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Rachefilme gibt es verschiedenen Ausprägungen, darunter One-Man-Army-Actionfilme wie „Taken“ oder „John Wick“, Vergeltungsdramen wie „Blue Ruin“ oder „Joe – Die Rache ist sein“ und Rape-Revenge-Reißer wie „I Spit on Your Grave“ oder „Revenge“. „Promising Young Woman“, das Regiedebüt der Schauspielerin und Drehbuchautorin Emerald Fennell, erweist sich dagegen als ganz eigene Variante des Themas.
So scheint Protagonistin Cassandra ‘Cassie‘ Thomas (Carey Mulligan) weniger Rache an bestimmten Personen, sondern an einem gewissen Menschenschlag nehmen zu wollen. Jedes Wochenende stellt sich die junge Frau in einem Club oder ein Bar sturzbetrunken, bis ein netter Kerl ihr anbietet sie nach Hause zu bringen. Will der ihr dort an die Wäsche, ist sie schlagartig wieder nüchtern und stellt den Kerl zur Rede. Keine angenehme Situation für den Beinahe-Vergewaltiger, aber im Vergleich zu den Kastrationen und Rachetötungen anderer Vigilantenfilme kommt er noch relativ glimpflich davon.
Nachdem der Film Cassies Modus Operandi in der Auftaktsequenz durchexerziert hat, lernt man die 30-Jährige besser kennen. Früher war sie eine vielversprechende Medizinstudentin, jetzt lebt sie wieder bei ihren Eltern (Clancy ‘Kurgan‘ Brown & Jennifer ‘Stiffler’s Mom‘ Coolidge) und jobbt an der Theke eines Kaffeeladens. Man ahnt schnell, dass ein traumatisches Erlebnis in der Vergangenheit die junge Frau geprägt hat und sie dazu brachte ihr Studium zu schmeißen. Tatsächlich scheint Cassie nicht mehr viel im Leben zu haben als ihren Kreuzzug gegen die vermeintlichen „Nice Guys“, denen sie Wochenende für Wochenende die Leviten liest – obwohl ihr Umfeld sie mehr oder minder deutlich dazu bewegen will den Malocherjob hinter sich zu lassen und mehr aus ihrem Leben zu machen.

Als sich Cassie auf eine Verabredung mit ihrem früheren Kommilitonen Ryan Cooper (Bo Burnham) einlässt, sieht es so aus, als würden die Wünsche von Cassies Eltern und Freunden wahr. Doch dann drängt das Trauma ihrer College-Zeit durch den Kontakt mit früheren Studienkollegen verstärkt an die Oberfläche…
Lange Zeit lässt „Promising Young Woman“ den Zuschauer im Unklaren darüber, was dereinst am College geschah und baut durch die geschickte Weitergabe von Details eine Spannung auf, während sich das Puzzle zusammenfügt. Gleichzeitig fungieren diese Szenen als Charakterzeichnung: Je mehr das Publikum über Cassie lernt, desto mehr kann es ihr Handeln verstehen. Dabei macht Fennell, die auch das Drehbuch schrieb, aus ihrer Protagonistin keine Lichtgestalt: Für ihre Mission vernachlässigt Cassie ihr eigenes Leben, verweigert sich der Verarbeitung ihres Traumas und ist ein wandelndes Pulverfass, wie eine der weniger subtilen des Films zeigt, in der sie das Auto eines Kerls, der sie misogyn beleidigt, mit einem Montiereisen bearbeitet. Ihre Ziele verdienen ihren Zorn, jedoch erscheint Cassie als Fanatikerin, die zwar irgendwie auf der richtigen Seite steht, aber selbst kaum Skrupel kennt.
Immerhin ermöglichen diese Fähigkeiten es ihr später einen minutiös geplanten Racheplan auszuführen. Als Mastermind lässt sie ihre Ziele deren eigene Medizin schmecken, was erst diebische Freude beim Publikum auslöst, ehe es darüber rätselt, ob Cassie in diesem oder jenem Falle nicht zu weit gegangen ist. Da „Promising Young Man“ teilweise erst später auflöst, was in den besagten Situationen passierte, erhält dieser bitterböse Mix aus schwarzhumoriger Komödie und fiesem Rachethriller seine dauerhafte Spannung aufrecht. Ebenso lässt der Film vollkommen offen, ob der Plan der Protagonistin aufgehen wird oder sie sich in ihrem Fanatismus doch verrennt – Fennell folgt nicht rein klassischen dramaturgischen Strukturen und lässt vieles bis zur brillant montierten Schlusssequenz in der Schwebe.

„Promising Young Man“ glänzt dabei nicht nur auf schreiberischer, sondern auch auf inszenatorischer Ebene. Fennell legt ihren Film in den knalligen Farben einer RomCom an, untermalt das Ganze dann auch mit entsprechendem genretypischen Radio-Pop, etwa wenn Cassie und Ryan gemeinsam zu Paris Hiltons „Stars Are Blind“ durch einen Laden tanzen und dann Szenen ihrer Beziehung in einer Montage gezeigt werden. Vom Look und Sound sieht „Promising Young Woman“ also wie das nächste Katherine-Heigl-Vehikel aus, beschäftigt sich aber auf bitterböse, satirische Weise mit gesellschaftlichen Missständen, etwa dass bei manchen Vergehen die Täter eher geschützt werden als die Opfer oder dass sich der vermeintliche Märchenprinz aus der Disco bei entsprechender Gelegenheit als Vergewaltiger entpuppen kann – obwohl er sich selbst weiterhin als netten Typen wahrnimmt.
Dementsprechend sind auch viele Nebenrollen mit Darstellern besetzt, die ein Comedy-Sunnyboy-Image innehaben, darunter Adam Brody, Christopher Mintz-Plasse, Max Greenfield und Christopher Lowell. Der Supportcast besteht eh aus einigen prominenten Gesichtern, die groß aufspielen, darunter Clancy Brown und Jennifer Coolidge als Eltern, Alison Brie als College-Freundin, Connie Britton als Dekanin, Molly Shannon als mütterliche Freundin und Alfred Molina als Anwalt. In der zweitgrößten Rolle punktet Bo Burnham als Love Interest, als wahrscheinlich echter Nice Guy – aber in diesem Film kann man sich nie sicher sein. Doch vor allem Hauptdarstellerin Carey Mulligan trägt diese furiose Geschichte auf ihren Schultern, wechselt perfekt zwischen den verschiedenen Facetten ihrer vielschichtigen Rolle in dieser beeindruckenden Schauspiel-Tour-de-Force.

„Promising Young Woman“ ist ein ganz starkes Regiedebüt, auf den Punkt inszeniert und noch dazu brillant geschrieben. Unter der bonbonfarbenen RomCom-Fassade steckt ein bitterböser Thriller, der die Spannung durch geschickte Enthüllungen stets aufrechterhält und gleichzeitig nuanciert von einer Vigilantin erzählt, die bei ihrem Kreuzzug gegen männlichen Missbrauch auch keine strahlende Heldin abgibt. Die eine oder andere etwas unsubtile Szene wie Cassies Ausraster im Straßenverkehr muss man verschmerzen können, ansonsten aber eine ungewöhnliche wie unwiderstehliche Variation des Rachefilms.

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