„Schließt den Teufelskreis!“
Christopher Lee als Graf Dracula jagt hier nicht etwa Liliputanerinnen, sondern, zumindest in der Phantasie des deutschen Verleihs, Backfische in knappen Beinkleidern. Im Original hört Lees vorletzter Auftritt als Standard-Dracula der britischen „Hammer Film Productions“ auf den Titel „Dracula A.D. 1972“ und aus eben jenem Jahr stammt dieser Film, bei dem Alan Gibson die Regie führte. Offensichtlich wollte man weg vom klassischen Gothic-Horror und hat versucht, das Dracula-Thema durch Ansiedelung in der damaligen Gegenwart (bzw. dem, was man bei Hammer dafür hielt) zu modernisieren. Um es gleich vorwegzunehmen: Das ging ziemlich in die Hose, möchte man „Dracula A.D. 1972“ als ernsthaften Horrorfilm betrachten. Doch auch wer glaubt, ordentlich Sleaze in Form nackter Haut gejagter Mädchen geboten zu bekommen, irrt. Was den Erotik- wie leider auch den Blut- und Gewaltfaktor betrifft, präsentiert sich Gibsons Film enttäuschend zahm und angepasst, kein Vergleich zum vorausgegangen „Dracula – Nächte des Entsetzens“, der uns mit Dracula in blutiger Raserei erfreute. Doch – endlich – ist der lange Zeit schmerzlich vermisste Peter Cushing wieder als van Helsing mit von der Partie, allerdings… was hat man bloß aus seiner Rolle gemacht? Sicherlich, Cushing spielt hier lediglich einen Nachfahren des originalen van Helsing, aber dass dieser stellenweise gar etwas trottelig wirkt, wäre bei „Dracula“ anno 1958 noch undenkbar gewesen und ist dem Drehbuch geschuldet, gegen das Cushing tapfer anzuspielen versucht. Nun war ich 1972 zwar noch nicht einmal geplant, erlaube es mir aber trotzdem, den Realismusgehalt der feierwütigen, frechen und sich zu einem satanischen Ritual überreden lassenden Jugendlichen stark anzuzweifeln und vermute ihn auf dem Niveau, was seit „Freitag, der 13.“ gängige Slasherkost an vergnügungssüchtigen Dumpfbacken so anbietet. Nach dem eigentlich stimmigen, Erwartungen weckenden Prolog, der einen Kampf zwischen van Helsing und Dracula in der Vergangenheit suggeriert, der nur leider überhaupt nichts mit den vorausgegangenen x Dracula-Filmen aus dem Hause „Hammer“ zu tun hat, wird der Zuschauer jedenfalls erst einmal verdammt lang mit der Londoner Jugendkultur der Gegenwart (bzw. dem, was man dafür hielt) konfrontiert, bis es endlich nach einer höchst amüsanten schwarzen Messe mit Erscheinen Draculas zum fröhlichen Anachronismus kommt. Doch auch, wenn schon mal ein Küsschen angedeutet und stattdessen in den Hals gebissen wird, ist das alles in erster Linie unfreiwillig komisch, unblutig und bis auf van-Helsing-Nichte Jessicas (Stephanie Beacham) herrlich tiefen Ausschnitt sittsam inkl. fragwürdiger Dialoge, trashiger Szenen und einem unspektakulären Ende, unterlegt von einem fetzigen 70er-Funk-Disco-Soundtrack. Das hat zwar durchaus seinen seltsamen Charme, ist leicht konsumierbar und weiß zu unterhalten, aber eben in erster Linie unter Gesichtspunkten, die bestimmt nicht freiwilliger Natur waren… „Ich sehe gar nichts. Ich bin nur ein einfacher Polizeibeamter!“ heißt es im Film, ich hingegen sehe alles, sogar „Dracula A.D. 1972“ und habe meinen Spaß.