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Serge Ou hatte viel fürs Fernsehen gearbeitet, in erster Linie Dokus über australische Geschichte sowie die Mythologie der Nazis gedreht, ehe er sich mit „Iron Fists and Kung Fu Kicks“, der auf einigen Festivals lief, im Kino der Geschichte des Martial-Arts-Films zuwandte.
Mit einer Länge von 107 Minuten kann „Iron Fists and Kung Fu Kicks“ die Historie des Kampfkunstkinos natürlich ebenso wenig umfassend abbilden wie der artverwandte „In Search of the Last Action Heroes“ die Geschichte des Actionfilms. Von daher wählt Ou einen ganz bewussten Ausschnitt, der sich nicht mit lange mit der kulturellen asiatischen Kampfkunsttradition beschäftigt, sondern als Einstiegspunkt jene Zeit wählt, in der die Shaw Brothers ihre Produktion Ende der 1960er von Romanzen und Spionagefilmen auf Martial-Arts-Reißer umstellten. Von da aus wird eine Geschichte bis in die heutige Zeit erzählt, mit Stationen wie der Bruce-Lee-Mania, dem Blaxploitation-Film, dem Hongkong-Einfluss auf Filme wie „Matrix“ bis hin zu YouTubern, die heute Martial-Arts-Videos drehen und damit ein Publikum finden. Dabei werden Clips aus den Filmen gezeigt, um die es geht, manchmal zeitgenössisches Interview- oder sonstiges dokumentarisches Material eingespielt, und Leute interviewt, die sich mit dem Kampfkunstfilm auskennen. Die Bandbreite reicht von Beteiligten wie Shaw-Brothers-Star Cheng Pei-Pei über jüngere Actionstars wie Amy Johnston bis zu Musikern wie Fab 5 Freddy. Viel Raum bekommt der Filmhistoriker Grady Henrix, der das Gezeigte mit Kontext versieht.
Über manche Lücken in dem Film muss man sich freilich wundern. Während Bruce Lee und Jackie Chan viel Zeit gewidmet wird und Sammo Hung Erwähnung findet, kommt Jet Li so gut wie gar nicht vor. Komplett vergeblich sucht man eine Erwähnung jener Ära, als Martial Arts durch Actionstars wie Jean-Claude van Damme oder Steven Seagal Mainstream-Appeal gewann – bei „Iron Fists and Kung Fu Kicks“ sieht es gelegentlich fast so aus als habe „Matrix“ dies im Alleingang geschafft. Manche neuere Entwicklung wird zudem etwas hastig abgehandelt, sei es der Aufstieg von Martial-Arts-Filmen in Thailand („Ong-Bak“) und Indonesien („The Raid“), das YouTube-Phänomen oder das Aufkommen von obskuren No-Budget-Actionkulturen mit Hongkong-Vorbild in Afrika.

Allerdings muss man sich schon vor Ansicht des Films darüber bewusst sein, dass ein einzelner Film letzten Endes nur Lücken haben kann. Die essenziell wichtigen Stationen des Genres werden in „Iron Fists and Kung Fu Kicks“ eigentlich alle abgedeckt, wobei man vor allem den Hongkong-Studios Shaw Brothers und Golden Harvest verdienterweise umfassenden Platz einräumt. Dabei werden wichtige Meilensteine ebenso erwähnt wie die Anekdote, dass sich die Shaw Brothers sowohl Bruce Lee als auch Jackie Chan durch die Lappen gehen ließen, weil sie nicht glaubten, dass diese Erfolg haben bzw. zu ihrem Konzept passen würden, was mit für den Niedergang des eingefahrenen Traditionsstudios verantwortlich war. Lebendig wird dies auch durch Interviews mit Beteiligten, darunter Regisseur Brian Trenchard-Smith. Dieser sollte eigentlich eine Doku über Bruce Lee drehen, der jedoch kurz vor dem geplanten Dreh verstarb. Seine Hongkong-Kontakte aus diesem Projekt nutzte Trenchard-Smith wiederum, um die erste australisch-chinesische Co-Produktion „Der Mann von Hongkong“ anzustoßen, in der Jimmy Wang Yu, George Lazenby und Sammo Hung unter seiner Regie mitspielten.
Vor allem interessant wird „Iron Fists and Kung Fu Kicks“ aber dadurch, dass er nicht nur die Eckdaten wiederkäut, sondern auch weniger bekannte Fakten einbaut oder gewisse Dinge in einem zeitlichen Kontext interpretiert. Während das Hongkong-Kino oft dafür gelobt wird, dass es dort schon früh weibliche Actionheldinnen gab, sieht Ous Film im Falle der Shaw Brothers eine wesentlich konservativere Haltung dahinter: Im Hongkong jener Ära galt Kino als Hausfrauenvergnügen, denen man dann lieber Vertreterinnen des eigenen Geschlechts als adrette Männer als Heldenfiguren geben wollte. Schwarze Musiker, aber auch Actionstars wie Michael Jai White erzählen davon, wie Martial Arts die Blaxploitation-, Hip-Hop- und Breakdance-Kultur entscheidend mitprägten, während sich viele Schwarze mit Bruce Lee identifizieren konnten. Dieser verkörperte vor allem in „Fist of Fury“ einen wütenden jungen Mann, der sich gegen Rassendiskriminierung auflehnt – wobei „Iron Fists and Kung Fu Kicks“ nicht verschweigt, dass Lo Weis Klassiker mit seiner antijapanischen Darstellung selbst reichlich rassistisch war. Parkour-Miterfinder Sebastien Foucan wiederum berichtet davon, wie Kung-Fu-Filme ihn und seine Mitstreiter bei der Kreation ihrer Trendsportart inspirierten.

Persönliche Begeisterung spielt in den Interviews eine große Rolle, sowohl für das Schauen wie auch für das Drehen von Kampfkunstfilmen. Actionstars wie Scott Adkins, Billy Blanks, Don ‘The Dragon‘ Wilson oder Richard Norton erzählen wie sie erst selbst Martial-Arts-Actionfilme im Kino oder auf Video sahen und dies dann selbst machen wollten. Cynthia Rothrock, Jessica Henwick und JuJu Chan schwärmen von der Inspiration durch Heldinnen des Hongkong-Kinos. 42nd-Street-Kinobesitzer Terry Levine erinnert sich lachend daran, wie er die Bruceploitation-Filme im Sechserpack in die Grindhouses brachte und teilweise aus vorhandenem Material zusammenschneiden ließ. Dabei schafft es „Iron Fists and Kung Fu Kicks“, dass sich die Begeisterung für das Genre auf das Publikum überträgt, welches die eine oder andere Filmempfehlung bekommt, die vielleicht noch nicht ganz so sehr in den Kanon aufgenommen wurde wie die Bruce-Lee-Filme oder „Die 36 Kammern der Shaolin“. Etwa „5 Fingers of Death“ (hierzulande: „Zhao – Der Unbesiegbare“), der zu den Inspirationsquellen von „Kill Bill“ zählt, wie Ous Film deutlich macht.
Mit seiner Montage und seinem Sounddesign ahmt „Iron Fists and Kung Fu Kicks“ zudem jene Filme nach, die er bespricht, was dem Ganzen eine unterhaltsame, weniger trockene Form gibt. Schade nur, dass bei den Einspielern nie die Titel des jeweiligen Films eingeblendet werden. Manchmal ergibt sich aus dem Kontext, aus welchem Werk die gezeigten Clips stammen, manchmal aber auch nicht. Vielleicht muss man dies als (unfreiwillige) Hommage an das Kung-Fu-Grindhouse-Kino sehen, das manchmal auch Material wild zusammenwarf, um neue Filme zu kreieren. Dementsprechende Geschäftspraktiken kommen in der Doku ebenso zur Sprache wie das amüsante On-Set-Sounddesign der Shaw Brothers. Und ganz im Sinne seiner oft günstigen budgetierten Vorbilder bekam Serge Ou auch nicht die A-Liga des Kampfkunstfilms für Interviews für die Kamera, sondern die B-Mannschaft, die dafür gut aufgelegt aus dem Nähkästchen plaudert. Scott Adkins etwa erzählt davon, dass er sich die Actionfilme damals gleich im Dreierpack aus der Videothek lieh.

Eine umfassende Geschichte des Martial-Arts-Films liefert „Iron Fists and Kung Fu Kicks“ dann unterm Strich nicht, bietet jedoch einen gelungenen historischen Abriss, der Genre-Einsteiger mit den wichtigsten Eckdaten seit dem Aufstieg der Shaw Brothers bekannt macht und Fans weniger bekannte Fakten und Interpretationen liefert. Die Interviewpartner sind gut aufgelegt, die Präsentation ist unterhaltsam an die Vorbilder angelehnt und das Ergebnis so kurzweilig, dass man Serge Ou gern verzeiht, dass seine Doku nur punktuell wirklich in die Tiefe geht.

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