsten ist "Escape Room" Stangenware, zumal die ganz kruden Sadismen und Effekte aus der "Saw"-Reihe hier kaum Verwendung finden: Explizite Gewalt ist hier weniger intensiv, zusätzlich wird sie durch einen surrealen Charakter der escape rooms abgeschwächt. Das erklärt den großen kommerziellen Erfolg des Films, den die ProduzentInnen offenbar bereits antizipiert hatten, denn mit einem so offenen wie dramaturgisch holperigen Ende leitet "Escape Room" bereits zu einer Fortsetzung über, die erneut unter Robitels Regie als "Escape Room 2" (2020) am letzten Tag dieses Jahres Premiere feiern soll. Hilfreich war sicher auch der Umstand, dass der Film aufgrund der realen live escape games mancherlei Wiedererkennungswert für ein Publikum bietet, das sich jederzeit in (freilich in aller Regel ungefährliche) escape rooms begeben kann.


Zweige

Im Jahr nach Robitels "Escape Room" meldete sich dann Will Wernick wieder zurück: Diesmal ebenfalls mit einem einigermaßen hohen Budget und einer internationalen Kinoauswertung. "Follow Me", so der Titel, wirkt beinahe schon wie ein ätzender Kommentar auf Robitels Film, der quasi Wernicks früheren Film plagiierte, welcher wiederum bloß frühere Schablonen für seinen Entwurf verwendete (und eben bloß deshalb nicht als Plagiat von Wernicks Films erschien, weil er dessen Schablonen selber in vetternwirtschaftlicher Sicht viel näher steht und ein größeres Anrecht zu genießen vermeint).
Der "Saw"-Touch wird auf Kosten des "Cube"-Touches deutlich intensiviert (und dann doch zur Enttäuschung der entsprechenden Aficionados – ironisch? – gebrochen), das "Escape Room"-Konzept spielt eine zentrale Rolle (und wird dann doch wieder unterlaufen), seinen eigenen "Escape Room" zitiert Wernick sogar ganz direkt, der "Hostel"-Touch tritt sehr viel deutlicher zutage (und verpufft dann am Ende doch) und auch die flache Voyeurismus-Kritik wird hier ganz groß geschrieben – und zwar schon im Titel... tatsächlich ganz groß... in Versalien...
"Follow Me" ist ein insgesamt zweifelhaftes Vergnügen: auf der einen Seite handelt es sich um ganz großen, generischen Käse, der recht ideenlos alles vermengt, was gerade im Genre irgendwie in ist oder war; auf der anderen Seite weist er am Ende aber auch alles als Inszenierung aus und offenbart gerade dadurch in seiner generischen Machart die unterschiedlichen Verzweigungen des gewaltgesättigten kreative-Tode-Horrors der Erfolgswelle einer neuen Härte im Genre und lässt auch die (teils problematischen) Klischees klar vor Augen treten.

"Follow Me", der teils auch in "No Escape" umgetitelt worden ist, nimmt Bezug auf eine Follower-Kultur und ihre Social-Media-Podcaster und -Influencer. Cole (Keegan Allen), die Hauptfigur, ist ein solcher Social-Media-Star – und der ganze Film kreist um seine Arbeit am Selbstbildnis, um Selbstentblößung, um die Schaulust von Unbekannten; und so fällt "Follow Me" auch noch in die Sparte all jener Horrorfilme, die in letzter Zeit Social-Media-Heuchelei, -Sucht, -Narzissmus und/oder -Voyeurismus kritisierten. "Truth or Dare" (2018) – der sich mit "Follow Me" und allen übrigen escape room-Stoffen die Prämisse des tödlichen Spiels teilt – richtete sich etwa gegen Heuchelei und Selbstdarstellung im Netz, "Unfriended" (2014) handelte vom Cyber-Mobbing, "Unfriend" (2016) war gewissermaßen das billigere Plagiat, das mit größerer Betonung eines dämonischen Wirkens das titelgebende Entfreunden stärker betonte, "Unfriended: Dark Web" (2018) fabulierte von snuff-Auswüchsen im Dark Web, in "Senseless" (2008) – der noch in die Hochphase einer torture porn-Debatte fiel – entschied eine Auktion im Netz über Folterungen oder Verschonungen eines Entführten in den Händen terroristischer Polit-Aktivisten, in "#Followme" (2019) ziehen Vloggerinnen mit der titelgebenden Aufforderung die Aufmerksamkeit eines unheimlichen Stalkers auf sich, welcher der Aufforderung alsbald nachkommt...
Mit der täuschenden Selbstdarstellung des Social-Media-Stars und der Schaulust seines Publikums saugt "Follow Me" vieles aus diesen Film in sich auf; erinnert mit seiner Handlung aber vor allem auch erst einmal daran, dass die ab "The Blair Witch Project" (1999) immens populär gewordene Found-Footage-Ästhetik bereits als Vorstufe vieler dieser Social-Media-Horrorfilme fungierte. Dieser vermeintliche, tatsächlich gefakte Found-Footage-Film schlug eigentlich die Brücke zwischen den Film- und den Social-Media-Stars, was für eine Rezeption von "Follow Me" gar nicht einmal so unwichtig ist (insofern sich Coles Online-Publikum noch eher mit dem Film-Publikum selbst vergleichen lässt). In "Cannibal Holocaust", einem der Urahnen dieser Sparte, sind es zwar keine Filmstars, aber immerhin noch erfolgreiche Dokumentarfilmer (die nicht zuletzt auch am eigenen Blick auf sich selbst und die Fremden scheitern), in "The Blair Witch Project", dem eigentlichen Beginn einer ganzen Welle, waren es dagegen bereits Anfänger und Amateure, die auf eigene Faust auszogen, um einen Dokumentarfilm zu drehen. Sensationsgier und Eitelkeit waren hier wieder bzw. noch abwesend; einige spätere Vertreter der Sparte, in denen selbsternannte Dokumentarfilmer ins Unglück (etwa in verfluchte Spukhäuser) schritten, gingen dann teilweise wieder dazu über, sensations- und/oder erfolgsgierige Hauptfiguren Opfer ihrer selbst werden zu lassen.
"The Houses October Built" (2014) ist dabei von besonderer Bedeutung, insofern hier bereits begeisterte Dokumentarfilm-Anfänger, die sich gerne selbst zur Schau stellen, zu Halloween nach immer extremeren haunted house-Angeboten Ausschau halten und letztlich mörderischen Maskierten zum Opfer fallen. Dem Film – der selber einem gleichnamigen Dokumentarfilm desselben Filmemachers nachfolgte – folgten das Sequel "The Houses October Built 2" (2017) sowie der auf Found-Footage-Aspekte verzichtende, aber ansonsten ähnlich gelagerte "Haunt" (2019), in dem das von mörderischen Horror-Clown-Freaks betriebene haunted house bereits "Saw"- und escape game-Momente andeutet und so als Bezugspunkt von "Follow Me" gesehen werden kann, der eben auch "The Houses October Built" (und "Haunt") in seine "Escape Room"-, "Saw"-, "Hostel"-Melange hineingießt.

Und diese Chose funktioniert so: Vlogger und Social-Media-Star Cole, der sein Hobby dank der immensen Vielzahl seiner Fans zum Beruf gemacht hat, erfüllt in seinen Podcasts vor laufender Kamera die Aufgaben seines Publikums, das ihn in immer aufregendere, haarsträubendere oder beängstigendere Abenteuer schickt. Bei seinem neuen Jubiläums-Projekt befürchtet er zunächst noch, sich vor seinem Publikum immens verstellen zu müssen, um diesem das – wie ihm erst auf dem Flug enthüllt wird escape room-Abenteuer in Russland als Abenteuer der Superlative verkaufen zu können, als welches er das zuvor unbekannte Projekt im Vorfeld noch angekündigt hat. Denn escape room-Abenteuer hatte er eigentlich schon einige Male abgehakt. Sein Freund Dash schwört aber darauf, dass diese escape room es in sich haben soll: immerhin benötigt man eine persönliche Einladung und das Ganze ist gewissermaßen auch noch auf die Teilnehmer maßgeschneidert. Hinter allem steht der reiche und offenbar einflussreiche Russe Alexei, mit welchem Dash das Projekt vereinbart hat.
Und so beziehen Cole und seine Freundin Erin – die ihm einmal vorhalten darf, dass sie mehr vom echten Cole, weniger vom Social-Media-Cole haben will –, Dash sowie Thomas und Sam als weitere Freunde der Clique schließlich den escape room, in welche Cole zunächst einen Schlüssel aus einem Leichnam herausschneiden muss, um kurz darauf seine vier Begleiter(innen) über die Lösung kniffliger Aufgaben aus schmerzhaften Folterszenarios zu befreien, die an die "Saw"-Reihe erinnern, aber letztlich keine Opfer fordern.
Das scheint kein Spiel mehr zu sein – und dann wird man während der Flucht auch noch von Schwerkriminellen überrumpelt und entführt, um in Einzelzellen der Folterung und Tötung vor zahlendem Online-Publikum entgegenzublicken. (Ein "Hostel"-Szenario mit "Escape Room"-Begründung.) Cole muss Sams Ermordung am Bildschirm mitverfolgen, Dashs Tötung während seiner Flucht aus einem Lüftungsschacht mitansehen, verliert auch Thomas auf der weiteren gemeinsamen Flucht und scheitert schließlich sogar beim Versuch, Erin zu befreien. Nur ihm selbst gelingt die Flucht – um auf Alexei zu treffen, der ihm gerade zu seinem Sieg gratulieren will, als Cole ihm in Rage den Schädel einschlägt.

Nun vollzieht [Nochmals: Spoiler!] der Film eine Kehrtwende (à la "The Game" (1997), dem er die Pointe und womöglich gar eine hauchzarte Reflektion der Unterhaltungsindustrie entnimmt, dessen kleines psychologisches Privatdrama er allerdings nicht berücksichtigt): Dass alles, wie real es auch erscheinen mag, dennoch bloß ein Spiel sein würde, war Cole schon vor Betreten des escape rooms mitgeteilt worden – und hier durfte man im Publikum hellhörig werden, auch wenn man diese Variante wohl zunächst noch als unwahrscheinlich (wenn nicht gar: unwahrscheinlich dreist) verwirft. Spätestens während des "Hostel"-Szenarios spricht allerdings bei einer Kenntnis des Trailers vieles dafür, dass die vermeintlichen Gefahren tatsächlich bloße Show sind. Und in der Tat kommen zu besagter Kehrtwende Coles unversehrten Freunde auf ihn zu, die ihn in Gemeinschaft mit Alexei per prank hereingelegt haben und nun entsetzt festellen müssen, dass Cody Alexei erschlagen hat.

Die ganzen üblen Russland-Klischees – zu denen letztlich auch noch ein aggressiver Antiamerikanismus zählt –, an denen man sich zuvor hoffentlich gestoßen hat, erweisen sich als Inszenierungen im Rahmen des groß angelegten pranks. Dass diese unschönen Klischees zum Gros des Genres dazugehören, gibt "Follow Me" ganz offen zu – und mokiert sich dabei ein wenig über die ersten zwei "Hostel"-Teile mit ihren Osteuropa-Bildern, aber auch über die Schablonenhaftigkeit von Robitels "Escape Room" (den zu verschmähen Wernick ganz private Gründe haben dürfte). Die ganzen Horrorfilmklischees und ausgelutschten Motive erweisen sich als Inszenierungen und Cole wurde hier letztlich bloß vorgegaukelt, was das Filmpublikum aus den jüngeren Horrorfilmen so kennt. Auch eine Vernetzung anonymer Sadisten im Internet gehört dazu, derweil Coles eigenes Problem mit seinem ungesunden Social-Media-Umgang weiterhin bestehen bleibt: zur täuschenden Selbstdarstellung in Social-Media-Kanälen und zur Vernachlässigung der Realität gesellt sich aber auch noch die – gerade in den USA boomende – Ausübung kruder pranks, die keinesfalls immer ungefährlich, geschweige denn moralisch vertretbar sind. Diese gehaltarme Kritik am Gebrauch der sozialen Medien – der bekanntlich mit frappierender Leichtigkeit in bestürzende Fälle wie jene von Océane Ebem oder Amanda Todd führen kann – ist freilich nicht der Rede wert, wird aber als einzige nicht gänzlich über Bord geworfen (derweil dümmliche, vermeintlich korruptions- oder kapitalismuskritische Klischees wie "korrumpierte Russen" oder "moralisch verkommene Eliten" auch als Klischees ausgestellt werden). Die mehrfach eingeblendeten Kommentare von Coles Podcast-Zuschauer(inne)n, die manchmal zynische Gehässigkeit, manchmal Ratlosigkeit über die eigene Schaulust, manchmal unerklärliche Fasziniertheit zum Ausdruck bringen, darf ein Publikum also auf sich selbst beziehen: In diesem Fall aber verbunden mit der Erkenntnis, dass das Gros der harten Horrorfilme der letzten Zeit aus einfallslosen Variationen der immer gleichen Bilder und (fragwürdigen) Klischees besteht und dass der große Erfolg eines "Escape Room" im Grunde höchst bedauerlich ist. Der Voyeurismus wirkt insofern noch etwas befremdlicher als es in "Escape Room" der Fall ist – wo er ohnehin noch viel zaghafter, viel weniger auf ein Filmpublikum maßgeschneidert angedeutet wird – da die eingestandene Unterdurchschnittlichkeit des Gebotenen (mit all den wüsten Klischees und der Aneinanderreihung von 08/15-Versatzstücken) kaum dazu taugt, die Angabe besonderer Qualitäten als Grund jenseits der spekulativen Gewalttätigkeiten glaubwürdig erscheinen zu lassen. Denn bis zur Pointe ist "Follow Me" wesentlich schwächer als ein "Escape Room": nicht bloß, weil alle Klischees und Plagiate hier noch offensichtlicher daherkommen, sondern auch, weil der Film auf inszenatorischer Ebene weniger zu bieten hat. Detailliert gestaltete set pieces weichen im "Follow Me"-escape room dem üblichen düster-dreckigen Verlies-Look – und auch wenn die Einbindung der Handyvideoaufnahmen der Clique um Cole sowie die Einbindung der Likes und Kommentare des Online-Publikums (kaum noch bemerkenswerte) Akzente setzen soll, so bleibt der Gesamteindruck der Inszenierungskünste doch maximal bei einigermaßen solide beherrschten Durchschnittsideen und -techniken des nicht übermäßig ambitionierten Filmhandwerkers.
Gerade diese enormen Schwächen gereichen der Kehrtwende dann aber zur Stärke. Angenehmerweise macht ebendiese Wende dabei nicht den Eindruck, sich für übermäßig clever zu halten. Sie gesteht bloß die Berechenbar- und Ideenlosigkeit jener Filmwelle ein, auf der "Follow Me" durchaus auch fleißig mitsurft. Wenn die Filmlandschaft ein Dorf wäre, so wäre "Follow Me" nicht der Dorftrottel, der sich für einen erleuchteten Aufklärer hält; sondern eher ein Durchschnittseinwohner, der mit etwas Selbstironie und etwas Spott einen Dorftrottel mimt. Das macht ihn nicht geistreicher, aber doch irgendwie sympathischer. Allein das bewahrt ihn davor, gänzlich in ärgerliche Bodensatz-Gefilde zu rutschen; denn zum allergrößten Teil ist "Follow Me" ja genau das, was er (womöglich gar nur unfreiwillig) bloßstellt. Aber sollte er dazu beitragen, die Lust des breiten Publikums an kommenden "Escape Room"- oder "Saw"-Eskapaden etwas zu trüben, so wäre ihm das schon positiv anzurechnen (wobei sich dann auch Wernick nach neuen – bzw. echten – Ideen umsehen müsste). Aber vermutlich ist ein "Follow Me"-Sequel oder -Plagiat wesentlich wahrscheinlicher...

5,5/10 für Robitels groben Unfug, der dank ambitionierten und budgetierten Handwerks noch recht geschmeidig daherkommt, schwache 5/10 für Wernicks Abklatsch vom Abklatsch, der die ganze Plagiatur und den ganzen Stumpfsinn einer waltenden Mode pointiert auf die Spitze treibt, bis zur Offenbarung der Pointe aber kaum mehr als allerlei Dümmlichkeiten in einer Mittelmaß-Inszenierung zu bieten hat...

1.) Norbert Stresau: Der Horror-Film. Von Dracula zum Zombie-Schocker (Heyne 1987); S. 65.
2.) https://www.cinema.de/film/saw,1333481.html (19.09.2020).

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