Review

Die Mutter liebt ihre Tochter. Über alles. Die Tochter ist ihr wahrer Schatz. Und die Mutter ist bereit, alles zu tun, damit dieses tolle und innige Verhältnis nicht zerstört wird. Die Tochter will auf das College? Keine Angst, sobald ein College antwortet darf sie den Brief selbstverständlich sofort selber öffnen. Die Tochter will wissen was das für Medikamente sind, die sie jeden Tag nehmen muss? Die Apothekerin ist an die Verschwiegenheit gebunden. Die Tochter will in ihrem Rollstuhl in das Erdgeschoss des kleinen Häuschens fahren? Die Stromzufuhr des Lifts ist gekappt …

Was mir an RUN zuallererst gefallen hat, ist diese Beschränkung auf das Notwendige. Das Setting ist von vornherein ziemlich klar definiert: Die Tochter Chloe sitzt im Rollstuhl, hat Asthma und noch ein paar andere Krankheiten, ist hochintelligent und in Bezug auf Elektronik ziemlich geschickt. Die Mutter Diane hat Chloe die letzten Jahre zuhause unterrichtet, opfert sich auf für ihre geliebte Tochter, und ist nicht bereit, ihre Liebe gegen auch nur ein Quäntchen Freiheit einzutauschen. Dazu ein abgelegenes Haus, keinerlei soziale Kontakte außer dem Paketboten, und eine Andeutung, dass mit den Medikamenten Chloes vielleicht nicht immer alles 100%-ig in Ordnung sein könnte. Fertig ist das Thriller-/Horror-Szenario, dass sich alsbald zu einem Selbstläufer entwickelt.

Denn Chloe ist zwar wirklich alles andere als auf den Kopf gefallen, doch unterschätzt sie ihre Mutter und deren Kontrollwut gewaltig. Was hier unerbittlich und unaufhaltsam auf den Zuschauer zuwalzt ist ein böser und bitterer Thriller über eine Mutter-Kind-Beziehung, wie sie toxischer nicht sein könnte. Toxischer, vor allem aber auch kaum tödlicher. Denn Diane ist wirklich zu ALLEM bereit. Zu was allem, das versetzt dem Zuschauer nach und nach einiges an Schocks, die zwar gerne in Form modischer Scare Jumps dargereicht werden, ihre Wirkung aber überhaupt nicht verfehlen, und einen unnachgiebig in diese immer schwärzer und fieser werdende Geschichte hineinziehen. Regisseur Aneesh Chaganty widersteht der Versuchung, die im Kern einfache und sehr zielsichere Story mit allerlei Brimborium anzureichern, und auch Nebenhandlungen finden keine statt. Stattdessen mutet der Film wie ein geradliniges Kammerspiel im Geiste von Polanskis EKEL an, und der Konflikt Mutter-Tochter wird konsequent und auf allerbösester Ebene bis zum Ende durchgespielt. Selbst die letzten 5 Minuten, die ich in meiner Arroganz noch als diejenigen üblichen 5 Minuten abgetan habe, die amerikanische Filme meistens zu lang sind, selbst diese 5 Minuten haben ihren Sinn und ihren Magenschwinger.

Ruhig und zielsicher trifft RUN genau in das Nervensystem des Zuschauers, und selbst der ganz leicht schwächelnde Showdown begnügt sich mit dem Einfachsten und Notwendigsten. Kein Hokuspokus, keine Ablenkung, einfach nur zwei Kontrahenten die sich gegenüber stehen und ihre Gefühle, ihre Liebe (oder was immer sie dafür halten) und ihre Dickschädel im Kampf gegeneinander prallen lassen. Beeindruckend und spannend!


Details
Ähnliche Filme