Review

Die Filmwelt der 70er war noch in Ordnung. Männer mit dichten Schnurrbärten und dicken Wummen sorgten für Terror in den Straßen von Rom und Mailand. Sexy Nymphomaninnen geizten nicht mit ihren Reizen. Hinrichtungen, Schändungen und brutale Überfälle sorgten für Angst und Schrecken bei der Bevölkerung. Der Sleaze Pegel stieg in exponentielle Höhen. Der italienische Polizei- und Kriminalfilm setzte neue Standards in Sachen exploitativer Unterhaltung. Doch ein Blick auf die Realität dieser Zeit trübt ein wenig den Genuss dieser Filme. Der urbane Terror, die Angriffe der roten Brigaden und die desolate Situation des Gefängniswesens waren nur einige Ausprägungen dieser tristen Zeiten.

Wenn man sich die Genrefilme dieser Zeit heutzutage vor Augen hält, transportieren sie noch immer etwas von dieser omnipräsenten Bedrohung, sie wirken wie ein Ventil, ein Verarbeitungsprozess für die grausigen Ereignisse dieser Zeit, obwohl sie vordergründig natürlich unterhalten wollen.

DIE LETZTE RECHNUNG SCHREIBT DER TOD ist trotz seiner allzu routinierten Inszenierung und seiner trivialen Story ein schmackhaftes Appetithäppchen für versierte Poliziesco Kenner. Der Film beginnt mit einem Überfall: Vier Ganoven erbeuten eine große Summe Bargeld. Während die Polizei dabei ist alles zu barrikadieren, können zwei von ihnen mit der Beute fliehen. Die Zurückgebliebenen müssen sich ihren Weg in die Freiheit mithilfe einiger Geiseln ebnen. Von nun an sind alle Protagonisten auf der Suche. Die Polizei sucht die Flüchtigen. Die Zurückgelassenen – allen voran der Anführer der Bande (Claudio Cassinelli) – halten Ausschau nach ihren ehemaligen Kompagnons und der Beute.

Und wieder einmal haben wir es mit einer Gruppe von Ganoven zu tun, die mit Begrifflichkeiten wie Kameradschaft, Vertrauen oder Zusammenhalt nicht viel anfangen können. Ein sicherer Weg in den Exitus. Doch gerade diese konfliktuelle Konstellation ermöglicht die Entwicklung einer Narration, die ohne die Reibungspotenziale zwischen den Charakteren wohl eine ziemlich dröge Pille abgeben würde. Auch der einzig erwähnenswerte weibliche Part des Films – gespielt von Ruggero Deodatos Exfrau Silvia Dionisio – ist alles andere als integer. Sie verkörpert eine Prostituierte, die trotzt ihrer labilen Disposition für Claudio Cassinellis Figur zur femme fatale wird.

Wie diese kurzen Impressionen bereits verdeutlichen, fokussiert sich Mario Caiano besonders auf die Gangsterbande. Auf der Gegenseite wirken die Ordnungshüter etwas farblos: Kein Maurizio Merli, kein Henry Silva, ja noch nicht mal ein Leonard Mann. Auch ist der Film in seiner politischen und ideologischen Ausrichtung sehr korrekt, was für Filme dieses Genres nicht unbedingt von Vorteil ist. Vonseiten der Polizei kommen leider keine Stammtisch-Plattitüden oder Apotheosen der Lynchjustiz. Randalierende Gauner werden auch nicht als „verdammte Untermenschen“ (!) bezeichnet wie in der deutschen Synchronfassung von Guiseppe Rosatis STADT IN PANIK. Ausdrücke dieser Art sind trotz ihrer Einmaligkeit natürlich nah an der Grenze des Tolerierbaren.

Glücklicherweise geizt der Film nicht auch noch mit brutalen Szenen. Ballareien und blutige Einschüsse gibt es reichlich, obwohl sie ein wenig disproportional verstreut sind. Der Anfang und das Ende des Films bieten pure Rasanz während der mittlere Teil ein wenig Leerlauf hat. Desweiteren sorgen fiese Stechattacken – die fast gialloesk wirken – und ein vom Lastwagen erfasster John Steiner für ausreichend Divertissement bei Freunden derber Kost.

DIE LETZTE RECHNUNG SCHREIBT DER TOD ist Klientelismus per excellence. Wer gefallen am Genre findet und Umberto Lenzis Kulminationspunkte wie DIE VIPER, DER BERSERKER, DIE KRÖTE oder DIE GEWALT BIN ICH schon vor langer Zeit auf seiner Strichliste abgehakt hat, kann Mario Caianos Film eine Chance geben. Die Qualität oben genannter Glanzstücke erreicht er zwar nicht, doch eine gute Portion an nostalgischem Charme verströmt er dennoch. Der europäische Genrefilm war nicht immer am Ende.

Gesichtete Fassung: UK Video

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