Stanley Tong ist so eine Art Hausregisseur für Jackie Chan: Von bisher 13 Filmregiearbeiten Tongs sind sieben mit Chan (der mit Ausnahme von „Mega Cop“ dort auch immer die Hauptrolle innehatte), angefangen bei „Police Story 3“ bis hin zu aktuell „Vanguard“.
Bei der titelgebenden Vanguard-Organisation – eine Elite Special Force, wie es der deutsche Untertitel nochmal unterstreichen möchte – handelt es sich um eine Truppe von Bodyguards, deren Chef Tang Huating (Jackie Chan) ist. Als eine Schurkenhorde namens Arctic Wolves den Klienten Quin Guoli (Jackson Lou) nebst Ehefrau kidnappen will, aktiviert Tang schnell seine beiden besten Männer, Lei Zhenyu (Yang Yang) und Zhang Kaixuan (Allen Ai), welche die Kunden aus der Geiselnahme in einem Restaurant raus- und den Arctic Wolves in die Fresse boxen. Agentin Mi Ya (Miya Muqi) schaut noch als Fluchtwagenfahrerin vorbei, nur der Chef, der bleibt im Büro – auch Jackie Chan ist inzwischen im Reich der Altersrollen angekommen.
Nachdem das Kidnapping in London fehlgeschlagen ist, denken die Arctic Wolves jedoch keinesfalls ans Aufgeben – ihr Auftraggeber, der schurkische Omar (Eyad Hourani), würde es ihnen auch nicht erlauben. Omars Vater hatte nämlich Geschäfte mit Quin, ehe der seinen Aufenthaltsort an die USA verriet, die kurzen Prozess mit dem Übelwicht machten. Doch der mindestens ebenso fiese Filius will einerseits Rache, andrerseits an die Finanzen seines Vaters, von denen nur Quin weiß, wo sie gebunkert sind. Wer genau die Arctic Wolves und was sie wollen, darüber schweigt der Film sich aus, ebenso wie über die meisten anderen Schurken – neben Omar und der Söldnertruppe der arktischen Wölfe kommen später noch Wilderer und Waffenhändler dazu.
Quin hat eine Tochter, Fareeda (Xu Ruohan), die gerade in Afrika weilt. Diese wird nun das neue Ziel der Söldner, um ihren Daddy aus der Reserve zu locken. Doch auch die Vanguard-Truppe reist hinter Fareeda her, um sie zu beschützen…
Egal ob Altersrolle oder nicht, „Vanguard“ soll ein Starvehikel für Jackie Chan sein, doch ausgerechnet da hakt der Film. Dass Chan kaum in Action ist, könnte man vielleicht noch verschmerzen, doch seine Figur wirkt immer etwas nutzlos hineingeschrieben – minimaler Handkanteneinsatz, ein paar kommentierende Sprüche und Pathosmonologe begeistern nun wirklich nicht für diese Figur. Noch dazu wirken die Versuche typischer Chan-Komik in diesem Film seltsam unbeholfen: Der Rest ist zwar over the top, aber doch ein relativ geradliniger Actionreißer, in dem es dann eher unpassend wirkt, wenn Tang eine AK-47 von sich abwendet, sich am heißgeschossenen Lauf die Pfoten verbrennt und dann in typischer Chan-Manier vor Schmerzen rumhüpft, Gesichtskirmes inklusive. Leider sind seine Co-Stars zwar durchaus kampfstark, aber sonst eher ausdrucksarm – gerade das Youngstertrio aus Yang Yang, Allen Ai und Kinodebütantin Xu Ruohan kommt keimfrei wie aus der Clearasil-Werbung daher. Bei den Schurken ist grobes Overacting angesagt, wobei vor allem das Schmierentheater von Eyad Hourani oft eher an eine Parodie denn an einen echten Superschurken erinnert. Einzig und allein Jackson Lou als potentielles Entführungsopfer sowie Brahim Chab als Chef der Arctic Wolves kommen charismatisch rüber.
Mit seinem Agentenplot und den vielen Locationwechseln erinnert „Vanguard“ an frühere Chan-Abenteuer auf Bond-Spuren wie „First Strike“, „Who Am I?“ und „Spion wider Willen“, wirkt allerdings in Sachen Story und Schurken noch eine Nummer egaler. London, der afrikanische Busch und Dubai sind hübsche Kulissen, aber so wirklich Drive entwickelt das Ganze nicht, obwohl andauernd irgendwer gerettet oder ein Anschlag verhindert werden muss, was nicht zuletzt an den Pappkameraden-Charakteren liegt. So ist auch die obligatorische Lovestory zwischen Fareeda und ihrem Beschützer Lei nur lustlos heruntergespulter Genrestandard, die Schurken egales Verprügel- und Abknall-Volk. Zwischendurch gibt es noch ganz besonders dumpfen Hurra-Patriotismus, wenn ein Vanguard-Held einem chinesisch sprechenden Schurken an den Kopf knallt, dass der zwar die Sprache gelernt, aber nicht die Werte des Landes verinnerlicht habe. Oder wenn der Nachwuchs von Zhang angesichts eines Actionfigur-Geschenks jubelt, dass Captain China viel besser als Captain America sei.
All diese Mängel sind schade, denn zumindest actiontechnisch steckt in „Vanguard“ ein richtig guter Film. Die Beteiligten verstehen sich darauf sich mit Faust und Fuß zu beharken, die Choreographien von Guanhua Han sehen schick aus und zumindest beim Restaurant-Fight in Speisesaal und Küche wird die Umgebung in bester Chan-Tradition miteinbezogen, auch wenn dieser nicht mitkämpft. Viele Set-Pieces haben sogar richtig gute Ideen – etwa wenn mehrere Boote und Jetskis einen schwimmenden Jeep über Stromschnellen verfolgen und man auf einen Wasserfall zusteuert, dann fällt einem nicht viel Vergleichbares ein. Die Vanguard-Truppe hat schöne Spielzeuge wie ein Hoverboard dabei, auch die Shoot-Outs rocken, vor allem die Befreiungsaktion in der Wüstenstadt, bei der Scharfschützen, Sprengfallen und kugelsichere Schilde eingesetzt werden. Zudem ist für ein paar hübsche Stunts wie eine Motorradfahrt auf nur einem Rad Zeit und an einer Stelle gibt es sogar einen hübschen Metagag zu Chans halsbrecherischer Stuntarbeit: Als ein Jungspund im Rahmen einer Verfolgungsjagd übers Geländer springt und eine Etage tiefer wieder aufkommt, will Tang ihm erst auf direktem Wege folgen, wird dann aber von einem Polizeikollegen darauf aufmerksam gemacht, dass es gleich um die Ecke auch Treppen gibt.
Doch gerade der Vergleich zu den alten Glanzzeiten des Hongkong-Kinos lässt „Vanguard“ nicht immer charmant aussehen. Denn der besondere Appeal der Klassiker lag ja im Handgemachten, während bei „Vanguard“ Kollege Computer Überstunden schiebt. Dass man die Wasserfallszene digital pimpt, damit sie gefährlicher aussieht, geht ja noch an, aber diverse offensichtliche CGI-Tiere wie Löwen und Hyänen in anderen Actionszenen sind Fremdkörper. Und gänzlich ist der Ofen aus, wenn diverse Autojagden und -stunts ganz offensichtlich mit Tricks aus dem Rechner arbeiten und dementsprechend unecht aussehen – ausgerechnet das Finale, der eigentliche Höhepunkt des Films, ist da ein schwerer Sünder.
„Vanguard“ hat ziemliches Tempo, sieht man von den unnötigen Pausen für pathetische Ansprachen ab, und beweist zumindest in seinen Actionszenen Kreativität, sodass immerhin das Potential für einen flotten 08/15-Reißer mit flachen Charakteren und sekundärer Handlung vorhanden gewesen wäre. Doch aufgrund offensichtlicher (und nicht immer gut aussehender) CGI-Tricksereien in den Actionszenen rutscht „Vanguard“ in den Durchschnittsbereich ab. Und dass ausgerechnet der große Star Jackie Chan nicht so wirklich in diesem Film ankommt, ist alles andere als eine Ruhmestat.