Review

„Ich weiß, dass Sie das nicht toll finden werden…“

Das neue Jahr begann mit einem weiteren „Tatort“-Experiment: „Das Team“ lässt sich grob als 15. Fall des Dortmunder Ermittlungs-Duos Martina Bönisch und Peter Faber einordnen, ist aber zugleich eine Art Crossover mit dem Münsteraner Team. Der von Jan Georg Schütte („Wellness für Paare“) inszenierten Episode lag kein Drehbuch zugrunde, den Schauspielerinnen und Schauspielern lag lediglich ein Rollenprofil vor – alles andere wurde improvisiert. Das gab es unter Regie Axel Ranischs mit den Odenthalern „Babbeldasch“ und „Waldlust“ schon mal, war aber ziemlich in die Hose gegangen. Nicht so diesmal.

„Die wollen uns doch verarschen!“

Bereits vier hochrangige nordrhein-westfälische Kriminalbeamte wurden grausam ermordet, mit dem Münsteraner Thiel ein weiterer angeschossen. Ministerpräsident Armin Laschet (persönlich, „Landtag Nordrhein-Westfalen“) und der Polizeipräsident versammeln die unterschiedlichsten Ermittlerinnen und Ermittler, alle selbst potentielle weitere Opfer, in einem leerstehenden Hotel und lassen sie unter Leitung der Coaches Christoph und Martin Scholz (Charly Hübner, Rostocker „Polizeiruf 110“ und Bjarne Mädel, „Der Tatortreiniger“) an einem Workshop zwecks Teambildung teilnehmen. Die Dortmunder Peter Faber (Jörg Hartmann) und Martina Bönisch (Anna Schudt) sollen also mit Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) aus Münster, dem aufgrund eines psychischen Traumas beurlaubten Oberhausener Kommissar Rettenbach (Ben Becker, „Spiel um dein Leben“), dem Aachener Kommissar Mitschowski (Nicholas Ofczarek, „Falco - Verdammt, wir leben noch!“), dem Paderborner Kommissar Ziesing (Friedrich Mücke, „Am Abend aller Tage“) sowie der Düsseldorfer Kommissarin Möller (Elena Uhlig, „Swimming Pool - Der Tod feiert mit.“), Witwe eines der Opfer, zusammenarbeiten. Oder ist das lediglich ein Vorwand und der oder die Täter(in) befindet sich längst unter ihnen, ist also jemand aus den eigenen Reihen…?

An zwei Drehtagen wurde das illustre Ensemble von 36 Kameras beobachtet, damit ja nichts entgeht. Das Material landete schließlich beim Schnitt, dem es nun oblag, einen möglichst stringenten, nachvollziehbaren 90-Minütiger daraus zu puzzeln. Die beiden Dortmunder sowie die Krusenstern sind echte „Tatort“-Figuren, alle anderen wurden für diese Episode erdacht. Etwas unglücklich erscheint es dabei, erneut auf Ben Becker zurückzugreifen, der erst kürzlich an der Seite Lena Odenthals eine andere „Tatort“-Figur verkörperte. Andererseits wäre es ein wirklicher Verlust gewesen, auf Becker zu verzichten, stechen doch er und Ofczarek, der einen arroganten, eiskalten Zyniker verkörpert, durch wahrlich grandiose schauspielerische Leistungen besonders hervor. Eine echte Gruppendynamik entwickelt sich jedoch nur schwerlich.

Stattdessen ist die Stimmung von vornherein untereinander schlecht. Irgendwie kennt man sich, kann sich nicht sonderlich gut riechen und kannte auch die Opfer. Zumindest eines dieser – Möllers Ehemann – war offenbar ein unsympathischer Macho, der nichts hat anbrennen lassen. Dies ergibt sich aus den schleppend verlaufenden Gesprächen, während der Sinn der nach Küchenpsychologie, bedeutungsschwangerem Geschwurbel und Willkür müffelnden Maßnahmen und Übungen weitestgehend auf der Strecke bleibt. Unklar bleibt zudem, ob diese lediglich dem Zeitvertreib dienen und man eigentlich in erster Linie auf Eskalation durch Isolation setzt oder ob sie tatsächlich zu bestimmten Erkenntnissen verhelfen.

Die erste Hälfte zieht sich spätestens ab dem Moment, an dem auch die Ermittlerinnen und Ermittler hoffnungslos auf der Stelle zu treten scheinen und ihre häufig geflüsterten Dialogfragmente zu nerven beginnen. Als besonderen Überraschungscoup lässt man plötzlich, unerwartet und leider auch unspektakulär offscreen eine beliebte Figur aus dem „Tatort“-Universum sterben, was entsetzt, aber auch neue Dynamik in die Angelegenheit bringt. Gegenseitige persönliche Beleidigungen und generell gereiztes, unumgängliches bis soziopathisch anmutendes Verhalten nehmen zwar nicht unbedingt ab, werden aber spannender, zielorientierter und führen schließlich zur Enttarnung des Täters, der einen in seiner Theatralik unfreiwillig komischen und für Improvisationskino unfassbar unpassenden Abgang bekommt.

Regisseur und Impro-Experte Schütte, der hier auch den SEK-Leiter spielt, hat vieles richtig gemacht und gezeigt, worin der Reiz eines solchen Konzepts besteht: in einem Ensemble, dem bei der Orientierung, Entwicklung und Ausgestaltung seiner Figuren zuzusehen Spaß macht. Dass dabei kaum eine wirkliche Ermittlungsarbeit zu einer Mordserie zustande kommt, liegt jedoch auch gewissermaßen in der Natur der Sache. Auf eine CDU-Pfeife wie Laschet kann zudem sicherlich nicht nur ich prima verzichten und der Tod eines langjährigen „Tatort“-Teammitglieds schockiert vor allem aufgrund seiner Unmotiviertheit – zumal es noch einen Auftritt in einem bereits abgedrehten „Tatort“ haben wird, man die Chronologie also durcheinanderbrachte, nur um diesen 2019 gedrehten Fall am Neujahrsabends 2020 ausstrahlen zu können.

Bleibt als Fazit, dass dieser „Tatort“ einem großen Teil seines Publikums kräftig vor den Kopf stößt, dass Improvisation faszinieren kann, aber nicht ohne Weiteres für einen TV-Krimi geeignet ist, und dass Becker und Ofczarek „Das Team“ doch zu etwas so Besonderem machen, dass ich mit von den Feierlichkeiten zum Jahreswechsel noch etwas verschallerter Runkelrübe 6,5 von 10 Psychospielchen für dieses allen Schwächen und Problemen zum Trotz sehenswerte Experiment vergebe.

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