Staffel 1
Netflix springt in die Trash-TV-Tonne
Eigentlich guckt man Netflix, um dem katastrophalen klassischen Fernsehen mit Dschungelcamp, Hartzer- und Hausfrauen-TV zu entkommen, sich qualitativ auf einer ganz anderen Stufe wieder zu finden. Und was macht der Streamingriese? Er zieht mit „Love Is Blind“ seine eigene ambitionierte, wilde und faszinierende Reality-TV-Show hoch, der sich treue Bachelor- und Co.-Gucker ganz sicher nicht entziehen können... Und wer gibt sich nicht ab und zu mal Trash-TV per excellence, sei es nur zum geistigen Abschalten, Nebenbeigucken oder Lästern. Ich will mich da gar nicht ausschließen. Obwohl man da natürlich aufpassen muss, wie weit man es treibt und ob man die (beinahe sofort, spürbar und automatisch) einsetzende Verdummung nicht eingrenzen sollte...
In der durchaus weltweit sehr erfolgreich laufenden Dating-Show „Love Is Blind“ unterziehen sich einige Single-Damen und -Herren einem Experiment - sie lernen ihre Gegenüber zuerst blind, getrennt durch eine Wand kennen, in etwa ein „Herzblatt“-Update, um ihrem Auserwählten im Anschluss nach wenigen Tagen in „den Kabinen“ einen Antrag zu machen, dann direkt in den Urlaub zu fliegen (zusammen mit den anderen Neupaaren in einem Hotel!), dann Family und Freunde kennen zu lernen und dann - im besten Fall - wirklich zu heiraten... Klingt verrückt und fast wie ein Reality-Trash-TV-Best-Of - und ist genau das auch irgendwie. Ein Unfall, bei dem man leider kaum wegsehen kann und der für mich schwer unter klassischen Kriterien für Serien und Filme zu bewerten ist. Was hier, und das müssten selbst Hater solcher Formate zugeben, dennoch massiv gut funktioniert und was dann wirklich nur noch zu Kopfschütteln und Fremdschämen führt, halte ich hiermit fest...
TRAUMPAAR
+ knackiges, crazy Konzept
+ manche Leute unterhaltsam und pfiffig
+ clever geschnitten; man bleibt definitiv dran
+ ein in sich schon absolut interessantes Experiment
+ gerade hintenraus sehr witzige, wenn auch oft forcierte Momente
+ die Showrunner wissen definitiv was sie tun
+ offenbart oft die Oberflächlichkeit der USA/Gesellschaft (was auch negativ sein könnte)
+ einige Paare blieben scheinbar wirklich zusammen
+ attraktive Menschen
+ eine Art Best-Of erfolgreicher Formate
+ bingewürdig; spannend aufgebaut
+ bei fast allen Paaren ist es bis zum Ende offen
SCHAUMSCHLÄGER
— nur für Kenner und Fans solcher (zugegeben niveaulosen und peinlichen) Shows
— nur recht hübsche Kandidaten?
— sicher einiges gescripted, clever geschnitten oder bei manchem intelligent nachgeholfen
— einer der kitschigsten und nervigsten Soundtracks... ever?!
— „MTV“-artige Synchro
— kann man als Mittelfinger an das Ehesakrileg sehen
— Moderatoren/Die Lacheys hätte es nicht gebraucht
— generische Hochzeiten
— manchmal eher Satire oder Parodie als ernst zu nehmen
— wirkt oft gestellt/gespielt
— vielleicht für viele nicht der Weg, den Netflix wählen sollte, was mit dem Geld der Nutzer gemacht werden sollte
— anspruchslose Unterhaltung
— viel Alkohol, viel Sex, viel Show - wenig „Reality“
— manchmal zu lange Episoden
— was ist mit den anderen Kandidaten, die keine Partner fanden?!
Fazit: ui ui ui, wie soll man das nach normalen Film- und Serienmassstäben bewerten?! „Love Is Blind“ ist „Cringe - Die Show“ - und dennoch für Fans solcher Formate ein kleiner Geniestreich und unwiderstehlicher Mix aus schon lange funktionierenden Ideen. Süchtigmachender Müll. Toxisch und toll. Gehirnzellen in Sicherheit bringen... (7/10)