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Der Filmtitel "La polizia incrimina la legge assolve" (wörtlich "Die Polizei klagt an, das Gesetz spricht frei") ähnelt in seiner ironischen Anspielung dem ein Jahr zuvor erschienenen Poliziesco "La polizia ringrazia" (Das Syndikat, 1972) und dessen Nachfolger "La polizia sta a guardare" (Der unerbittliche Vollstrecker, 1973), aber Regisseur und Drehbuchautor Enzo G.Castellari trieb das Genre in seinem ersten Polizeifilm zu einer kompromissloseren Sichtweise, ist wütender und härter, ohne dabei die Realität aus den Augen zu verlieren.

Die von Franco Nero verkörperte Figur des Commissario Belli wird zwar - anders als sein Kollege in Stenos "La polizia ringrazia" - von keinem Vorgesetzten oder Staatsanwalt bei seiner Arbeit überwacht oder eingeschränkt, handelt meist sehr direkt, auch unter Einsatz von körperlicher Gewalt, bleibt aber weit von Selbstjustiz oder anderen fragwürdigen Polizeimethoden entfernt. Nur dadurch funktioniert die Diskussion mit seinem Vorgesetzten Aldo Scavino (James Withmore), die ihre Aktionen danach hinterfragen, ob sie sinnvoll und zielführend sind oder nur die Spirale der Gewalt sinnlos antreiben. Belli vertritt in dieser Konstellation den treibenden Part, der seine Wut durch die täglichen Erlebnisse auf Genuas Straßen kaum noch bändigen kann, Scavino dagegen liegt an der Ermittlung von stichfesten Beweisen, um auch die Hintermänner vor Gericht bringen zu können.

Diese unterschiedliche Sichtweise erinnert nicht zufällig an Damianis "Confessione di un commissario di polizia al procuratore della repubblica" (Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauerte, 1971), aber Castellaris Film lebt den Konflikt offener aus, lässt Belli seinen Vorgesetzten angreifen, ihm Feigheit und mangelnde Unabhängigkeit vorwerfen. Zudem gesellt sich mit dem alten Bandenchef Cafiero (Fernando Rey), der sich angeblich zur Ruhe gesetzt hat, noch eine weitere Person hinzu, dessen so realistische wie fatalistische Sichtweise die Diskussion der beiden Polizeioffiziere zunehmend als müssig erscheinen lässt - eine Haltung, der sich "La polizia incrimina la legge assolve" anschließt.

Denn in Castellaris Film wird jeder konstruktive Versuch, der Drogen-Mafia Einhalt zu gebieten, durch deren unmittelbare Gewalt torpediert. Nach einer grandiosen Verfolgungsjagd über Genuas Straßen, bei der auch die Hochstraße - wie später wieder in "Genova a mano armata" (1976) - eine optisch eindrucksvolle Rolle spielt, gelingt es Belli einen aus Marseille kommenden Kontaktmann, genannt der "Libanese", zu verhaften, nur um mit ansehen zu müssen, wie das Polizeiauto vor dem Polizeipräsidium mit dem möglichen Zeugen in die Luft gejagt wird. Er selbst entkommt dem Bombenanschlag nur durch Zufall.

Diesen schnellen Rhythmus aus Aktion und Gegenaktion behält der Film über die gesamte Laufzeit, denn jeder scheinbare Erfolg der Polizei wird durch eine sofortige Reaktion der Verbrecherbanden beantwortet, die vor den erschreckendsten Gewalttaten nicht zurückschrecken. In "La polizia incrimina la legge assolve" gibt es für keinen Beteiligten eine Überlebensgarantie und dank der Auseinandersetzung der zwei Banden, wird auch nie deutlich, welche Interessen gerade vertreten werden. Selbst Täter können in kürzester Zeit zum Opfer werden - Rico (Daniel Martin), eigentlich ein Handlanger Cafieros, der eigene Ziele verfolgt, wird kurz nach einem brutalen Mord, bei dem er sein Opfer zudem kastriert hatte, selbst von gegnerischen Bandenmitgliedern hingerichtet. Nur der Industrielle Franco Griva (Silvano Tranquilli), ein unbescholtener Bürger, der bis in die höchsten politischen Kreise Kontakte pflegt, bleibt von diesem Chaos scheinbar unberührt.

An Castellaris kritischer Sicht auf eine Gesellschaft, die längst von Kriminalität unterwandert wurde, gibt es keinen Zweifel, aber ihm geht es weder um Ausgewogenheit, noch um moralische Fingerzeige, sondern um den präzisen Blick auf eine Situation, die nicht mehr beherrschbar ist. Besonders deutlich werden diese Momente, wenn er Gedanken und Erinnerungen mit der Gegenwart optisch verzahnt und damit die Hilflosigkeit der Protagonisten versinnbildlicht - ihre Erkenntnis kommt fast immer zu spät. Begleitet von der aufwühlenden Musik der Brüder De Angelis treibt Castellari Commissario Belli, dem nur wenige, zerbrechliche private Momente mit seiner Freundin (Delia Boccardo) und seiner Tochter ( Stefania Girolami Goodwin (Castellaris Tochter)) vergönnt sind, immer tiefer ins Geschehen und wurde damit stilbildend für das Genre.(9/10)

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