Seit 2011 stellt Oliver Harper seine Reviews und Retrospektiven bei YouTube ein und hat sich damit eine große Anhängerschaft erarbeitet. Seine Leib- und Magenthemen sind der Actionfilm und das Kino der 1980er, weshalb es kaum verwundert, dass seine erste Arbeit in Filmlänge, die Dokumentation „In Search of the Last Action Heroes“, genau diesen beiden Aspekte in den Fokus rückt.
Das via Kickstarter und Indiegogo finanzierte Projekt will die Geschichte des Actionfilms erzählen, wobei vor allem Interviewpartner aus dem Genre dies tun. Dazu gehören Regisseure wie Sam Firstenberg, Mark L. Lester und Paul Verhoeven, Drehbuchautoren wie Graham Yost, Shane Black und Steven E. de Souza, Darsteller wie Vernon Wells, Jenette Goldstein und Bill Duke, B-Helden wie Eric Roberts, Cynthia Rothrock und Phillip Rhee, während die nächste Actionstar-Generation mit Scott Adkins und Michael Jai White vertreten ist. Die beiden letztgenannten sehen sich gegenseitig als großer und kleiner Bruder im Genre, wie sie erzählen. Hinzu kommen unter anderem Produzent Mario Kassar von der legendären Carolco-Schmiede sowie Mark Goldblatt, der für den Schnitt unzähliger Actionklassiker wie „Terminator“, „Last Boy Scout“ und „True Lies“ verantwortlich zeichnet.
„In Search of the Last Action Heroes“ ist ein Werk der Liebe zum Actiongenre, im Gegensatz zu beispielsweise Mark Hartleys spöttischem „Electric Boogaloo: The Wild, Untold Story of Cannon Films“. Allerdings ist es kein Film, der frei von Problemen wäre. Das fängt schon beim Thema an: Selbst bei der stolzen Laufzeit von 140 Minuten (die jedoch wie im Flug vergehen) kann man einer Geschichte des Actiongenres von seinen Anfängen bis heute kaum gerecht werden. Die Anfänge in den Western und Abenteuerfilmen werden kurz erwähnt, ehe sich die Doku hauptsächlich mit der Konsolidierung des Genres in den 1980ern beschäftigt und dabei vor allem von einem Meilenstein zum nächsten springt: „Rambo“, „Terminator“, „RoboCop“, „Aliens – Die Rückkehr“, „Lethal Weapon“, „Stirb langsam“ usw. Kleinere Filme werden manchmal genannt oder im Poster gezeigt, kommen allenfalls dann etwas mehr zur Sprache, wenn ein Interviewpartner einen Bezug zu ihnen hat. Manchmal wäre es wohl besser gewesen, hätte Harper das Ganze mehr nach Themen geordnet, wie es beispielsweise bei der Besprechung von Actionheldinnen passiert: Dort werden Wortmeldungen und Clips zusammengefasst, Ansichten, Einsichten und Anekdoten geteilt, beispielsweise wenn Shane Black von der Suche nach einer Produktionsfirma für sein „Tödliche Weihnachten“-Script erzählt, während derer alle Welt ihn fragte, ob er aus der Hauptfigur nicht besser einen Mann machen könnte.
Derartige Einblicke sind die Würze des Ganzen, denn manches Detail, welches „In Search of the Last Action Heroes“ enthüllt, dürfte auch Actionfans unbekannt sein. Etwa dass Ronny Cox angefragt wurde, ob er nicht als Schurke für „RoboCop 2“ zurückkehren wolle, nur eben in Cyborg-Form, da sein Charakter am Ende des Erstlings ja den Fenstersturz probte. Oder wenn Steven E. de Souza von der Genese von „Street Fighter“ berichtet, bei dem er Regie führte, und so erläutert, warum genau jenes gefloppte Endprodukt mit Capcom-Segen dabei herauskam. Denn auch das ist Teil des Films: Das Aussterben des klassischen Actionkinos in den 1990ern, als immer häufiger nicht nur Genrestars, sondern auch andere Schauspieler Actionrollen übernahmen, als die Tricktechnik und die geänderten Publikumsinteressen viele klassische Actionstars beinahe obsolet machten. Dabei gibt es selten das eintönige Fanboy-Geschimpfe auf digitale Effekte, sondern durchaus differenzierte Meinungen dazu, dass neben fotorealistischen Computertricksereien auch spezielle Trainingscamp für Schauspieler dafür sorgen, dass man heute oft keine geschulten Martial-Arts-Profis mehr braucht.
Es kommt auch durch, dass viele Actionstars gleichzeitig Actionfans sind. Scott Adkins erzählt beispielsweise davon wie die Sichtung von „Bloodsport“ ihn dazu animierte Martial-Arts-Profi zu werden. Manchmal wirkt die Huldigung des Actionkinos etwas redundant und wie eine Anbiederung an das Zielpublikum der Dokumentation, das man von den Meriten des Genres eh nicht mehr überzeugen muss. Auch die Montage droht teilweise etwas eintönig zu werden: Teil eines Trailers des gerade besprochenen Films – Soundbite von Person A – nächster Teil des Trailers – Soundbite von Person B – nächster Teil des Trailers usw.
Es läuft also nicht alles hundertprozentig rund bei „In Search of the Last Action Heroes“ und doch überwiegen am Ende die Stärken. Denn Harper kapituliert nicht vor dem Material, sondern bringt tatsächlich alles unter, was zur Genregeschichtsschreibung gehört: Der Einfluss von Clint Eastwood, Charles Bronson und Bruce Lee auf spätere Actionhelden, die großen Eighties-Klassiker, die neuen Impulse durch Jackie Chan und John Woo, der enorme Videothekensektor mit all den B-Stars und Billigfilmen, der Niedergang des Genres, die neuen Highlights im Stil alter Tage wie „John Wick“ oder „The Raid“. Und trotzdem erzählt „In Search of the Last Action Heroes“ nicht nur Bekanntes, sondern kitzelt aus seinen Interviewpartnern bisher ungekannte Details heraus oder lässt sie ihre Sichtweisen bestimmter Ereignisse darlegen. Man nehme beispielsweise den legendären Flop „Last Action Hero“, dessen erste Drehbuchvariante von Zak Penn und Adam Leff stammte, die dann erst von Shane Black und David Arnott, danach von zig weiteren, ungenannten Autoren umgeschrieben wurde. Penn und Leff zürnten damals vor allem Black und Arnott für die (vermeintlliche) Verhunzung des Scripts. Hier erklärt Penn nun, welche Veränderungen ihm dann dich gefielen, während Black klarstellt, dass manches, was Penn an dem Film hasste, gar nicht auf seine und Arnotts Kappe ging. Dafür erzählt Black, warum er schon bei der Premiere ahnte, dass der Film kein Erfolg werden würde.
Vor allem aber macht „In Search of the Last Action Heroes“ Lust darauf gewisse Filme zu sehen, oder für sein Zielpublikum eher: wieder zu sehen, trägt dabei die Handschrift des soundtrackbegeisterten Regisseurs, der es sich nicht nehmen lässt auch Komponist Brad Fiedel zu interviewen, und schafft den Spagat zwischen Nennung aller wesentlicher Fakten zur Actionfilmgeschichte und dem Enthüllen neuer Details und Anekdoten. Es ergibt sich aus der Indie-Natur des Projekts, dass die ganz großen Actionstars wie Arnold Schwarzenegger und Sylvester Stallone, deren Werke ausführlich besprochen werden, nicht als Interviewpartner zur Verfügung standen, es ist auch klar, dass Unmengen bekannter Genrefilme angesichts der knappen Zeitmenge nicht erwähnt oder ausführlicher behandelt werden können. Aber „In Search of the Last Action Heroes“ überträgt die aufrichtige Liebe seines Machers zum Genre auf das Publikum, sodass man dem Ergebnis trotz einiger Mängel nicht böse sein kann.