„Polizeiarbeit bedeutet für mich, die Guten zu beschützen, und die Bösen zu bestrafen. Und zwar ohne Ausnahme.“ Der dies sagt ist Polizist. Derjenige Polizist, der den Vergewaltiger seiner Frau gefoltert und getötet, und sich anschließend seinen Kollegen ausgeliefert hat. Jetzt möchte er selber bestraft werden. Die Bösen müssen bestraft werden, auch wenn die Guten das vielleicht nicht so sehen, und verzweifelt versuchen, für ihren geschätzten Kollegen mindestens mildernde Umstände zu suchen. Obwohl der das gar nicht will …
Ein sehr philosophischer Tatort, der da gezeigt wurde. Einer, der hochinteressante Fragen aufwarf und Stoff für Diskussionsrunden liefern kann. Und der unzähligen Erklärbär-Kritikern im Internet die Möglichkeit gibt, eigene Gedanken zu Wort zu bringen. So wie ich es tue …
Tatsächlich ein sehr philosophischer Krimi. Die Denkmodelle „Wir sind die Guten, weil wir Verbrecher jagen“ und „Das sind die Bösen, weil sie Verbrechen begehen“ kollidieren hier auf das Gemeinste. Vielleicht hätte ich gerne sogar noch einen Politiker im Film gehabt, der seinen Wahlkampfschmonzes dazugibt, um die Skurrilität und Grenzwertigkeit von Moralvorstellungen endgültig zu persiflieren. Wieso Grenzwertigkeit von Moralvorstellungen? Ist es denn nicht so, dass jemand, der einen Mord begeht, per Definition böse ist? Doch, so ist es. In den allermeisten Fällen zumindest. Aber was ist, wenn der einzige Mensch, den man so liebt wie sich selbst, wenn dieser Einzige grausam behandelt, unter Umständen getötet wird, und der Täter davon kommt – Was ist dann? Die andere Wange hinhalten? Vergebung? Ich glaube, die allermeisten Menschen würden zur Blutwurst tendieren, ganz unabhängig davon, dass die moderne Medienwelt uns diese Möglichkeit sowieso als die einzig Wahre und Glücklichmachende vorgaukelt.
Aber macht das wirklich glücklich? Wirkt Peter Lohmeyer in DIE GUTEN UND DIE BÖSEN irgendwie befreiter? Glücklicher? Sein Leben wurde von einem Dritten in eine Hölle verwandelt, und jetzt, nach der Tat, entscheidet er sich selber für ein weiteres Leben in einer anderen Hölle. Der Polizist im Gefängnis als Strafe für eine Tat, die das System, an das er fest glaubte, nicht verhindern und nicht sühnen konnte. Und die Kollegen, die „wissen“ dass sie die Guten sind, die versuchen den Bösen davor zu bewahren, zu viel Strafe auf sich zu nehmen …
Denkgebäude, in denen man sich verlaufen kann. So wie der Coach, dessen eigentliche Aufgabe es ist, die Polizisten mit ihrer Aufgabe zu versöhnen soll. Der dabei die Orientierung in den seelenlosen und fremden Gängen verlor, und ganz furchtbar schnell zu einem wimmernden und weinenden Haufen Elend wurde, sobald die rettenden Leitplanken verloren gingen. Meines Erachtens die zentrale Szene der Folge, denn hier wird gezeigt wie schnell wir degenerieren, wenn die Richtlinien der Zivilisation wegfallen. Wenn die selbst gesetzten Wegweiser fehlen, an denen wir uns Tag für Tag entlangtasten um das Leben irgendwie in den Griff zu bekommen und zu funktionieren. Die labyrinthischen Gänge des Polizeipräsidiums als Analogie zu Begriffen wie Recht und Ordnung, oder Recht und Gerechtigkeit, zwischen denen man ebenfalls sehr schnell die „richtige“ Richtung verlieren kann. Wenn die eigenen Worte und der eigene Kompass wegfallen, zu was werden wir dann? Was würde der Leser dieser Zeilen empfinden, wenn ein zweibeiniges Tier den Liebsten oder die Liebste des Lesers grausam an Leib und Seele verstümmelt? Würde er denken „So, und morgen ist alles wieder gut“? Würde er wie der Coach dasitzen und weinen und verzweifeln, unfähig auch nur eine weitere Entscheidung im Leben zu treffen? Oder würde er wie Peter Lohmeyers Charakter Ansgar Matzerath zur Waffe greifen und sich letzten Endes auf die gleiche Stufe begeben wie das zweibeinige Tier? Vom Guten zum Bösen mutieren? Der Coach jedenfalls wurde durch einen Polizisten aus dem Irrgarten gerettet. Einer, der Gutes tut. Einer der Guten. Und der andere Polizist hat zur Waffe gegriffen und Gleiches mit Gleichem vergolten. Einer, der Böses tut. Einer der … Ja was denn nun?
Interessant auch der Umstand, dass die allermeisten Szenen innerhalb des Polizeipräsidiums spielen, inklusive einer sehr langen und starken Plansequenz durch 2 Stockwerke, also durch mehrere Ebenen einer komplexen Welt. Sicher sind die Kommissare Janneke und Brix oft an den Fenstern gestanden und haben über die Stadt geblickt, haben quasi den Durchblick gesucht, aber das Gebäude verlassen und sich dem Leben gestellt, das haben sie in dieser Tatort-Folge eher selten. Die Scheiben geben das Spiegelbild wieder, und das „wahre“ Leben bleibt außen vor. Die Komfortzone darf bloß nicht verlassen werden. Höchstens zum Umziehen, um eine schönere und edlere äußere Hülle zu zeigen.
Und die Wahrheit, beziehungsweise der Weg dorthin, wird an die Alten übergeben und im Keller versteckt, damit bloß niemand aufgeschreckt wird. Damit die allgemeine Zufriedenheit nicht gestört wird. Ansgar Matzerath, der Mörder des Mörders, wirkt bereits durch seine Größe und seine Präsenz wie ein Störfaktor. Wie etwas Böses, was von außen in das gemütliche Leben der Guten einbricht und alles durcheinanderbringt.
Und wenn am Ende die Aussagen darüber, was sich jeder unter dem Begriff Polizeiarbeit vorstellt, vom Band laufen, dann sind Gemeinsamkeit und Miteinander aufs wunderbarste wieder hergestellt. Nur Matzerath muss auch hier das irritierende Schlusswort haben. Und sorgt dafür, dass die Denkgebäude vielleicht doch ein klein wenig gegeneinander ins Wanken geraten. Das ein klein wenig Unbehagen verbreitet wird.
Ein sehr philosophischer Krimi. Einer, der so spannende Fragen stellt wie „Hast Du schon mal jemanden so sehr geliebt wie Dich selbst?“. Oder genauso gut: „Hast Du schon mal jemanden so sehr gehasst, dass Du ihn töten wolltest?“ Eine aufregende Reise in ein (Denk)-Gebäude mit vielen Gängen und wenigen Türen. Aber leider ein wenig zu kopflastig, der Bauch wurde nicht gekitzelt. Trotzdem, auch solche Tatorte muss es geben. Und das sind dann oft auch diejenigen, an die man sich unter Umständen lange erinnert.