Ich bin Jahrgang 1965. Groß geworden bin ich in den 70ern und den 80ern, und Musik war mir immer immer immer wichtig. Glam Rock, Metal und die Musik der 60er in den ersten Jahren meiner musikalischen Sozialisierung, Punk, Wave und Gothic in all seinen mannigfaltigen Spielarten in den Jahrzehnten danach. Aber bei all der Suche nach musikalischer Wahrheit, bei dem Durchprobieren der Stile und dem Versuch die ultimative Musik zu finden, gab es doch immer ein paar Konstanten. Joy Division und die Clash begleiten mich genauso seit über 40 Jahren wie die Doors und die Sisters Of Mercy.
Und natürlich er. Udo. An dem man als Rockfan in den 70ern nicht vorbeikam, und auch gar nicht vorbeikommen wollte. Udo war cool, lange bevor es dieses Wort gab. Udo war lässig. Udo sprach unsere Sprache. Oder sprachen wir seine? Udo war einer von uns. Der unsere Probleme verstand und genauso zärtlich über die große Liebe singen konnte, wie er abrocken konnte und uns zum Tanzen gebracht hat. Udo war immer da, und als ich 40 war hießen die Gänsehautmomente halt nicht mehr 0-Rhesus-Negativ oder Manchmal träume ich davon ein Segelboot zu klau’n, sondern Sie ist 40 und Da war so viel los.
LINDENBERG! zeigt die frühen Jahre Udos. Seine Kindheit, die Ausbildung, die Zeit bei der Truppenbetreuung in Nordafrika, und natürlich die Jahre in Hamburg, bevor es mit der Karriere so richtig los ging. Spannend ist das, und aufregend, und so ein klein wenig eine Reise in eine andere Zeit. Aber leider nur so ein klein wenig, denn dummerweise ist das oft so kopflastig und so furchtbar deutsch rübergebracht. So, wie Udo (möglicherweise) nie war – Es fehlen oftmals die Lockerheit und die Unverkrampftheit, die Udos Image(!) so erheblich prägen. Stattdessen sehen wir Familienstreit beim Begräbnis des Vaters, sehen wir Udo wie er beim A&R-Mann der Plattenfirma austickt, und wie er vor allem unheimlich viel und gleich noch mal die doppelte Menge säuft. Wir sehen den Rausschmiss von Steffi Stephan, der natürlich in erster Linie dazu dient, seinen herzzerreißenden Wiedereinstieg vor dem entscheidenden Gig vorzubereiten, und irgendwie ist das eben alles so … seriös. Klischeehaft. Bieder.
Dabei könnte es doch auch ganz anders sein. Wenn Udo auf LSD über St. Pauli hinwegfliegt, dann ist das richtig herzerfrischend gemacht, genauso wie die Freude über den Radioeinsatz der ersten Single. Die Schnitte während des entscheidenden Auftritts, die zwischen dem Schauspieler Jan Bülow und dem Musiker Udo Lindenberg hin- und herschwenken sind gigantisch, galaktisch gewissermaßen, und man weiß bald gar nicht mehr wer Jan und wer Udo ist. In diesen Momenten rockt der Film richtig, und macht jede Menge Spaß. Lustig auch der österreichische Zuhälter auf der Reeperbahn – Wie in Jürgen Rolands DIE ENGEL VON ST. PAULI zu sehen ist, machten sich in dieser Zeit gerade auswärtige Banden in Hamburg breit, was zu allerlei Ärger führte. Zeitkolorit pur.
Vielleicht war es ja aber auch so wie geschildert. Das kleinbürgerliche Klima einer Familie in einer Kleinstadt in den 60ern war halt nun mal sauertöpfisch und repressiv, und ein langhaariger Sohn, der sich standhaft weigert in die Fußstapfen des Vaters zu treten und Klempner zu werden, sorgt da natürlich für großen Ärger. In diesen Augenblicken, genauso wie in manchen Momenten im Onkel Pö oder im Probenraum, kommt auch wieder dieses Zeitkolorit rüber. Kann man die spießige und muffige Enge der bürgerlichen Welt spüren, so wie sie damals war, der man nur durch gute Musik, Alkohol und jeder Menge Drogen zu entkommen meinte.
LINDENBERG! hat seine guten und seine schlechten Momente, so wie auch in der Karriere Lindenbergs nicht immer alles panisch gut war, und er hier menschlich oft auch eher fragwürdig dargestellt wird. Aber mal abgesehen von der heutzutage üblichen Krankheit der filmischen Überlänge und von dem ein oder anderen vielleicht überflüssigen Moment, haben wir hier jede Menge richtig guter Musik, einen Hauptdarsteller der mit seiner Rolle bis zur Unkenntlichkeit verschmilzt, und einiges an Spaß. Und mit einem Tag Abstand merke ich, wie gut der Film trotz verschiedener Kritikpunkte eigentlich wirklich ist. Nämlich wenn er mich so gar nicht mehr loslässt, beim Betrachten alter Lindenberg-Videos das panische Casting erst so richtig auffällt, und diese spezielle Zeit und der spezielle Sound tief in der Seele herumkreisen und einen auffordern, sich die alten Lindenberg-Platten endlich mal wieder anzuhören.
LINDENBERG! sollte man sich also als 60er-Jahrgang auf jeden Fall mal anschauen, und die Jüngeren dürfen auch ruhig mal sehen was sie verpasst haben. Nur dass ich mir das Spektakel lieber von jemandem wie Dennis Gansel inszeniert angeschaut hätte, als von einer Regisseurin die als Highlights Filme wie BIBI BLOCKSBERG oder DIE WEISSE MASSAI in ihrer Vita stehen hat …
Ein paar Tage später sehe ich zufällig Jan Bülow wieder in einem Tatort, BLIND DATE von Ute Wieland, und mir fällt auf, dass Bülow deutlich mehr drauf hat, als nur den treudoofen Dackelblick aufzusetzen und mal eben mit einer anderen, real existierenden, Persönlichkeit zu verschmelzen. In diesem Tatort wirkt er düster, hart, und kann in den wenigen Szenen die ich gesehen habe allein mit seinen Augen die Stimmung beeinflussen. Und mir fällt auf, wie sehr ich diesen Bülow in LINDENBERG! vermisst habe. Denn der Weg, der im Musikbusiness nach oben führt, war auch 1973 nicht so von Zufällen und Alkoholkonsum geprägt wie gezeigt, sondern auch damals bereits in erster Linie von sehr viel harter Arbeit und dem unbedingten Willen es zu schaffen. Dieser harte und unnachgiebige Blick, den Jan Bülow im Tatort zeigte, der hätte ihm auch in LINDENBERG! gut gestanden, und hätte eine weitaus differenziertere Charakterisierung zugelassen. Schade, dass die Regie offensichtlich nicht willens war Bülows Können zu erkennen und weiter zu treiben. Und ein großer Grund mehr, dass ich den Film gerne von einem anderen Regisseur gesehen hätte …