„Er ist einer, der schon mal mit der Polizei zu tun gehabt hat: Ein Gammler. Ein Asozialer.“
Der italienische Regisseur Giorgio Stegani brachte es im Laufe seiner Karriere anscheinend lediglich auf sieben Filme, darunter Western wie „Adios Gringo“ mit Giuliano Gemma und „Shamango“ sowie der Agentenfilm „Mike Murphy 077 gegen Ypotron“. Seine vorletzte Regiearbeit wurde das Liebes-/Erotik-Drama „Ein Sommer voller Zärtlichkeit“ aus dem Jahre 1971, später für den Heimkinomarkt unter dem reißerischen Titel „Zu Tode gehetzt“ vermarktet. In der weiblichen Hauptrolle: Die junge Ornella Muti („Ganz normal verrückt“) in einem ihrer ersten Spielfilmauftritte.
Die junge Lisa aus wohlhabendem Hause verliebt sich in den Hippie Robert (Alessio Orano, „Lisa und der Teufel“) – sehr zum Unmut ihres Vaters (Chris Avram, „Bay of Blood“). Entgegen dessen Verbots fährt sie per Anhalter mit Robert zum Strandhaus ihrer Eltern und unternimmt einen Törn mit dem elterlichen Segelboot. Als sie auf einer Sandbank zum Liegen kommen, schwimmen sie auf eine weitestgehend unberührte Insel hinaus und genießen das Dasein und ihre Liebe. Ihr Vater hat jedoch derweil die Polizei alarmiert und zwei Jäger beobachten das Treiben des jungen Pärchens, das sie prompt missinterpretieren...
Voller seinerzeit gängiger positiv konnotierter Klischees gerät die Darstellung der Hippies als freiheitsliebende, naturverbundene nette Jungs mit Wanderklampfen, die wiederum den reaktionären Knochen der kapitalistischen Leistungsgesellschaft ein Dorn im Auge sind, aber anziehend auf junge Mädchen wirken. Die Rolle der verständnislosen Erwachsenengeneration nimmt allen voran Lisas Vater ein, der entsetzt ist vom neuen Umgang seiner Tochter. Die Handlung ist als Rückblende aufgebaut, ausgehend von den polizeilichen Zeugenbefragungen, die ebenso auch immer wieder die Rückblende unterbrechen wie Interviews durch Journalisten. Der Zuschauer weiß, dass etwas Schlimmes passiert sein muss, aber nicht genau, was, wann und weshalb, woraus der Film seine Spannung bezieht. Voll auf Romantik setzt Stegani mittels schwelgerischer Landschaftsbilder und sehnsuchtserfüllter Melodien; ein Sonnenuntergang in Verbindung mit der Musik lädt zum Träumen ein und weckt Fernweh. Das Gesangsstück hingegen erinnert mich stilistisch etwas an die Band „Middle of the Road“ und bringt etwas mehr Pep in den Film. Die Beziehung zwischen Lisa und Robert entwickelt sich ganz klassisch langsam und behutsam, erst auf der Bootsfahrt küssen sie sich erstmals. Auf der einsamen Insel schließlich ziehen sich beide zum ersten Mal voreinander aus, 45 Minuten des Films sind bereits vergangen. Wer es auf erotische Bilder angelegt hatte, kommt nun aber voll auf seine Kosten, denn Stegani und sein Team erzeugten wunderschöne Unterwasseraufnahmen des Liebespaars. Das Auftauchen der Jäger, die die Polizei alarmieren, die Einflussnahme von außen also, besiegelt jedoch bereits die Zerstörung des jungen Glücks, denn die Exekutive hetzt ihre Männer auf Lisa und Robert und nach einer spektakulären Schlagzeile geifernde Journalisten sind mit von der Partie.
Das garstige Ende ist die Konsequenz aus der aufrichtigen Liebe des missverstandenen und missachteten Roberts in Kombination mit einem übermächtig anmutenden Konglomerat aus Staatsmacht, Oberschicht und Journaille, wobei letztere sich gar noch zu zynischen Kommentaren hinreißen lässt, während sie schon wieder eine Oben-ohne-Modell-Fotoauswahl für ihr Schmierblatt betreibt, als wäre nichts gewesen. So prangert „Ein Sommer voller Zärtlichkeit“ sowohl die Sensationsgier der Medien als auch die Vorurteile, erdrückenden Regeln und den regelrechten Hass spießiger, einflussreicher, weil vermögender Eltern an, die aus Angst daraus resultiert, dass ihre vorgefertigten Pläne für den Nachwuchs durchkreuzt werden und ein neues, menschlicheres Wertesystem das ihre ablöst und als unbrauchbar entlarvt. Stegani ist dabei ein Mann der klaren Sprache, die jeder versteht, schmückt sein Drama nicht mit überraschenden Wendungen oder vielen Details aus und droht bisweilen, in den Kitsch abzurutschen, findet jedoch letztlich immer wieder eine akzeptable Balance zwischen großen Gefühlen, Dramatik, Fatalismus und Erotik, wobei er sich auf seine Schauspieler(innen) verlassen kann. Die zum Drehzeitpunkt anscheinend gerade einmal 16-jährige Ornella Muti beherrscht die Rolle der unschuldigen Jugendlichen, die gerade ihre erste große Liebe erlebt, wunderbar und wird auf eine sehr natürlich anmutende Weise von der Kamera eingefangen, von exploitativem Sleaze keine Spur. Luigi Pistilli („Milano Kaliber 9“) als Polizeichef beherrscht seine ambivalente Rolle, die quasi durch den Film führt, mühelos und auch sonst fällt niemand aus der Spur, so dass es leicht fällt, dem Film seine Eindimensionalität und der zwischenzeitlichen Idylle geschuldeten Schablonenhaftigkeit zu verzeihen. 6,5 von 10 Punkten ist mir solch ein kleines, feines Stück italienischen Zelluloids durchaus wert.