Review

Und da war er auch schon wieder.
Keine sechs Monate nach Der Babysitter (»Rock-a-Bye Baby«) kehrt Jerry Lewis zurück in die Kinos, mit ähnlichem Rezept. Wieder ist er Wahlvater, wieder muss er in diese Rolle wachsen. Aus den Drillingen des Vorgängers ist nunmehr ein einzelner Junge geworden, aus den skurrilen Nebenfiguren ein lustiger Hase, die amerikanische Kleinstadt ist dem weit entfernten Japan gewichen. Vor allem aber sind die Ambitionen gewachsen, die großen Gefühle, die Träne zum Schluss. Geisha Boy - so der etwas unglückliche Titel – will nur eines sein: Sentimental.

Jerrys Rollen ändern meistens nur Namen und Beruf. Hier spielt er einen Zauberer namens Gilbert, besser bekannt als »Der große Wooley«, der zur Bespaßung des amerikanischen Militärs nach Japan fliegt. Dort angekommen, stellt er noch am Flugplatz eine Hollywood-Diva zur Schau, zerreißt ihr Kleid und wickelt sie dann – sicher mit den besten Absichten – vor aller Leute Augen in einen Teppich ein. Dies Manöver bringt den kleinen Mitsuo zum Lachen, Neffe der hier zuständigen Dolmetscherin. Kurios: Seit des Todes seiner Eltern hat der Junge nicht mehr gelacht. Für Wooley also ein unerwarteter Bewunderer – der ihn sich gleich mal zum Vater wünscht.

Vielerorts liest man von Geisha Boy in den höchsten Tönen, vom perfekten Lewis-Film, von dem Lewis-Film überhaupt, den sich auch erklärte Nicht-Fans ansehen können. Und ja, es ist auch alles da: das niedliche Kind, dessen hübsche Tante, Urlaubsflair und Exotik, derbe Gags, ganz viel Herz; mal Sommerfilm, dann aber auch zur Adventszeit verwertbar (Kino-Release war übrigens Dezember). Und der Hase! Dieser lustige (echte) Hase, der auf ein Autodach gesetzt wird und mit sechzig Sachen über die Straße braust. Der von oben herab in einen Pool geworfen wird. Herrlich.

Ich kann die meisten Punkte nachvollziehen, sehe auch, dass Geisha Boy Eindruck gemacht hat (gerade bei Kinderaugen), mit seinen bunten Farben und großen Bildern, der fremden Schönheit, der Kultur an sich, modern und traditionell. Und doch – doch bleibe ich von dem Ganzen herzlich ungerührt. Natürlich muss man Regisseur Frank Tashlin und auch Lewis zu Gute halten, dass sie einem Land, das kaum dreizehn Jahre vorher noch Kriegsgegner war, mit freundlicher Miene begegnen, nichts – oder nur wenig – für einen Gag missbrauchen, ja, geradezu auf Freundschaft trinken. Und doch fällt einem der alte Spruch am Kaffeetisch ein: Nehmen Sie Ihren Zucker immer mit Kaffee?

Es liegt gerade am Herzstück des Films, der Beziehung zwischen Mitsuo und Wooley. Kaum lacht das Kind ein einziges Mal, nimmt der Film die besonders langen Stelzen, überspringt gleich zwei Kapitel. Plötzlich stehen Tante und Neffe im Zimmer, sie übersetzt ihn. »Er liebt Sie«, und : »Er möchte, dass Sie sein Vater sind«. Nicht nur Wooley ist mit dieser Wendung überfordert. Und auch im weiteren Verlauf bleibt das Miteinander sicherlich niedlich, hat aber klar definierte Grenzen.

Denn wenn der Junge seinen Wahlvater von Anfang an liebt, gibt es keine große Entwicklung mehr. Sicher, unser Hauptdarsteller muss sich wieder einer Verantwortung stellen, soll erwachsen werden. Doch im Vergleich zum letzten Film, mit Jerrys durchaus gewollter Vaterschaft, gibt es keine Meilensteine. Kein Ziel für die beiden, keine Geschichte, nichts – und das bei einem absehbaren Ende. Dass Wooley wieder zurück in die USA soll, ist von Minute Fünf an klar, und bis dahin wird das Drehbuch mit allerhand Einzelepisoden gefüllt, schwankend in der Qualität, manchmal herzlich, dann wieder Kitsch. Gefühlt zwanzig Minuten davon sind Einzelaufnahmen des lachenden Mitsuos – oft auch sehr mechanisch -, und das ist die Gretchenfrage des Films: Muss ich jetzt auch lachen?

Wooley bleibt nämlich trotzdem Lewis, entsprechend geraten die Gags. Manche zünden wie üblich, sind wunderbar grotesk, kommen praktisch aus dem Nichts - andere Male kann sich Lewis nicht zügeln, quäkt und schreit, ist eigentlich schon out of character. Ärgerlich dazu: Hase Harry, Freund, Nebendarsteller – Utensil. Mag Harry auch für strahlende Kinder gesorgt haben, schön ist das alles nicht. Selbst Klaus Stawecki, der eine ansonsten wunderbare Lewis-Biografie geschrieben hat, lobt dazu zunächst den visionären Regisseur, und behauptet hiernach: »[...] da es für die Tiere selbstverständlich Bezugspersonen gibt, die diesen Tricks und Reaktionen beibringen und anschließend auf Wunsch abverlangen können.« *
Ich mag Laie auf diesem Gebiet sein, aber ich weiß nicht, welche Reaktion man einem Tier vorher beibringt, das rot angemalt, ins Wasser gefeuert und und bei jedweder Gelegenheit lustig verrenkt wird. Vielleicht will ich es auch gar nicht wissen.

Wieder sind es die leisen Szenen, die Jerry auszeichnen – wenn sie der Handlung denn kein Bein stellen. Die traurig-rührige Abweisung am Flughafen, als der kleine Mitsuo mit Köfferchen auftaucht, ist tatsächlich bewegend gespielt, zieht sich dann aber. Was hier besonders auffällt, ist die roboterhafte Darstellung des Kindes, die eine Identifikation nicht immer einfach macht. Warum der Film dann ganze fünfzehn Minuten auf der Stelle tritt, Wooley mit dem blinden Passagier Mitsuo erst in die USA fliegen lässt, in umgekehrter Reihenfolge dann wieder zurück nach Japan, weiß nur der Autor. Vermutlich wollte man die bittersüße Stimmung noch mit ein paar Absacker-Gags verwässern.

Am Ende löst sich sämtlicher Realismus - eben noch angeschlagen - in bunte Fetzen auf. Wooley bleibt in Japan, wird professioneller Zauberer, nimmt seine Dolmetscherin zur Assistentin (und Frau?), und den kleinen Mitsuo als Doppelgänger in Frack und Zylinder. Hase Harry entpuppt sich als Häsin, um den Zuschauer mit zehn Dutzend kleiner Nachkommen zu überraschen. Und weil ohnehin alles Show war, durchbricht Jerry noch die vierte Wand, knabbert an einer Möhre und ahmt Schweinchen Dick nach. That's all, Folks!

Ja, Geisha Boy ist in seinen besten Moment witzig, geht auch mal ans Herz. Es ist ein schöner Sonntagsfilm, der unverhofft Emotionen mit sich bringt, die universelle Botschaft streut: Mach, was dein Herz dir sagt. Im Lewis-Kontext ein rühriger Ableger, hin zur Schmonzette, praktisch unvermeidlich... zumindest nach dem, was der Darsteller bisher gespielt hat.
Ich verstehe, warum viele den Film mögen. Ich will ihn auch mögen. Aber ich trinke meinen Kaffee gerne ohne Zucker.

5/10

* "Jerry Lewis - Sein Leben, seine Filme", Klaus Stawecki, S. 107

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