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„Da kommt gleich so’ne Atmosphäre auf wie beim Großstadtrevier!“

Matthias Brandt hat als Münchener Kommissar der TV-Krimireihe „Polizeiruf 110“ abgedankt – und wurde nicht etwa durch einen gleichrangigen Nachfolger, sondern durch die Streifenpolizistin im höheren Dienst Elisabeth „Bessie“ Eyckhoff (Verena Altenberger, „Magda macht das schon!“) ersetzt. Personalmangel ist es, der sie zur hauptverantwortlichen Ermittlerin in ihrem ersten Fall macht. Dieser wurde von Michael Proehl zusammen mit Thomas Korte geschrieben und von Florian Schwarz inszeniert – im Prinzip also vom „Tatort: Im Schmerz geboren“-Traumteam. Die Erstausstrahlung erfolgte am 15.09.2019.

„Als Kind hab' ich mal gesehen, wie ein Polizist in seine Mütze onaniert hat – da habe ich gedacht, dass alle Polizisten das machen, damit die Mütze besser am Kopf haftet.“

Der jugendliche Polou (Dennis Doms) wird verwahrlost aufgefunden. Er weist deutliche Misshandlungsfolgen auf und leidet unter dem Kaspar-Hauser-Syndrom, kann sich daher kaum artikulieren. Polizistin Eyckhoff nimmt sich seiner an und versucht, im Krankenhaus das Vertrauen des scheuen und ängstlichen Jungen zu gewinnen. Doch trotz Bewachung seines Zimmers gelingt es einer in Pelz gekleideten Frau (Lucy Wirth, „Stöffitown“), sich Zutritt zu ihm zu verschaffen. Ihr Entführungsversuch jedoch misslingt. Gegen die Blockaden des Jugendamts gelingt es schließlich, Polou in Hypnose zu versetzen, um so an weitere Informationen zu kommen. Und tatsächlich: Die Spur führt in die Schweizer Wohnung eines totgeglaubten Waffenhändlers…

„Der Ort, von dem die Wolken kommen“ – das ist Eyckhoffs Initiation in Form eines Kriminaldramas, für das sie viel Empathie und Sensibilität mitbringen muss, was die Rolle sogleich sehr positiv färbt. Sympathisch bleibt sie indes auch im Umgang mit anderen, beispielsweise mit dem Krankenhauspersonal (charmant: Xenia Tiling), mit dem sie sich schnell duzt und eine rauchen geht, ohne die Bullette heraushängen zu lassen. So sorgt sie für den Wohlfühlfaktor dieser Episode, der ansonsten eher mysteriös bis gruselig (dank einer diabolischen Lucy Wirth) gestaltet wurde. Ihre Kollegen Wolfie (Andreas Bittl, „Das wilde Leben“) und Cem (Cem Lukas Yeginer, „Polizeiruf 110: Das Gespenst der Freiheit“) spielen erwartungsgemäß eine untergeordnete Rolle, wobei zumindest ihr adipöser und etwas drömeliger Halbbruder Cem bereits eine gewisse Charakterisierung erfährt.

Nicht sonderlich gut weg kommt auch die Vertreterin des Jugendamts (Anja Schiffel, „Tatort: Damian“), die Eyckhoffs Umgang mit Polou skeptisch beäugt und ihre Zustimmung zur Hypnose versagt, welche letztlich von ihr erpresst werden muss. Dies ist ein erstes Indiz dafür, dass sich dieser „Polizeiruf 110“ in den Bereich des Fantastischen verabschiedet. Zu seinem Kernstück avanciert schließlich die Hypnose, für die erst lange geworben wurde, bis sie endlich an Polou und Eyckhoff gleichzeitig durchgeführt wird. Der Trance-Zustand wird visualisiert, was der Handlung eine starke mystische Aura verleiht. Irgendwann überschlagen sich nur leider die Unwahrscheinlichkeiten – Hypnose und Spiel mit dem Wissensstand des Publikums hin oder her.

Wer die misslungene Pointe ausblenden kann, kann sich über einen atmosphärisch starken, ruhig erzählten, dennoch spannenden Fall mit einigen starken Bildern freuen, dessen Hypnose-Leumund im nicht wirklichen Happy End ein gutes Stück weit zurückrudert. Insofern handelt es sich grundsätzlich schon um einen gelungenen Einstand für Altenberger, wenngleich sie im letzten Drittel gegen die übersteigerten Ambitionen und mit ihnen durchgehende Phantasie der Autoren zu kämpfen hat.

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