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„I could easily kill you now, but I'm determined to have your brain!“

Auf dem Höhepunkt der Zombie- und Kannibalenfilmwelle kombinierte man in Italien beide Topoi kurzerhand mit dem des Mad Scientists und ließ Marino Girolami („Die blutigen Spiele der Reichen“) einen Film inszenieren, der, 1980 veröffentlicht, häufig unterschätzt und als rein exploitative Trittbettfahrerei missverstanden wurde.

New York: Der von den Molukken stammende Turan (Turam Quibo, „Adios Sabata“) hat sich eine bescheidene Existenz in den USA aufgebaut. Mühsam hat er die Sprache erlernt und sich zum Krankenpfleger ausbilden lassen. Längst ist er aus dem Krankenhausalltag nicht mehr wegzudenken, gilt als einer der besten und beliebtesten Mitarbeiter. Er kann zurecht stolz auf sich sein. Doch jüngst hat Turan sich verändert: Immer wieder überkommt ihn wie aus dem Nichts ein unbändiger Appetit auf rohes Menschenfleisch und -innereien. In diesen Momenten bedient er sich bei den toten Körpern verstorbener Patientinnen und Patienten. Doch was ist die Ursache dieses ebenso abscheulichen wie mysteriösen Drangs? „Kito! Kito hat es befohlen!“, gibt der junge Mann zu verstehen, nachdem ihn Klinikleiter Professor Drydock (Walter Patriarca, „Flash Solo“) und dessen Assistentin Lori (Alexandra Delli Colli, „Wer spritzt denn da am Mittelmeer“) auf frischer ertappt haben. Dem bedauernswerten Turan ist die Angelegenheit derart peinlich, dass er sich aus dem Fenster stürzt. Regisseur Girolami erspart seinem Publikum die Bilder dieses grausamen Todes, indem er Turans Körper demonstrativ durch eine Schaufensterpuppe ersetzt, die beim Aufprall einen ihrer Arme verliert. Nein, ein europäisches oder westliches Publikum soll sich nicht am Todessturz eines Indigenen ergötzen können! Erst anschließend zeigt man den blutüberströmten Einwanderer auf der Straße seine letzten Atemzüge machend. Wer sich da in den Tod stürzte, war nicht mehr Turan, wie man ihn kannte; er war zu einer fremdgesteuerten Figur geworden, zu einer Art entseelter menschlicher Puppe.

Dr. Peter Chandler (Ian McCulloch, „Woodoo – Schreckensinsel der Zombies“), FBI-Agent der Gesundheitsbehörde, weiß von ähnlichen Fällen in anderen US-Städten zu berichten, und Lori, die nicht nur Assistentin der Klinikleitung, sondern auch studierte Anthropologin ist, weiß von einem Volk auf der Molukkeninsel Kito, das einst zu Blutopfern neigte. Chandler, dessen Kollege George (Peter O'Neal, „Il Passatore“) und Georges Lebensgefährtin, die Fotoreporterin Susan (Sherry Buchanan, „Junge Mädchen zur Liebe gezwungen“), reisen daraufhin gemeinsam mit Lori auf eine benachbarte Insel, um den US-Chirurg Dr. O’Brian (Donald O'Brien, „Silbersattel“) aufzusuchen, der vor einigen Jahren dorthin ausgewandert ist. O’Brian stellt ihnen für die Expedition nach Kito den ortskundigen Führer Molotto (Dakar, „Papaya – Die Liebesgöttin der Cannibalen“) und vier Träger zur Seite. Da O’Brian ein dunkles Geheimnis zu verbergen hat, sollte die Reisegruppe eigentlich auf eine andere Insel gelotst werden, doch durch einen Motorschaden ihres Boots landet sie letztlich doch auf Kito – mit tödlichen Folgen: Nach der ersten Nacht in einem provisorisch errichteten Zeltlager finden sie einen der Träger tot nebst dem Kito-Symbol, das bereits im Krankenhaus aufgefallen war. Und er wird nicht das einzige Opfer bleiben, denn die indigenen Bewohner Kitos sind in Kannibalismus zurückverfallen. Bald sind nur noch Molotto und die vier Amerikaner(innen) übrig, bis Susan verschleppt und George getötet und aufgegessen wird. Molotto, Dr. Chandler und Lori verdanken ihrem Überleben dem Umstand, dass eine unvermittelt auftauchende Gruppe Zombies die Wilden vertreibt – sie scheinen das einzige zu sein, wovor sie Angst haben.

Wie sich herausstellt, handelt es sich bei den Zombies um Wesen, die Dr. O’Brian in Frankensteinmanier aus Leichenteilen herstellt, um die Eingeborenen in Schach zu halten und für seine Zwecke ausnutzen zu können. Dass er hierfür ihren längst überwunden gewesenen Kannibalismus wieder heraufbeschwören, ja, das eigentlich zivilisierte Urvolk wieder zu primitiven Wilden machen musste, nimmt er billigend in Kauf. Und sein nächstes Opfer hat er bereits auserkoren: Susan hat er auf eine Liege gefesselt, skalpiert, ihre Stimmbänder durchtrennt und für eine Hirntransplantation vorgesehen. Die grafische Zurückhaltung, die Regisseur Girolami bei Turans Tod walten ließ, gilt nicht für die weiße Täterrasse und ihre Erfüllungsgehilfen: Genüsslich hält die Kamera drauf, wenn sie in bester Splatter/Gore-Manier ausgeweidet und gefressen werden. Auch die Bilder der skalpierten, um ihr Leben fürchtenden Susan sind wenig appetitlich, dafür umso beunruhigender. Die drastische Bildsprache steht stellvertretend für das Leid, das O’Brian und seinesgleichen den Urvölkern angetan haben; das bis heute vom Kolonialismus und seinen Gräueln profitierende Publikum der Ersten Welt wird nicht geschont – ebenso wenig wie die Einheimischen von O’Brian. Sein Agieren stellt auf überzeichnete, teils satirisch überspitzte Weise koloniale Ausbeutung allegorisch dar. Generell arbeiten Girolami und sein Team viel mit Symbolen, angefangen beim häufig auftauchen Kito-Zeichen, stets einen Alarmtoneffekt auf der Tonspur auslösend, über in ihrer Lautstärke besonders hervorgehobene Quietsch-, Ritsch-, Ratsch- und Schmatzgeräusche, als erklinge aus ihnen viel mehr Elend als nur das eines Einzelnen, bis hin zu von den Figuren behaupteten Vorgängen, für die es keine erschöpfenden Erläuterungen, logischen Erklärungen oder sie auf Plausibilität abklopfende Faktenchecks gibt – oder deren Konterparts; in allen Details gezeigte und somit bewiesene Abläufe, deren Sinn sich einem erst durch starke Abstraktion, vielleicht auch gar nicht, erschließt.

Dafür, dass „Zombies unter Kannibalen“ in einer unserer Realität entrückten und doch so nahen Welt spielt, finden sich in Form des Puppensturzes, aber auch einer sich einem aggressiven Pilz gleich auf die Inneneinrichtung ausdehnenden Tapete oder einer seltsam wirren Überfahrt, nach der niemand mehr zu wissen scheint, wo er oder sie sich denn nun tatsächlich befinden, schon früh Anzeichen. Ebenso für den besonderen Status Loris, der erst dem Publikum gegenüber subtil in Form von zunächst unerklärlich ausgedehnten Aus- und Umziehszenen etwas makellos Göttinnengleiches zugesprochen und die schließlich von den Eingeborenen als sie aus dem Elend führende „weiße Göttin“ – ein Martinos Kannibalenfilm um Bond-Girl Ursula Undress entlehntes Motiv – erkannt wird, nachdem sie mit Blütenmalereien auf nackter Haut als Opfergabe geschmückt wurde, um, auf dem Kito-Opferstein liegend, unerwartete physikalische Prozesse auszulösen, die eine katalysatorische Wirkung auf das Volk ausüben: Zwar glaubt es, in Lori eine Art Göttin gefunden zu haben, die ihm Kraft gibt, letztlich sind es die Indigenen jedoch selbst, die sich auf ihre ureigenen Kräfte besinnen, sich wieder ihrer selbst ermächtigen und sich endlich bereit fühlen, die Fesseln des Kolonialismus zu sprengen, die, als Symbol globalen Unheils, bis zu ihrem ehemaligen Bruder Turan in New York reichten.

Girolami und die renommierten Autoren Fabrizio De Angelis und Romano Scandariato bedienten sich an Versatzstücken aus dem Abenteuer-, Science-Fiction-, Mystery-, Experimental-, Erotik-, Kannibalen-, Zombiefilm und dem Drama, um ein leichten Fußes ins Surreale tendierendes und mit offensiven grafischen Attacken das Publikum konfrontierendes Bildnis des Kolonialismus zu erschaffen, das aufrüttelt, anklagt, erschüttert und einem das Hirn zermartert wie ein sich durch die Schädeldecke bohrender Außenbordmotor.

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