Das Leben ist nicht einfach. Und doch beschreibt Aden Rey (George Shannon) das Leben als wundervoll. Er preist alle technischen Errungenschaften, die das Leben erst lebenswert gemacht haben, die nur dazu da sind, das Leben einfacher und für uns freudvoller zu gestalten. Ja, die Zivilisation ist schon etwas Herrliches - meint zumindest Aden Rey. Eigenartig mag man denken, so ist Rey doch mehr ein verwirrter Soziopath, der nie auf eine staatliche Schule ging, sondern von seiner verrückten Mutter erzogen und gelehrt worden ist. Nach seiner Geburt ließ sie ihn in einem Jesus-Christus-Szenario in einer Krippe aufwachsen, und verstümmelte rituell seine Genitalien. Und doch - die Zivilisation ist etwas Wunderbares.
Nach Jahren der Qual, der Perversion zieht Aden Rey einen Schlusstrich. Er bringt seine Mutter um, und flieht mit ihren Juwelen und ihrem Reichtum ins Nirgendwo: In die Wüste. Hier trifft er auf einen kleinen, fröhlichen Eremiten. Marvel (Hachemi Marzouk) lebt völlig im Einklang mit der Natur. Die Tiere sind seine Freunde, das Essen extrahiert er aus seinen Exkrementen, und nebenbei verfügt er auch noch über totale Kontrolle über Naturgesetze, wie die Schwerkraft oder den Wechsel zwischen Tag und Nacht. Fasziniert von der Schamanen-haftigkeit des kleinen Marvels, lernt Aden die Welt in der Wüste kennen, erzählt dem neugierigen Marvel aber auch alles über seine Heimat, der Zivilisation. Aden erklärt dem naiven Eingeborenen alle jene "wunderbaren Dinge", die man in der großen Stadt tun kann. Aden: "Mit Geld kannst Du dir alles kaufen, was du nur willst!", worauf Marvel aufgeregt antwortet: "Gesundheit? Liebe? Freude? Kann man Geld melken, wie eine Ziege?" Aden gibt keine Antwort, lässt die Frage im Raum stehen. Wenige Zeit später brechen die beiden ungleichen Freunde auf, zur Zivilisation.
Es ist abzusehen, was hier passiert: Aden wird noch immer polizeilich gesucht, und Marvel wird mit all der Hässlichkeit der modernen Welt konfrontiert. Dass Menschen Bäume niederreißen, um neue Fabriken zu bauen, oder Tiere schlachten, um sie später zu verspeisen, verstört den zwergenhaften Naturalisten. Als sich die beiden Freunde auf ihrer Reise durch die unsere Welt einmal trennen, wird Marvel als Zirkusereignis für eine Freakshow engagiert, während sich der ödipal-gestörte Aden die Reizwäsche seiner toten Mutter anzieht. Als sie wieder zueinander finden, heiratet Marvel eine transsexuelle Frau, der er Blumen aus ihrem Hintern frisst. Die Odyssee endet, als Aden schließlich von der Polizei erschossen wird. Marvel schleift die Leiche zurück in seine Wüste, und isst die Leiche seines Freundes auf, um für immer eins zu sein.
Fernando Arrabal zeigte seine Qualitäten als Regisseur schon mit seinem kontroversen Debüt "Viva la Muerte". Nicht weniger skandalös und schockierend ist auch "Ich werde laufen wie ein verrücktes Pferd" ausgefallen. Diesmal hat Arrabal sogar eine relativ lineare, klare Geschichte, der er 90 Minuten konstant folgt. Natürlich nähert Arrabal sich der Anklage an die Zivilisation durch Mutter Natur auf einem möglichst surrealistischen Wege: Arrabal filmt Marvel und Aden im Gegenlicht zur Mittagssonne im Profil auf: Nackt sitzen sie Rücken an Rücken und scheiden Kot aus. In einer anderen Szene legt Adens Mutter ihre Zunge auf einen Tisch. Diese wird durch einen Holzpflock durchbohrt. Es ist dieselbe Mutter, die ihrem Sohn, der sich an sie angelehnt hat, einen angezündeten Kerzendocht in den erigierten Penis steckt. Und es ist jener Sohn, der, mit den Dessous seiner Mutter bekleidet, in einen Sarg legt, um einen Menschenschädel zu gebären.
Ja, wie man merkt, ist auch "Ich werde laufen wie ein verrücktes Pferd" für ein relativ kleines Publikum gedacht. Arrabal zeigt uns auf eine ziemlich prätentiöse Weise, wie wenig Sinn und Sensibilität wir, korrumpiert durch das zivile Leben, für die Schönheit und für die Simplizität der Natur haben. Dabei sind seine Bilder nie hintergründig oder zu fragmentarisch; der Symbolismus den Arrabal benutzt, ist relativ offenkundig: Wenn ein fetter Mann am Tisch eines Lokals sitzt, und jungen Küken die Köpfe abbeißt, dürfte dies kein allzu großes Rätsel für die meisten bedeuten. Aber dennoch sind viele der Bilder, die uns Arrabal zeigt, schockierend, makaber und unbequem.
War "Viva la Muerte" politisch motiviertes Kino, ein traumhaftes Erinnerungsbild an Arrabals Kindheit, ist "Ich werde laufen wie ein verrücktes Pferd" deutlich abweisender. Man kann berauscht werden von der Taubu-brechenden Attitüde, mit der uns Arrabal seine Bilder zeigt. Auf der visuellen Seite hat Arrabal ein wahres Kunsterwerk an Schockmomenten geschaffen. Blickt man jedoch hinter die Schockarabeske, so finden wir inhaltlich kaum etwas, das jene blutige und pervertierte Deko rechtfertigen würde. Das Thema "Zivilisation gegen Natur" ist zwar in den Raum gestellt, eine wirklich differenzierte Diskussion hat Arrabal nicht angefangen.
Am Ende mag man den Film wegen seiner den Handlungsfaden überschattenden Surrealität mögen. Man ist aber dennoch nicht befriedigt, ist Arrabals Intention hier doch mehr aussagen zu wollen, als nur, dass wir mit voranschreitender Technik die Natur zerstören. Wer sich mit 90 Minuten Bizarrerien und Schockszenen begnügt, dem wird "Ich werde laufen wie ein verrücktes Pferd" sicherlich etwas zurückgeben. Jedoch scheitert Arrabal seinen Geschichten Wesentlichkeit zu geben. Man mag eine schnelle Entschuldigung für das Fehlen gehaltvoller Botschaften darin finden, dass sich Arrabal mit Fragen, anstatt von Antworten begnügt, nur ist eine solche Haltung nicht unbedingt immer förderlich für die Kunst.