Wer hat Angst vorm schwarzen Mann!? lautet eine von mehreren im deutschsprachigen Raum weitverbreiteten Phrasen, mit der kleinen Kindern vor einer fiktiven Figur Angst gemacht werden soll und die in vielen anderen Ländern synonym existiert. Doch trotz der weiten Verbreitung fürchtet sich niemand, und schon gar kein Erwachsener vor diesem im Spanischen el cuco (der Kuckuck) genannten Kinderschreck, und so dauert es auch eine ganze Weile, bis die Protagonisten der HBO-Serie The Outsider sich mit dem Gedanken anfreunden können, daß an dieser Fiktion doch etwas Wahres dran sein könnte.
Zunächst nämlich erschüttert der bestialische Mord an einem 11-jährigen Jungen die kleine Stadt Cherokee City in Georgia, erst recht, nachdem einige Zeugen den vermutlichen und gut beleumdeten Täter einwandfrei beschreiben können, und so läßt Detective Ralph Anderson (Ben Mendelsohn) den Trainer des örtlichen Baseball-Teams, Terry Maitland (Jason Bateman) gleich coram publico während eines Spiels im vollbesetzten Stadion verhaften. Maitland, ein engagierter Trainer, fällt aus allen Wolken angesichts der ungeheuerlichen Anschuldigungen, sich an einem seiner Schützlinge vergangen haben zu sollen, denn tatsächlich war er zum Tatzeitpunkt zwei Tage zuvor auf einer Lehrerkonferenz in einer anderen Stadt. Es gelingt seinem Anwalt, Videoaufzeichnungen darüber aufzutreiben und ins Netz zu stellen, um der Vorverurteilung vor allem seitens der Medien und Bevölkerung entgegenzuwirken, die bereits sein Haus mit "Kindermörder" beschmiert haben und seiner Frau und den beiden Töchtern zusetzen. Detective Ralph sieht sich in einem besonderen Dilemma, hatte Maitland doch früher seinen bei einem Unfall verstorbenen einzigen Sohn ebenfalls trainiert, andererseits ist der gewissenhafte und ruhige Mittfünfziger routiniert genug, um zu erkennen, daß einwandfreie Zeugenaussagen und Videoaufzeichnungen des mutmaßlichen Täters mit blutverschmierter Kleidung in krassem Widerspruch zu ebenso eindeutigen Videoaufnahmen und Zeugenaussagen von dessen Anwesenheit in einer anderen Stadt stehen. Ralph bekommt langsam Zweifel, ob seine Vorgehensweise mit der öffentlichen Verhaftung richtig war und sucht - völlig entgegen den Gepflogenheiten - sogar den Kontakt mit der Gegenseite, der Familie Maitland, deren Existenz er zerstört hatte; doch es ist zu spät, denn am Weg zur - von zahlreichen Schaulustigen begleiteten - Gerichtsverhandlung taucht der ältere Bruder des Opfers auf und erschießt Maitland und einen Polizisten, bevor er selbst von Ralph erschossen wird.
Dies ist die Ausgangslage des spannenden Thrillers, denn mit dem gewaltsamen Tod des Verdächtigen (der mit seinen letzten Worten noch einmal seine Unschuld betont) ist genau gar nichts geklärt, und dieser Widerspruch nagt und nagt an Detective Ralph Anderson, der nach der Schießerei erst einmal dienstfrei gestellt wurde und nun auf eigene Faust akribisch weiterermittelt. Einen Doppelgänger kann man ausschließen, aber wieso kann ein und derselbe Mann, durch diverseste Beweise hinreichend belegt, zeitgleich in zwei Städten auftreten? Einem Tip folgend wendet sich Ralph an die exzentrische Ermittlerin Holly Gibney (Cynthia Erivo), die neben einem enormem Gedächtnis auch eine Spürnase für esoterische Themen besitzt und aus den winzigen Nebensächlichkeiten des Falls, die Ralph bei seinen Nachforschungen auffallen, bald eine heiße Spur herausfiltert. Denn Maitland ist nicht der erste Mordverdächtige, der anscheinend unschuldig war, davor war es ein Krankenpfleger, der für einen angeblichen Doppelmord verurteilt wurde, vor diesem eine Frau in Harlem, und jeder dieser Fälle steht in einer bestimmten Verbindung zueinander. Gibt es wirklich einen "schwarzen Mann", der Kinder ermordet und ganze Familien (durch nachfolgende Rachemorde und Selbstmorde) auslöscht?
Die akribische Arbeit von Ralph (zuhause) und Holly (unterwegs vor Ort) ergeben nach und nach ein Gesamtbild, das sich über insgesamt 10 Folgen à 50-60 Minuten wie bei einem Puzzle zusammenfügt. Während die ersten beiden Folgen (die eindeutig besten, die Maitland-Darsteller Jason Bateman übrigens selbst geschrieben hat) noch auf einen spannenden Krimi hindeuten, bekommt die Serie mit dem Auftreten der unorthodoxen Holly eine etwas andere Wendung und driftet spätestens mit dem vierten Teil in Richtung Mystery-Thriller ab. In den weiteren Folgen läßt dann das Tempo etwas nach und mit dem Einführen immer neuer Nebenstränge stellen sich auch gewisse Längen ein, die allerdings von den hervorragenden Hauptdarstellern Mendelsohn und Erivo weitgehend abgefangen werden können. Besonders die dunkelhäutige Britin mit ihren unkonventionellen Ermittlungsmethoden macht jede Folge sehenswert, und der in seiner Rolle nach Gerechtigkeit suchende und von Selbstzweifeln geplagte Australier Mendelsohn steht ihr als Sympathieträger kaum nach. Nebenbei erwähnt: der Allerwelts-Filmtitel The Outsider erklärt sich durch die Romanvorlage von Stephen King, passt aber als solcher wenig zum Geschehen, das besser mit El Cuco o.ä. betitelt worden wäre.
Wer sich von der langsam vor sich hin köchelnden Geschichte dann allerdings ein fulminantes Ende erhofft, wird wohl ziemlich enttäuscht sein, denn die letzte Episode beginnt zwar mit einer Schießerei, beschließt die Serie dann aber fast schon antiklimatisch und läßt sehr viele Fragen offen. Fragen zu Ungereimtheiten, die um des Spoilerns willen hier nicht aufscheinen - man sollte sich jedoch trotz möglicher Unzufriedenheit mit der letzten Episode unbedingt auch deren Abspann aufmerksam anschauen.
Trotz des etwas schwachen Finales bleibt The Outsider eine über weite Strecken höchst spannende Serie, die bildtechnisch mit ihren zurückgenommenen Farbfiltern in häufig grau/blau/erdfarbigen Tönen, vielen bewußten (Kamera-)Unschärfen und einem jederzeit treffsicheren Score eine oftmals unangenehme, lauernde Atmosphäre heraufbeschwört, die nicht nur den Mystery-Fan bestens zu unterhalten weiß. Empfehlenswert - 8 Punkte.