SEASON 1
Wenn man mich nach meiner Meinung fragte, würde ich behaupten, dass “The Dead Zone” eigentlich auf einer ziemlich aufgeblasenen Grundidee basiert, die sowohl Stephen King mit seinem Roman als auch später David Cronenberg mit seiner Verfilmung einfach nur gut zu verwerten wussten. Hellseherei ist schließlich nicht gerade das, woraus Thrillerträume gemacht sind. Dazu kann die Hauptfigur ihre Handlungsoptionen prinzipiell zu frei wählen. Parallelen zu “Superman” oder Neo aus “Matrix” öffnen sich, wenn die Allmacht des Protagonisten erschlagend wird. Die Visionen des Lehrers Johnny Smith sind nichts anderes als Supermans / Neos Fähigkeit, in jede Himmelsrichtung zu fliegen, sich den maßregelnden Naturgesetzen zu entziehen: eine agitatorische Omnipotenz sondergleichen. Dies dennoch spannend in literarischer Form umzusetzen, ist kein Ding der Unmöglichkeit; wer Stephen King kennt, der weiß, dass in diesem Medium sehr wohl etwas aus dem Stoff zu machen ist, auch wenn es zunächst langweilig anmuten muss, dass Johnny über alles und jeden Bescheid weiß, von Vergangenheit bis Zukunft per Handauflegen alles, aber wirklich alles herausfinden kann. Dass die erste Adaption ins Medium Film gelang, ist dagegen nur Cronenberg zu verdanken, der es irgendwie schaffte, die abgehobene Ausgangsposition des Protagonisten zu erden und mit seinem eigenen Universum des Fleisches zu verknüpfen. Da ist nix mehr mit “Johnny Allmächtig”, den ein weniger begabter Regisseur aus dem Stoff gebastelt hätte. Das Faszinierende an Cronenbergs “Dead Zone” lag darin, dass der Kanadier den Hellseher irdisch machte, so dass man das phantastische Element irgendwann gar nicht mehr bewusst registrierte. Superman war zu Clark Kent, Neo zu Thomas A. Anderson geworden. Und wir haben es mit Freude zur Kenntnis genommen.
Was hat die TV-Serie dem entgegenzusetzen? Nun... sie macht Clark Kent wieder zu Superman und Thomas Anderson schluckt die blaue Pille und erwacht einmal mehr als Neo. Cronenbergs Erdung wird wieder gegen das alte Schema eingetauscht: Die hellseherische Fähigkeit ist es nun doch, die letztendlich wieder im Zentrum steht. Das Phantastische erhebt sich wie Phönix aus der Asche, in der ersten Staffel gleich dreizehn Mal aufs Neue, und diese dreizehn Mal werden Wunder vollbracht, wo es nur geht. Johnny ist in der Serie in erster Linie Freak, erst in zweiter Linie Mensch.
Zeugnis dessen ist die Tatsache, dass Plotentwicklung im Wesentlichen nur in der ersten und letzten Folge von Season 1 verfolgt werden. Hier wird Kings Vorlage in Grundzügen nacherzählt; der Unfall, das Koma, das Erwachen nach sechs Jahren, die neue Situation mit einer Freundin, die inzwischen eine eigene Familie gegründet hat. Und am Ende der Staffel steht gemäß der Vorlage ein apokalyptisches Szenario, vorgetragen auf politischer Bühne, diesmal mit merklichem 9/11-Einschlag, nur ein Jahr nach den Ereignissen (wir schreiben in der ersten Staffel das Jahr 2002).
Ansonsten regiert das inzwischen selten gewordene Prinzip der abgeschlossenen Folgen, die sich jede Woche um eine neue Rahmenhandlung drehen, die innerhalb von 40 Minuten eingeführt und gelöst wird. Das mag irgendwo zwischen “24" und “Lost”, die auf das Cliffhanger-Prinzip setzen, nochmal erfrischend sein - allerdings beweist es auch, dass mit der TV-Serie lediglich auf banale Art und Weise die Hellseher-Thematik ausgeweidet werden soll. Das Motto: Wie kann ich Johnnys Kräfte denn heute auf Herz und Nieren prüfen? Das ist vordergründig, platt, banal und soapy - alles, was Cronenbergs Film nicht war.
Aaaaaber. In der berechenbaren und eigentlich schon nach drei Episoden ermüdenden “Jede Folge eine neue Vision”-Konstruktion liegt das teuflische Genie im Detail. Auch wenn längst nicht alle Folgen gleich hoch zu bewerten sind (die ersten zwei, drei Episoden bewegen sich tatsächlich noch auf ärmlichem “Ghost Whisperer”-Niveau), irgendwie gelingt es den Drehbuchautoren bald, aus der konservativen Grundausrichtung hochinteressante Wendungen einzubringen und Abwechslung an den Tag zu legen. Durch die fehlende Weiterentwicklung erscheint jedes neue Abenteuer gleich, und doch unterscheiden sie sich alle grundlegend voneinander. Aus der spannungstötenden Not des alles wissenden Johnny wird einfach eine Tugend gemacht. Die Autoren spielen mit Zeitzonen, lassen Vergangenheit und Gegenwart sich überkreuzen, sie spielen mit Perspektiven, lassen Johnny hier mal die Vision aus der Egoperspektive erleben, dort aus Sicht eines neutralen Beobachters, Visionen und die gerade stattfindende Gegenwart vermischen sich in ein und derselben Szene; die Gestaltungsvielfalt scheint keine Grenzen zu kennen. Auch wenn manche Idee oder deren Ausführung an die Monster-of-the-Week-Stories aus “Akte X” erinnert - was nur wieder deren maßgeblichen Einfluss auf die Serienlandschaft beweist - sind die Einfälle doch schließlich verrückt genug, damit man zumindest fürs Erste ein paar Abenteuer mit Johnny Smith erleben will. Wenn die Regie dann auch noch mitspielt und innerhalb der eigentlich bisweilen ziemlich biederen Inszenierung plötzlich eine dreidimensional bewegliche Slow Motion-Szene mit umherfliegenden Partikeln zaubert, dann ist der Serienfreund glücklich.
Inhaltlich sind die originellen Story-Einfälle oft an eine Moral gekoppelt, was ihnen im Detail wieder etwas von ihrer frischen Wirkung nimmt. Vorherrschend ist selbstverständlich der fehlende Glaube des Menschen, bei Stephen King ein immer wichtiges Moment, das sich hier deutlich herauskristallisiert, da die Hauptfigur immer wieder auf neue ungläubige Menschen stößt, auch wenn sie schon gefühlte hundert Mal bewiesen hat, dass sie tatsächlich hellsehen kann. Dem schließen sich etwa Spiritualität und Selbstfindung (“Shaman”), Blindheit des Pöbels (“Here There Be Monsters”), zwischenmenschliche Beziehungen (“Dinner With Dana”) oder das Gefangensein zwischen Traum und Wirklichkeit (“Netherworld”) an.
Die Qualität der Figuren und der Schauspieler, die sie verkörpern, passt sich dann doch eher diesem latenten Märchencharakter an. Mit anderen Worten, man bekommt keine realistisch anmutenden Charaktere, sondern Stereotypen, die vor allem funktionieren sollen, ganz einfach indem sie Werte vermitteln. Von der aufdringlichen Reporterin bis zum schwarzen Sidekick des Helden - letzterer kommt leider besonders nutzlos herüber - ist alles dabei. Sheriff Walt Bannerman (Chris Bruno), neuer Ehegatte von Johnnys ehemaliger Freundin und inzwischen sein Ermittler-Kollege, ist “Twin Peaks”-Sheriff Harry Truman sehr stark nachempfunden; Sarah Bannerman (Nicole de Boer) stellt die passive, verletzliche und vom Leben betrogene Frau dar, der das Schicksal einen bösen Streich gespielt hat und die nun zwischen ihrem Ehemann und dem nach sechs Jahren aus dem Koma erwachten Freund steht. Anthony Michael Hall kommt in der Hauptrolle am besten weg, wird aber dennoch nur mittelmäßig stark vertieft, wenn man die Möglichkeiten bedenkt.
Letztendlich stehen eben leider, allerdings erwartungsgemäß die Fähigkeiten im Vordergrund und wenn man der ersten Staffel von “The Dead Zone” etwas positiv auslegen will, dann ist es das sehr interessante, wenn auch immer noch ausbaufähige Spiel mit den Möglichkeiten, die in der Hellseherei liegen. Das ermöglicht ein hohes Maß an Unterhaltung per Abwechslungsreichtum. Davon abgesehen enttäuscht die Charakterzeichnung zutiefst. Selbst wenn man sich für das Konzept der abgeschlossenen Folgen entscheidet, ist es möglich, in Subplots die Entwicklung der Figuren wesentlich weiter zu treiben als es hier geschieht. Schon jetzt scheint die Serie zu stagnieren. In Anbetracht des Umstandes, dass über handwerkliche Qualitäten kaum verfügt wird, ein großer Verlust. Da die Serie in den USA aber erfolgreich zu sein scheint und nach wie vor produziert wird, bleibt zu hoffen, dass an den gravierenden Mängeln noch gearbeitet wurde und Besserung zu erwarten ist.
Season 1: 5/10