Wien 1885: Siegmund Freud (Robert Finster) ist ein wenig erfolgreicher, junger Arzt mit einer schlecht gehenden Praxis und einem unbefriedigenden Job in einer Nervenheilanstalt. Zudem sind seine Thesen zum Unterbewussten, zur Hypnose und zur Hysterie (als Hysterie wurde damals nahezu alles bezeichnet, was man sich streng schulmedizinisch und physiologisch nicht erklären konnte) sehr umstritten und stoßen bei seinen Zeitgenossen auf wenig Gegenliebe und viel Hohn. Als er aber durch Hypnose den Aufenthaltsort eines verschwundenen Mädchens ausfindig machen kann, trifft er auf den verbitterten Inspektor Kiss (Georg Friedrich) und das gepeinigte Medium Fleur Salome (Ella Rumpf), denen seine Ansätze bei diversen Dinge helfen könnten, z.B. bei der Aufdeckung einer mörderischen Verschwörung gegen den österreichisch-ungarischen Kaiser Franz-Joseph…
Wenig ist über die frühen Jahre Freuds bekannt. Soweit ich weiß, verbrannte er sämtlich Unterlagen und Aufzeichnungen aus dieser Zeit und blieb diesbezüglich auch schweigsam, als er schon renommiert war und als Vater der modernen Psychoanalyse galt. Dieses Schlupfloch nahm sich die deutsch-tschechisch-österreichische Koproduktion „Freud“ zum Anlass, um seine Studienjahre als krasses und prägendes Abenteuer zu beschrieben. Und was für Abenteuer das sind! Ich will nicht in die Details gehen, aber Serienerfinder Marvin Kren schildert ein definitiv wüstes Abenteuer, welches die ersten Thesen Freuds kunterbunt vermischt. Freud, als Jude eh schon ein Außenseiter im antisemitischen Wien, leidet unter der Ignoranz seiner Fachkollegen, unter Kokainabhängigkeit und unter Armut (so ist er mit der Miete stets in Verzug) und erst als Inspektor Kiss am eigenen Leib erahnt, dass vieles nicht physische, sondern seelische Ursachen hat, bekommt Freud einen zögernden Mitstreiter. Götz Friedrich spielt den brummigen, brodelnden und aggressiven Kiss so überzeugend, dass er wirklich ein eher zwielichtiger Alliierter ist. Schlüsselfigur der späteren Handlung wird dann das französische Medium Fleur Salomé, die eine Meisterin der Hypnose zu sein scheint, die aber von ganz anderen, Freud noch unbekannten Mächten instrumentalisiert wird.
Die Serie (zurzeit auf Netflix) ist wunderbar ausgestattet, sehr unterhaltsam, hat gute Schauspieler, fängt den irrationalen Ehrenkodex der österreichisch-ungarischen KuK-Monarchie treffend ein und bemüht sich zumindest teilweise auch darum, den ersten Forschungen Freuds gerecht zu werden. Aber sie hat auch eine andere Seite: sie ist z.T. maßlos übertrieben, sehr blutig, sexy und latent irrsinnig. Das ganze Kaiserreich scheint von einer gewissen Psychose befallen. Ob das nun stimmt oder nicht, vermögen sicher nicht einmal Historiker zu sagen, die Schöpfer der Serie nehmen das Grundgerüst von Freud und schaffen eine Mischung aus Sherlock Holmes und Superarzt. Wenn man das alles so hinnimmt, entwickelt die Serie einen Sog, der mich 8 Folgen bei der Stange hielt und wo ich manche Szenen mit offenem Mund verfolgt habe und mir dachte: „Soso, der altehrwürdige ORF hat das mitproduziert?“. Manchmal musste ich an Dario Argentos späte Filme wie „Dracula“ denken – also an maßlosen Gothic-Horror, an das Pariser Grand Guignol-Theater mit den Fontänen an Blut, Spucke und Sperma.
Wenn man ein genaueres Bild des damaligen Kaiserreichs haben möchte, so sollte man sich den beeindruckenden „Oberst Redl“ mit Klaus-Maria Brandauer anschauen. Allen anderen kann ich „Freud“ durchaus ans Herz legen – nicht zu ernst nehmen, aber immerhin good, not so clean fun. 6,5/10.