Review
von Leimbacher-Mario
Ein starker Rohdiamant
Der Titel verspricht nicht viel im Zugwasser vom „Slender Man“ und Co., doch dass „The Empty Man“ sein ganz eigenes Biest ist, bei dem Disney nach der Fusion absolut nicht wusste, wohin mit diesem ungewöhnlichen, breit gebauten Schocker, der noch deutlich von Fox produziert wurde. Erzählt wird nach einem ausführlichen und ziemlich genialen Intro vom titelgebenden Mythos, der gerufen wird, wenn man auf einer Brücke in eine leere Glasflasche pfeift. Klingt außergewöhnlich blöd - ist im Film aber glaubwürdig und eigentlich nur die Ausgangslage für etwas viel Größeres und Unheimlicheres…
Nicht viel weniger als die positivste Horrorüberraschung des Jahres ist „The Empty Man“ für mich. Erst recht bei den Horrorwerken mit etwas höherem Budget. Wie gemacht für einen kommenden Kultfilmkandidat. Zwischen einem „verlorenen Verbinski“ und einem Epos des kosmischen Horrors, zwischen „Body Snatchers“ und „The Dead Center“, zwischen 20th-Fox-Überbleibsel, „Midsommer“ des Cthulhu und Gänsehautgarantie. Die Laufzeit ist ausufernd aber verdient, das Sounddesign ist wahrstes, brachialstes Alptraumfutter, der Aufbau ist raffiniert und Längen gab es bei mir trotz weit über zwei Stunden Laufzeit nicht im Geringsten. Lange hatte ich nicht mehr dermaßen Schiss bei einem Film. Da muss ich mich nicht schämen für. Es war definitiv nicht die beste Idee, ihn nachts allein im Bett mit Kopfhörern zu schauen. Erst recht für ein Regiedebüt ist das nahezu meisterlich. Kein Wunder, dass Freund Fincher Prior Vertrauen und Geld schenkte. Und geil, dass wir eine vom Studio vollkommen unangetastete Version zu sehen bekommen. Das gibt’s selten, das macht „The Empty Man“ noch herausstechender aus dem Horroreinheitsbrei. Natürlich hätte man hier und da straffen können - aber absolut nicht müssen! Allein das Intro in Tibet ist regelrecht grandios. Ein Abstieg ins Dunkel. Der Wahnsinn aus dir. Diese knochige Figur, diese Massenszene bei Nacht, diese unterschwelligen Botschaften. Einfach stark. Viele Fragen, viele Theorien, viel Leidenschaft, viel Talent. Und vor allem viel, viel Angst beim Zuschauer. Einzig und allein, dass man im letzten Drittel sehr immanent spürt, wohin die Reise geht bzw. dass es zumindest kaum Chancen des Entkommen für unseren Helden gibt, trübt vielleicht minimal das Mitfiebern, Mitbibbern, Miträtseln. Groß und ungeschliffen. Von dem Mann will ich mehr sehen!
Fazit: einer der spannendsten Filme der letzten Jahre. Kein Vergleich zu einem „Bye Bye Man“. Ein edel-creepy Rohschnitt gefühlt. Perfekt wie er ist. Ein willkommenes, bizarres und im Gedächtnis bleibendes Epos. Ein wenig „The Ring“(-Remake)-Vibes. Alles andere als geschliffen - aber das verhindert kaum Gänsehaut, Kissen vorm Gesicht und viel zu selten gewordenes Herzflattern!